Archivfenster: Karla Woisnitza Tagebücher 1975 - 1987
Die Berliner Malerin und Graphikerin Karla Woisnitza war schon zu DDR-Zeiten eine wichtige Vertreterin der alternativen, inoffiziellen Kunstszene. Das Archiv Bildende Kunst der Berliner Akademie der Künste hat seit 2005 Teile des Schriftgutarchivs der international anerkannten Künstlerin übernommen. Es enthält neben umfangreicher Korrespondenz und Unterlagen zu künstlerischen Projekten vor allem illustrierte Tagebücher aus den Jahren 1962 bis 1992. Sie gehören zweifellos zu den schönsten Objekten, die im Archiv Bildende Kunst aufbewahrt werden. Entwürfe zu baugebundenen Arbeiten Karla Woisnitzas, z. B. für das Universitätsklinikum Rudolf Virchow in Berlin, werden in der Archivabteilung Baukunst der Akademie verwahrt. Neben den Archiven von Manfred Butzmann, Lutz Dammbeck und Hans-Hendrik Grimmling gibt auch das Archiv von Karla Woisnitza Einblick in die alternative Kunstszene der DDR.
Die Akademie stellt nun erstmals Materialien aus dem Woisnitzas Archivbestand in einer Vitrinenpräsentation vor. Die Präsentation zeigt in Faksimiles eine an verschiedenen Themen orientierte Auswahl von Texten, Zeichnungen und Malereien aus den Tagebüchern der Jahre 1975 bis 1987 der Käthe-Kollwitz-Preisträgerin.
Karla Woisnitza, Tagebuch 1975
Karla Woisnitza, 2000, Foto Julia Thomas
Biographie
Karla Woisnitza wurde 1952 als Tochter eines Elektrikers und einer Buchhalterin in Rüdersdorf bei Berlin geboren und lebt seit 1980 als freischaffende Künstlerin in Berlin Prenzlauer Berg. Nach dem Abitur und alternativen Kunstkursen bei Erika Stürmer-Alex, einem Szenenbild-Volontariat in Ostberlin und einer Bühnenbild-Assistenz in Halle (Saale), begann Karla Woisnitza 1973 ein fünfjähriges Bühnen- und Kostümbildstudium an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden, mit am Bauhaus orientiertem Grundlagenunterricht bei Günter Hornig.Mitte 1978, nach der Geburt ihrer Tochter und kurz vor dem Diplom, ließ sie sich exmatrikulieren, weil ihr ein Fachrichtungswechsel nicht gestattet wurde. Karla Woisnitza war seit 1981 Mitglied des Verbands Bildender Künstler der DDR im Bezirk Frankfurt/Oder und blickte 1990 auch zurück auf eine alternativ inoffizielle, mehr als zehnjährige künstlerische Praxis. Unmittelbar nach dem Fall der Mauer konnte sie an der HfBK Dresden ein externes Diplom in Malerei und Grafik bei Bruno Konrad ablegen.
1992 wurde ihr der Marianne Werefkin Preis des Vereins der Berliner Künstlerinnen 1867 e.V. zugesprochen, 1994 wurde sie mit dem Käthe Kollwitz Preis der Akademie der Künste geehrt. 1996 erhielt sie ein Stipendium der Mid-America Arts Alliance und reiste durch die USA. Im selben Jahr initiierte sie das Ausstellungsprojekt „Quaternio“, das 2002 zu seiner dritten Ausgabe unter anderem im Norden Brasiliens gastierte. Dort, in João Pessoa, Paraiba, entstand das Video des brasilianischen Multimediakünstlers Sandoval Fagundes, das während der Ausstellung hier in der Akademie gezeigt wird.
Karla Woisnitza verzeichnet seit 1990 eine rege Ausstellungstätigkeit, u. a. in Berlin (1991), Basel (1993), Dresden (1994), Wuppertal (1995), Washington D. C. (1998), Lisboa (1999), Potsdam (2000), Olsztyn (2002), Salzwedel (2005), Frankfurt an der Oder (2006), Wien, Warszawa (2009), New York (2010), Köln, Mannheim (2011), Sofia, London (2012).
Ihre Werke sind in wichtigen Kunstsammlungen präsent, u. a. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstichkabinett, Kunstfonds; Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz; Kunstsammlung des Deutschen Bundestages; Kunstsammlung der Akademie der Künste, Berlin; Kupferstichkabinett der Akademie der Bildenden Künste Wien; National Museum of Women in the Arts, Washington D. C.; Museum Junge Kunst, Frankfurt(Oder); Berlinische Galerie, Landesmuseum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin; Stiftung Stadtmuseum, Berlin; Kunstsammlungen Chemnitz.
