Anna-Seghers-Museum

Das Anna-Seghers-Museum in Berlin-Adlershof beherbergt die originalgetreu erhaltenen Wohn- und Arbeitsräume der weltbekannten Schriftstellerin, darunter ihre Nachlassbibliothek mit ca. 10.000 Bänden sowie viele persönliche Erinnerungsstücke.

Anna-Seghers-Museum
Akdemie der Künste, Berlin © Foto: Andeas Süß, 2019

Über das Museum

In einer kleinen Dauerausstellung zu Leben und Werk werden Fotos, Dokumente und die kostbaren Erstausgaben ihrer Bücher gezeigt, in Originalaufnahmen ist die Stimme der Seghers zu hören.

Nach 14jährigem Exil während der Nazizeit – in Frankreich und Mexiko – kam Anna Seghers 1947 wieder nach Berlin zurück. Hier hatte die aus Mainz stammende junge Schriftstellerin in den 20er Jahren ihre ersten großen Erfolge, hierher zog es sie, als der Krieg zu Ende war und sie endlich wieder ihre Muttersprache sprechen und für deutsche Leser schreiben wollte. Seit 1950 lebte sie in Adlershof, zuerst in der Altheider Straße. 1955 zog sie dann mit ihrem Mann Laszlo Radvanyi in das obere Stockwerk eines neuerbauten dreigeschossigen Mietshauses in der Volkswohlstraße 81, heute Anna-Seghers-Straße. Diese Wohnung war der Ort, an dem sie die längste Zeit ihres Lebens sesshaft war, bis zu ihrem Tod 1983. Sie wollte ihn auch später, als sie Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR war, ganz bewusst nicht mit einer repräsentativen Villa in Berlin-Niederschönhausen vertauschen.

Zwei Plaetze gibt es in dieser mir gleichgueltig[en] Wohnung, die mich freuen, ein Eck im Fenster meines kleinen Schlafzimmers – Ruth sagt Kajuete –, ein Fenstereck, aus dem man weit raus sehn kann und sich einbilden, dahinter läge das Meer und die Schiffe oder sonst was. Und gut ist auch auf dem kleinwinzigen Balkon zu liegen, und ich guck mir abends die Voegel an, und frage mich warum sie herumfliegen und ich denke auch, dass so einen Flug die Menschen noch nicht erfunden haben. ... Und vor allem: ich kann sehr viel und hoffentlich zum Teil gut schreiben.

Anna Seghers an Lore Wolf, etwa 1972/73, Anna-Seghers-Archiv, Nr. 3752

Wer unter ihrem Balkon entlangging, konnte bei gutem Wetter oft das Klappern ihrer Schreibmaschine hören. Dieser häufig windige Ort, umgeben von den Baumkronen der Linden, erinnerte Anna Seghers an das Schreiben an Bord auf ihren Atlantiküberfahrten. Auf der Rückfahrt von ihrer zweiten Brasilienreise 1963 hatte sie die Erzählung Überfahrt. Eine Liebesgeschichte begonnen, die sie dann 1970/71 in Adlershof beendete. Den Balkon vor ihrer Wohnung nannte sie in einem Brief an ihren Freund Wladimir Steshenski 1956 ihren „Mastkorb“.

Bücherregal im Anna-Seghers-Museum
Bücherregal im Anna-Seghers-Museum
Akademie der Künste, Berlin © Foto: C. Zahn

Die Wohn- und Arbeitsräume der Schriftstellerin wurden nach ihrem Tod zum Museum, das heute von der Akademie der Künste betreut wird. Neben den im Originalzustand erhaltenen Möbeln und Reisemitbringseln aus aller Welt, der Sammlung von Steinen und Meeresschnecken, den Keramiken und Musikinstrumenten aus Mexiko, beeindruckt vor allem Anna Seghers‘ Bibliothek: Rund 10.000 Bände, darunter Bücher mit Widmungen von Schriftstellerfreundinnen und -freunden aus vielen Ländern, verteilen sich über die vier Zimmer und den Flur. Fotografien und Dokumente aus dem Leben von Anna Seghers und ihrer Familie werden in einer Vitrinenausstellung dauerhaft präsentiert. Ausgestellt sind auch die Erstausgaben ihrer Bücher, wie Das siebte Kreuz, das 1942 in den USA auf Englisch erschien und zu einem Welterfolg wurde, oder Ausgaben aus dem Exilverlag Querido in Amsterdam sowie ihre Dissertation von 1924 an der Universität Heidelberg.

