#1 Betrifft: Kulturkampf?
Liebe Freund*innen der Künste,
Sie halten den neuen Akademie-Brief in den Händen, der zweimonatlich erscheinen wird. Er ersetzt das bislang halbjährlich gedruckte Journal der Künste und den Leporello, der sechsmal im Jahr das Programm der Akademie der Künste angekündigt hat. Die Zusammenlegung von Diskurs und Kalender ist ein Gebot der angespannten Haushaltslage. Doch geht es nicht allein ums Sparen.
Mit dem neuen Format, das Brief und Briefing zugleich ist – Wörter, die etymologisch zusammenhängen –, gewinnen wir auch Handlungsfreiheit. Im Zusammenspiel mit dem Relaunch der Website und einem neuen Newsletter erhält die Akademie eine Stimme, die sich regelmäßig und pointiert in aktuelle Debatten einbringt. Jeder Brief widmet sich einem Thema, das künstlerisch, gesellschaftlich und kulturpolitisch virulent ist.
Die erste Ausgabe fragt nach dem „Kulturkampf“. Schon die Frageform deutet an: Es geht uns nicht darum, Parolen zu wiederholen, sondern die Auseinandersetzung auf den Begriff zu bringen. Der historische Kulturkampf des 19. Jahrhunderts galt der Machtfrage zwischen Staat und Kirche. Heute bezeichnet der Begriff etwas anderes: die Polarisierung moderner Gesellschaften, die Identitäten, Lebensweisen und Zugehörigkeiten betreffen. Streit wird nicht mehr als Suche nach dem besseren Argument verstanden, sondern als Kampf um Deutungshoheit. Und es war schon immer so: „Wer die Sprache beherrscht, beherrscht den Streit.“ Begriffe wie „Cancel Culture“, „Sprachverbot“ oder „Genderzwang“ verschieben Wahrnehmungen schon in dem Moment, in dem sie ausgesprochen werden. Sie schaffen Lager, die einander nicht mehr überzeugen, sondern nur noch besiegen wollen.
In Deutschland erleben wir, wie politische Akteure Sprachverbote verhängen wollen, indem sie das Gendern in ihren Behörden untersagen und Kulturinstitutionen, die von ihnen abhängig sind, nachdrücklich zum Verzicht drängen. In den USA geht es unter der Trump-Administration noch weiter: Dort kursieren Listen von „banned words“, deren Gebrauch den Entzug öffentlicher Förderung nach sich zieht. Sprache selbst wird zum Schlachtfeld. Die Gefahr für die Demokratie liegt auf der Hand: Wo Wörter verboten und Sprache stigmatisiert werden, schrumpft der Raum öffentlicher Rede. Vielfalt von Stimmen und Erfahrungen wird nicht mehr als Bereicherung, sondern als Bedrohung wahrgenommen.
Noch radikaler zeigt sich der Kulturkampf in den Bildern. Wolfgang Ullrich beschreibt in seinem Beitrag für diesen Brief den „Kulturkampf der Bilder“. Er analysiert, wie Memes unter Trump und der MAGA-Bewegung zum Leitmedium der Politik geworden sind und erinnert an ein Bonmot, das Elon Musk gern zitiert: „Who controls the memes, controls the universe.“ Dieser Satz bringt Ullrich zufolge die neue Logik auf den Punkt: Politische Entscheidungen erscheinen heute wie Realität gewordene Memes – grell, aggressiv, pointenfixiert. Seine Diagnose ist klar: „Die Meme und Bilder werden so zu Treibern der Gewalt, die sie zum Gegenstand haben.“ Wenn ein Internierungslager für Migrant*innen in Florida den zynischen Namen „Alligator Alcatraz“ erhält und mit Memes beworben wird, verwandelt sich menschenfeindliche Politik in ein Unterhaltungsspektakel. Das Lachen über Krokodile verdeckt, dass es um Entrechtung von Menschen geht.
Vor dieser Situation stellt sich die Frage, ob man sich auf den Kulturkampf einlassen oder ihn verweigern soll. Soll man den Kampf mit eigenen Mitteln führen oder sich der Logik von Schlagworten und Memes entziehen? Was kann Kunst in einer solchen Situation bewirken?
Die Künste verfügen über eine besondere Ressource: Sie können Ambivalenz aushalten, Mehrdeutigkeit kultivieren und Vielstimmigkeit erproben. Im Gespräch mit Akademie-Mitglied Monika Rinck zeigt sich, wie Poesie den kulturkämpferischen Verkürzungen widerstehen kann: durch sprachliche Präzision, das Offenlegen verdeckter Motive und die Beharrlichkeit, Differenz auszuhalten, wo andere nur Polarisierung kennen. Darin liegt die eigentliche Gegenmacht zur Logik des Kulturkampfs: die Möglichkeit, andere Stimmen hörbar und andere Bilder sichtbar zu machen.
Dass die Akademie der Künste in dieser Auseinandersetzung Haltung zeigen muss, versteht sich von selbst. Das heißt aber nicht, die Kampfmetaphern zu übernehmen. Haltung heißt, die Freiheit der Künste zu verteidigen – und mit ihr die Fähigkeit, etwas anderes vorzuschlagen: Differenz statt Vereinheitlichung, Vielschichtigkeit statt Verrohung, Ambiguität statt Parole. Diese Freiheit gründet in der Differenz von Kunst und Leben, wie es der Kunsthistoriker Heinrich Klotz einmal formulierte – „weil das Leben sich die Kunst nicht ohne Umstände gefallen lässt, oder die Kunst nicht geeignet ist, nur Leben zu sein, denn sie ist eine Differenz zum Leben. Sie ist Fiktion, Erdichtung, Poesie“.
Die Frage „Kulturkampf?“ ist damit mehr als ein Titel. Sie ist Einladung, zu prüfen, wie wir über Sprache, Bilder und Künste Räume öffnen, in denen Gesellschaft sich durch Imagination erneuern kann.
Herzlichst,
Manos Tsangaris
Präsident der Akademie der Künste
Anh-Linh Ngo
Vizepräsident