HANS NEUENFELS / REINHARD VON DER THANNEN / BJÖRN VERLOH
WAGNER
DURCHSCHAUT
GESELLSCHAFT -
LICHE UND
INDIVIDUELLE
ABHÄNGIGKEITEN
WIE KAUM EIN
ANDERER.
Hans Neuenfels, 2010
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WAS FASZINIERT SIE AN WAGNER, EINEM ANTISEMITISCHEN EGOMANEN?
Hans Neuenfels: In seiner Musik, anders als in seinen Schriften, ist er auf keinen Fall antisemitisch. Am meisten fasziniert mich an ihm, dass er gesellschaftliche und individuelle Abhängigkeiten durchschaut wie kaum ein anderer. […]
Seine Opern sind prophetische Beobachtungen über Massenbewegungen und über die Verführbarkeit Einzelner. […] Seine Musik ist immer gefährdet, in die Geschmacklosigkeit abzugleiten. Ich glaube, dass Wagner sehr bewusst zwischen Pathos und dem Lächerlichen balanciert. Das ist ein gefährliches Spiel, aber er hat es im Griff. […] Wie er die Chöre behandelt, wann er schichtet, wann er zudeckt. Wie er stereotyp etwas wiederholt bis zum Wahnsinnigwerden, und zwar mechanisiert wiederholt. Das ist kein Zufall, so viel Gedöns und so viel Aufwand. Das ist eine Gestik, die sich bewusst entleert. Dieses Hochgipfeln genauso wie die darauffolgende Entleerung, das ist unglaublich gekonnt. […] Dieses Wechselspiel aus Hochtürmen und Entleerung finde ich das Große an ihm. Ich sehe darin Spuren von Ekel und Desillusionierung. Für mich ist das ein Indiz dafür, dass er nie ein Machthaber war, ein unreflektierter Durchsetzer. Er ist einer, der beschwört. Er kannte seine ungeheuren Mittel, aber irgendwie kotzte ihn sein Können auch an.
Hans Neuenfels im Gespräch mit Joachim Kronsbein. In: Der Spiegel, 5.7.2010
SIE SÜCHTELN
NACH EINEM
FÜHRER, SIE
SÜCHTELN
NACH EINEM
INHALT.
Hans Neuenfels, 2012
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Die Metapher Ratten hielt alles aus. Man sagt "Die Ratten verlassen das sinkende Schiff", es gibt "Rattenpossierliches", Ratten vermehren sich unglaublich, Ratten sind zäh, Ratten sind manchmal garstig, Ratten sind auch schlau im Überleben und intelligent. Wir haben das ganze Stück überprüft, und die Metapher hielt allem stand. […]
Das Wichtige ist ja, dass die Menschen, die Masken, die Wagner dort komponiert hat, sich in sich nach etwas sehnen. Nach Halt, nach einer Eröffnung. Sie sind es müde, sich ununterbrochen kämpfend gegen andere durchzusetzen. Und sie süchteln nach einem Führer, sie süchteln nach einem Inhalt, sie süchteln nach einer Lebensform, die etwas mehr ist als dieser Kampf und die ständige Verteidigung von sich selbst. Und sie wollen überleben. Mit allen Mitteln wollen sie dennoch überleben.
Hans Neuenfels über den Bayreuther Lohengrin (2010), 2012
Foto: Lohengrin, 2010 Bayreuther Festspiele (Inszenierung Hans Neuenfels, Ausstattung Reinhard von der Thannen), Annette Dasch (Elsa), Jonas Kaufmann (Lohengrin), Chor der Bayreuther Festspiele © Enrico Nawrath
HANS NEUENFELS
Regisseur und Autor, 1941 in Krefeld geboren, Schauspiel- und Regiestudium in Essen und Wien, Regisseur und Dramaturg in Trier und Heidelberg, 1972–1980 Regisseur am Schauspiel Frankfurt, 1974 Debüt als Opernregisseur mit Verdis Troubadour in Nürnberg, 1986–1990 Intendant der Freien Volksbühne Berlin, seit 1990 Gastregisseur vor allem in Berlin,Hamburg, München, Salzburg, Stuttgart, Paris, Wien, Zürich. Buchveröffentlichungen, u. a. Wie viel Musik braucht der Mensch? (2009) und Das Bastardbuch (2011). Mitglied der Akademie der Künste seit 2006.
Wagner-Inszenierungen: Die Meistersinger von Nürnberg, 1994 Staatsoper Stuttgart; Tannhäuser, 2008 Aalto-Theater Essen; Lohengrin, 2010 Bayreuther Festspiele
REINHARD VON DER THANNEN
Bühnen-, Kostümbildner und Regisseur, 1957 in Österreich geboren, studierte Bühnen-, Kostüm- und Filmgestaltung bei Erich Wonder an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, erste Arbeiten während des Studiums in Hamburg, Köln und München, 1987–1992 Künstlerischer Ausstattungsleiter der Freien Volksbühne Berlin, bildnerische Arbeiten u. a. an den Schauspiel- und Opernhäusern in Zürich, Basel, Hamburg, Düsseldorf, Paris, Stock holm, Malmö, Wien, 2004 erste Regiearbeit Catilina von Antonio Salieri in Darmstadt, seit 2006 Professor für Kostümdesign an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg.
Wagner-Arbeiten: Die Meistersinger von Nürnberg (Inszenierung Hans Neuenfels), 1994 Staatsoper Stuttgart; Tristan und Isolde (Inszenierung Werner Düggelin), 1997 Opernhaus Zürich; Tannhäuser (Inszenierung Hans Neuenfels), 2008 Aalto-Theater Essen; Lohengrin (Inszenierung Hans Neuenfels), 2010 Bayreuther Festspiele
BJÖRN VERLOH
Trickfilmer und Puppenbauer, 1979 in Wolfenbüttel geboren, studierte Animation am Edinburgh College of Art und Kommunikationsdesign an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, wo er seit 2010 lehrt. http://www.softbotnik.com/
Wagner Arbeit: Lohengrin (Inszenierung Hans Neuenfels), 2010 Bayreuther Festspiele