Kontakt und Anfahrt

Anna-Seghers-Museum
Anna-Seghers-Str. 81
12489 Berlin
T +49 (0)30 6774725 
annaseghersmuseum@adk.de

Das Museum ist nicht barrierefrei zugänglich. Detaillierte Informationen zur Zugänglichkeit finden Sie hier: reisen-fuer-alle.de

Öffentliche Verkehrsmittel

S-Bahnhof Adlershof: S8, S85, S9, S45, S46
Bus: 162, 163, 164, 260
Tram: 61, 63

Führungen und Veranstaltungen

Öffnungszeiten

Dienstags und donnerstags von 10 bis 16 Uhr

Erster Sonntag im Monat von 11 bis 16 Uhr.

An Feiertagen ist das Museum geschlossen.

HINWEIS: Am 30. Dezember bleibt das Anna-Seghers-Museum geschlossen

Der Besuch der Räume ist nur mit einer Führung möglich. Die Führungen finden jeweils zur vollen Stunde statt. 

Bitte melden Sie sich nach Möglichkeit zu einer Führung via E-Mail unter 
annaseghersmuseum@adk.de an.

€ 5/2,50

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Über Anna Seghers

Anna Seghers
Anna Seghers
© Mit freundlicher Genehmigung von Anne Radvanyi

Anna Seghers wurde am 19. November 1900 in Mainz geboren. Nach ihrem Studium der Philologie, Geschichte, Sinologie und Kunstgeschichte in Köln und Heidelberg kam sie 1925 als frisch verheiratete, promovierte Frau mit dem bürgerlichen Namen Netty Radvanyi, geb. Reiling, nach Berlin. Dort wurden ihre beiden Kinder Peter und Ruth geboren, und sie erlebte ihren Durchbruch als Schriftstellerin mit den Erzählungen Grubetsch (1927) und Aufstand der Fischer von St. Barbara (1928), für die sie 1928 mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde. 1933 musste Seghers mit ihrer Familie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten fliehen. Auf dem Opernplatz waren im Mai 1933 auch ihre Bücher verbrannt worden. Das Exil in Paris, die gefährlich-abenteuerliche Flucht in den unbesetzten Süden von Frankreich im Frühjahr 1941 und schließlich nach Mexiko, wo sie sechs Jahre als Emigrantin lebte, bestimmten die entscheidende Phase ihres schriftstellerischen Schaffens. In dieser Zeit entstanden die Romane Das siebte Kreuz (1942), Transit (1944) und die autobiografische Erzählung Der Ausflug der toten Mädchen (1946).

Anna Seghers: Deutsche, Jüdin, Kommunistin, Schriftstellerin, Frau, Mutter. Jedem dieser Worte denke man nach. So viele einander widersprechende, scheinbar einander ausschließende Identitäten, so viele tiefe, schmerzliche Bindungen, so viele Angriffsflächen, so viele Herausforderungen und Bewährungszwänge, so viele Möglichkeiten, verletzt zu werden, ausgesetzt zu sein, bedroht bis zur Todesgefahr.

Christa Wolf, Gesichter der Anna Seghers, Vorwort, in: Anna Seghers. Eine Biographie in Bildern, hg. von Frank Wagner, Ursula Emmerich, Ruth Radvanyi (1994)

Mit der Rückkehr nach Deutschland im Frühjahr 1947 engagierte sich Anna Seghers im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, im Deutschen Schriftstellerverband, dessen Präsidentin sie nach seiner Ausgliederung aus dem Kulturbund von 1952 bis 1978 war, sowie in der 1950 neu gegründeten Deutschen Akademie der Künste. Eines der zentralen Felder ihres internationalen Engagements war die Weltfriedensbewegung. So gehörte Anna Seghers 1950 zu den Initiatoren des Stockholmer Appells zur Ächtung der Atombombe. Der neue gesellschaftliche Entwurf, den die DDR versprach, schien ihre Jugendideale zu erfüllen und ließ sie auf mehr Gerechtigkeit hoffen. Sie war immer um Vielfalt in ästhetisch-künstlerischen Auffassungen bemüht; so setzte sie sich dafür ein, dass Mitte der 1960er Jahre das Werk Franz Kafkas in der DDR erscheinen konnte. Anlässlich ihres 75. Geburtstages am 19. November 1975 wurde sie zur Ehrenbürgerin der Stadt Berlin ernannt, 1981 erhielt sie die Ehrenbürgerschaft ihrer Heimatstadt Mainz. Am 1. Juni 1983 starb die Schriftstellerin in Berlin. Zu den bedeutendsten Ehrungen ihres Lebens zählt der Georg-Büchner-Preis, der ihr unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus dem Exil 1947 verliehen wurde.

Anna Seghers hinterließ ihren künstlerischen Nachlass der Akademie der Künste, wo er im Anna-Seghers-Archiv betreut wird. Ihre Grabstätte befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte.

