Klaus Staeck
Der Künstler als engagierter Bürger
Die Ausstellung, zu der das vorliegende Buch erscheint, bringt die reichen Bestände zu George Grosz, die die Akademie der Künste in ihrem Archiv und dessen Kunstsammlung für die Forschung bereithält, ans Licht einer größeren Öffentlichkeit. Sie präsentiert exemplarisch die Vielfalt des Überlieferten: Zeichnungen, Collagen, Skizzenbücher, Korrespondenz, Dokumente, Fotografien, Drucke aus Mappenwerken und Zeitschriften, Materialsammlungen. Erstmals werden nahezu alle 207 Skizzenbücher ausgestellt, die die Akademie besitzt, erstmals auch die Folge aller 23 Porträtstudien zu Max Herrmann-Neisse sowie die collagierten Postkarten, die Grosz nach 1945 seinen Freunden John Heartfield, Paul Westheim und vor allem Otto Schmalhausen geschickt hat. Besonders hebt die Ausstellung auf seine Intention ab, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Neben Zeichnungen und Mappenwerken wurden deshalb vor allem auch Zeitschriften aus der Zeit der Weimarer Republik einbezogen, die Zeichnungen von Grosz publizierten. Die Fülle der im Archiv vorhandenen Materialien bietet der Forschung noch Stoff für viele Jahre. Die vorgelegte Publikation "George Grosz montiert" thematisiert einen wesentlichen Aspekt der Ausstellung und konzentriert sich auf Arbeiten, in denen Grosz sein besonderes Verfahren der Montage, Collage und der Versatzstücke angewandt hat, ein Prinzip, das sich wie ein roter Faden auch durch die Ausstellung zieht. Dabei wird deutlich, dass John Heartfield nicht der alleinige Monteur der deutschen Moderne war, sondern beide diese Technik während der Dada-Zeit im Austausch entwickelten und Grosz sie, wenn auch nicht mit dieser Ausschließlichkeit, sein Leben hindurch weiterführte.
"Korrekt und anarchisch" – diese Charakterisierung von Max Herrmann-Neisse hat die Kuratorin Birgit Möckel der Schau am Pariser Platz als Titel gegeben. Dass sie Ausstellung und Publikation in relativ kurzer Zeit realisieren konnte, ist ihrem außerordentlichen Engagement und Wissen zu danken, das auf langjährigen Forschungen zu Grosz beruht. Unterstützend stand ihr Frizzi Krella zur Seite. Die Ausstellungsarchitektur von Simone Schmaus trägt Grosz’ Montageverfahren Rechnung und akzentuiert seine öffentlichen Wirkungsabsichten durch ein Zurücknehmen auratischer Präsentationsformen. Indem die Gestaltung Schaumagazine assoziieren lässt, spiegelt sie auch den Weg des Materials aus dem Archiv in die Öffentlichkeit. Kollegial getragen wurde das Projekt von der Kunstsammlung der Akademie und ihrer Leiterin Rosa von der Schulenburg sowie vom Archiv Bildende Kunst, das Michael Krejsa leitet. Die Gesamtverantwortung des Projekts war beim Direktor des Archivs Wolfgang Trautwein aufgehoben. Ganz besonderer Dank gebührt der Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste und ihrem Vorsitzenden Bernd J. Wieczorek. Sie hat für das George-Grosz-Projekt nahezu ein ganzes Jahresaufkommen bereitgestellt und somit dessen Realisierung wesentlich ermöglicht.
Der Künstler Grosz drängte in die Öffentlichkeit. Seine unikalen Zeichnungen publizierte er in Zeitschriften und gab sie seinen Mappenwerken bei. Mit seinen kritischen Arbeiten eckte er an und wurde dreimal angeklagt. Die Spannbreite der Vorwürfe ist bezeichnend. Zunächst wurde er wegen Beleidigung der Reichswehr zu einer Geldstrafe von 300 Reichsmark verurteilt – Streitgegenstand war insbesondere die Mappe "Gott mit uns". 500 Goldmark kostete ihn die Auseinandersetzung um die Mappe "Ecce Homo" wegen Unsittlichkeit bzw. Verletzung des öffentlichen Schamgefühls. Im Zentrum des dritten, drei Jahre währenden Prozesses (1928–1931) stand der Vorwurf der Gotteslästerung, insbesondere wegen des Blatts 10 "Maul halten und weiter dienen" der Mappe "Hintergrund". Originalzeichnung und Druck werden in der Ausstellung gezeigt. Dieses Mal erfolgte zuletzt ein Freispruch, allerdings kostete der Prozess Grosz, wie im Beitrag "Wie George Grosz in die Akademie kam" zu lesen ist, die nahezu sichere Aufnahme in die Mitgliedschaft der Preußischen Akademie der Künste. Zugleich aber machte dieser Prozess das Werk, das verschiedene Zeitungen nachdruckten, außerordentlich bekannt, eine weitere Variante von Grosz’ öffentlicher Wirksamkeit.