Zu Karla Woisnitza
Matthias Flügge anläßlich der Verleihung des Marianne-Werefkin-Preises 1992 an Karla Woisnitza:
Ist es ein alltägliches Werk oder ein artifizielles? Ist es emotional oder konzeptionell? Expressiv oder kühl kalkuliert? Von Eindrücken bestimmt, oder einer inhärenten Idee folgend von dem, was Kunst ist? Die Standardfragen erster Annäherung führen ins Nichts. Was auffällt, ist zuallererst die Vielseitigkeit der Mittel und Materialien, die Konsequenz, in der Setzung und Korrektur aufeinanderfolgen, das scheinbar Sprunghafte, das Programm ist. Karla Woisnitza hat Festlegungen immer gescheut. Nichts ist ihr mehr zuwider als die Selbstgefälligkeit beim Ausbeuten eines Claims, sei dieser nun zugewiesen von Markt, Ideologie oder Mode. Sie polemisiert nicht gegen die Vernutzer ästhetischer Gewohnheiten, sondern setzt etwas dagegen: Die Stille und ihre Identität als Künstlerin. Sie hat ihre Wahrnehmung und ihre Möglichkeiten künstlerischen Arbeitens selbst zum Gegenstand der Untersuchungen gemacht. Das war in der DDR, wo individuelle Strategien des Selbstentzugs aus der Vereinnahmung die notwendige Voraussetzung künstlerischer Arbeit waren. Obwohl in Dresden, der Hochburg malerischen Attitüden, ausgebildet und eine zeitlang auch dort tätig, war sie dem Pinselprotzen nie besonders nahe. Vielmehr schien es, als sollte die Rationalität, in der Zeichen und Bezeichnetes, Ornament und Regel, Naivität und Eleganz aufeinander bezogen waren, notwendig in die analytische Arbeit führen. Aber es ging nicht auf, immer schob sich etwas dazwischen: die Sprache des Materials, die Magie der überlieferten Zeichen, die Natur und vor allem wohl das eigene Unbehagen an der Vorstellung, als Künstlerin an einem vorbestimmten Ort anzukommen. Denn in dieser Kunst zählt vor allem der Weg, immer bleibt der Vorgang des Entstehens im Werk anwesend. Karla Woisnitza bevorzugt meist Techniken, die unaufwendig sind, spontanes Reagieren ermöglichen. Bekannt wurde sie mit ihrem graphischen Werk, vor allem durch Kaltnadelradierungen, in denen sich frühzeitig zeichnerische Bestimmtheit und sensible Linearität deutlich aussprachen. Aus der collagierten Konfrontation von Verpackungspapieren entstand 1992 eine Serie deutsch-deutscher Klebebilder, die die Banalität der „Wirtschaftswerte“ durch mythologische Übermalungen offenlegt und gleichzeitig in Frage stellt. Die Materialien der Gegenstände unserer Alltagswelt haben symbolische Qualitäten, das Besondere des Materials weist auf das Allgemeine sozialer Zustände. In der Installation SPRELACART, 1991 zum Berliner Künstlerinnen-Projekt „Konvergenzen“ haben Karla Woisnitza und Renate Anger dieses Thema in den Raum übersetzt. Daraus entwickelten sie eine partielle Zusammenarbeit auf dem Feld der installativen Raumkunst. Zur Zeit - und wohl noch für eine ganze Weile - liegt hier ein Schwerpunkt von Karla Woisnitzas Arbeit.
Brasilien. QUATERNIO III.
Im November und Dezember 2002 organisierte die Kuratorin Tereza de Arruda einen Arbeitsaufenthalt in Brasilien anläßlich des Ausstellungsprojektes QUATERNIO III. Dazu gehörte eine Ausstellung im Centro Cultural de Săo Francisco in Joăo Pessoa PB. Die beteiligten
Künstlerinnen Marlene Almeida, Salome Haettenschweiler, Irina Hasnas, Liv Mette Larsen und Karla Woisnitza wurden von dem brasilianischen Künstler Sandoval Fagundes durch Interviews und Videoaufnahmen begleitet. Zum Ende des Projektes in Brasilien überreichten Fabiana Veloso und Sandoval Fagundes einen fertig geschnittenen Videofilm an Karla Woisnitza. Mit ihr hatten sie nonverbal kommuniziert - spielerisch und ohne aufwendige Sprachübersetzungen...
1. Karla Woisnitza, Quaternio III., Brasilien, Foto Karla Woisnitza
2. Karla Woisnitza und der Filmemacher Sandoval Fagundes, Brasilien 2001, Foto Irina Hasnas
3. Karla Woisnitza, Quaternio III., Video still