Internationale Bedeutung

Und habt ihr denn etwa keine Träume, wilde und zarte, im Schlaf zwischen zwei harten Tagen? Und wisst ihr vielleicht, warum zuweilen ein altes Märchen, ein kleines Lied, ja nur der Takt eines Liedes, gar mühelos in die Herzen eindringt, an denen wir unsere Fäuste blutig klopfen? Ja, mühelos rührt der Pfiff eines Vogels an den Grund des Herzens und dadurch auch an die Wurzeln der Handlungen.

Anna Seghers, Die schönsten Sagen vom Räuber Woynok (1938)

Neben den neun großen Romanen, darunter Das siebte Kreuz (1942), Transit (1944) und Die Toten bleiben jung (1949), schrieb Anna Seghers über sechzig Erzählungen, darunter die Zyklen Karibische Geschichten (1962, einzelne Erzählungen früher), Die Kraft der Schwachen (1965), Sonderbare Begegnungen (1973) oder Drei Frauen aus Haiti (1980). Immer nüchtern im Stil, verlässt sie doch mitunter den Bereich realistischen Erzählens und bezieht Mythisches, Phantastisches in ihren Erzählkosmos ein, so in der frühen Erzählung Die Legende von der Reue des Bischofs Jehan d’Aigremont von St. Anne in Rouen (1924/1925, zuerst veröffentlicht 2003 aus dem Nachlass), in Die Toten auf der Insel Djal (1924), Sagen von Artemis (1937/38), Das Argonautenschiff (1948/49). In der Erzählung Die Reisebegegnung (1970), in der die Schriftstellerin eine fiktive Unterhaltung von E.T.A. Hoffmann, Nikolai Gogol und Franz Kafka in einem Prager Caféhaus schildert, zeigt sie programmatisch – wie schon in der Erzählung Das wirkliche Blau (1967) –, dass Kunst und Literatur ihre eigene Realität erschaffen, in der auch Phantastik, Träume, Unbewusstes ihren Platz haben – damit verlässt sie das in der DDR propagierte Ideal des sozialistischen Realismus. Stets hatte sie ein ausgeprägtes Empfinden für das zeitgeschichtlich und zeitkritisch Relevante – genannt seien als Beispiele ihre Rede Vaterlandsliebe (1935 in Paris auf dem Internationalen Kongress zur Verteidigung der Kultur), Frauen und Kinder in der Emigration (ca. 1938, zuerst gedruckt 1985), der Essay Glauben an Irdisches (1969) sowie ihre Texte über Tolstoi und Dostojewski.

Bücherregal im Anna-Seghers-Museum
Bücherregal in Anna Seghers Arbeitszimmer, Anna-Seghers-Museum
Akademie der Künste, Berlin © Foto: Andreas Süß

In der BRD wurden ihre Werke zögernd rezipiert, in der DDR oft einseitig. Hier wie dort wurde sie meist auf Das Siebte Kreuz und die parteikonforme Autorin reduziert, mit entsprechenden Wertungen – es war für beide Seiten einfacher, Widersprüche in Leben und Werk Anna Seghers' nicht wahrnehmen zu müssen. Der Komplexität ihres Werkes wurde man damit nicht gerecht.

Heute gilt Anna Seghers als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Erzählerinnen des 20. Jahrhunderts. Dramatiker wie Heiner Müller oder Volker Braun haben Motive ihrer Erzählungen für eigene Stücke adaptiert, z.B. benutzte Müller für sein Stück Der Auftrag (1979) Seghers’ Erzählung Das Licht auf dem Galgen (1961), und Volker Braun bezieht sich auf Seghers in Transit Europa (1988). Hans Werner Henzes Chorsymphonie Sinfonia N. 9 (1997) liegen Textpassagen aus dem Roman Das siebte Kreuz in Bearbeitung durch Hans-Ulrich Treichel zugrunde. Anna Seghers’ Prosa wurde weltweit in 42 Sprachen übersetzt. Viele ihrer Werke wurden verfilmt.

Die 1991 gegründete Anna-Seghers-Gesellschaft Berlin und Mainz e.V. vereint mehr als 230 Mitglieder aus 14 Ländern, darunter namhafte Literaturwissenschaftler/innen in Frankreich, den USA und China. Die literarische Gesellschaft gibt das Jahrbuch „Argonautenschiff“ heraus.

Dem Wunsch der Dichterin entsprechend wurde eine Stiftung gegründet, die sich aus den Tantiemen ihres Werkes speist und die jährlich den Anna-Seghers-Preis verleiht – jeweils im Wechsel an einen deutschsprachigen und einen lateinamerikanischen Autor oder eine Autorin.

Im Aufbau Verlag, Berlin, erscheint seit 2000 die wissenschaftlich kommentierte Werkausgabe, herausgegeben von Helen Fehervary und Bernhard Spies.

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