Vor der Erfindung von Funk und Fernsehen waren neben den Tageszeitungen die Zeitschriften das öffentliche Leitmedium; Grosz nutzte es intensiv. Die Zeichnung "Siegfried Hitler" erschien auf dem Titelblatt der Zeitschrift "Die Pleite" im November 1923, dem Monat von Hitlers Münchner Putschversuch, und diente auch als Motiv für ein Plakat. Den aus einem asymmetrischen Augenpaar böse blickenden Hitler mit Hakenkreuztätowierung und Bärenzahn-Halskette hüllt Grosz in ein zur Hälfte schulterfreies Bärenfell. Germanisch nationaltümelnde Machtideologie und Größenwahn werden satirisch unterlaufen, auch mit dem montierten anmaßenden Zitat: "Ich schlage vor, dass die Leitung der Politik der deutschen Regierung ICH übernehme. Der morgige Tag findet entweder in Deutschland eine nationale Regierung oder uns tot." Nicht allein als zeichnender Satiriker war Grosz Realist, sondern auch als politisch wacher Künstler. Früh erkannte er die Gefahr Hitler und suchte sie sarkastisch zu entdämonisieren. Realistisch war Grosz in seiner politischen Einschätzung aber auch, als er 1922 Sowjetrussland besucht hatte und sich danach vom Kommunismus als einer Heilsideologie verabschiedete. Ungeachtet dessen hielt er der deutschen Zwischenkriegsgesellschaft schonungslos den Spiegel vor und setzte ihr weiterhin seine klaren moralischen Maßstäbe entgegen. Dieses Engagement machte das Exil während des Nationalsozialismus unausweichlich.
Auch in den USA und nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Grosz der Montage treu, wie die Ausstellung erstmals ausführlicher zeigt. Er benutzte das Montageprinzip, um seiner Frustration über die Entwicklungen in der Gesellschaft, in der Kunst und auf dem Kunstmarkt zu begegnen und war letztlich angestachelt, diesem Zustand dadaistisch zu trotzen und wieder Montagen zu machen, sei es auf Postkarten an seine Freunde oder im großen Format. Sie belegen erneut die untrügliche Formsicherheit des Monteurs Grosz. Die gesellschaftskritischen Montagen dieser Jahre finden einen neuen Gegenstand der Satire: die Konsumgesellschaft. Im Collagenband "Textures" provoziert die dichte Überlagerung der abgebildeten Waren, aufgeklebten Bildkommentare und die bis zur Groteske entstellten Konsumartikel seine Abwehr bis hin zum Ekel. "College Girl" verzerrt ein lachendes Mädchengesicht durch anmontierte Ohren und eingefügte fremde Augen, und Grosz steckt darüber hinaus den (gedachten) Oberkörper in einen Baseballhandschuh – eine frappierende Verdichtung des amerikanischen Universitätswesens und der Geschlechterrollen. Nicht weniger hintergründig ist seine Montage "Der Tod in Venedig": Dem Fotoporträt Thomas Manns, dessen sorgengefaltete Stirn, Haare und Augenwinkel zu erkennen sind, blendet er ein glattes Frauengesicht mit Sonnenbrille vor, Bildformel eines scheinbar unproblematischen kalifornischen "way of life". Indirekt thematisierte Grosz damit auch sein eigenes Emigrantenschicksal, dem er – zu spät und gesundheitlich zerrüttet nach Berlin zurückkehrend – nicht mehr entkommen konnte.
Für meine eigene künstlerische Arbeit war das vielfältige Werk von George Grosz neben den Montagen von John Heartfield sehr wichtig: Der Künstler als engagierter Bürger, der sich in die gesellschaftlichen Verhältnisse mit vollem Risiko einmischt, ein Vorbild. Immer wieder fasziniert der scharfe, analytisch-sezierende Blick, mit dem Grosz die kritikwürdigen Zustände offenlegt. Dabei prägt nicht nur kalte Abrechnung seine Arbeitsweise, sondern auch strotzende Sinnlichkeit als Methode der Aufklärung. Nur wenigen Künstlern ist es gelungen, den Kapitalismus samt Militarismus auf so eindringliche und nachhaltige Weise kenntlich zu machen. Das macht die Arbeiten von George Grosz bedrückend aktuell, auch wenn sich die Banker von heute den voluminösen Bauch im Fitnessstudio abtrainiert haben und die überdimensionierte Zigarre als Statussymbol weitgehend ausgedient hat.
Durch die Ausstellung, diese Publikation und durch die Arbeit des Archivs nimmt sich die Akademie der Künste weiterhin des Vermächtnisses von George Grosz an. Er ist sich, über die wechselnden politischen Systeme hinweg, treu geblieben – als unerschrockener Kritiker, als satirischer Moralist und als ein Humanist mit sehr konkreten Anliegen.