Birgit Möckel
„Arbeiten und nicht verzweifeln“
Zum Prinzip der Montage im Werk von George Grosz
(gekürzt)

„Machte zirka 40 Montagen (wie der alte Matisse), nicht schlecht; […] ist auch ganz spaßhaft, hatte mal früher vor 60 Jahren so was gemacht …“1, berichtete George Grosz – erfüllt von Arbeitseifer und neuer Motivation nach Phasen voller Zweifel am Sinn seiner Kunst – im Sommer 1958 in mehreren Briefen an seine Frau Eva. Ganz beiläufig benannte er mit diesen Zeilen auch den Zusammenhang zwischen den ersten „satirischen Klebebildern“2, die ab 1916 gemeinsam mit John Heartfield entstanden waren und im Umfeld von Dada Berlin einen idealen Nährboden gefunden hatten, um sich als umfassendes Konzept weiterzuentwickeln – bis hin zu den ins Groteske übersteigerten Montagen, mit denen Grosz am Ende seines Schaffens nicht zuletzt auch die eigene Lebenswirklichkeit im vielbeschworenen „Traumland Amerika“ entlarvte. Es war seine letzte Werkgruppe, bevor er nach 27 Jahren in seine Heimatstadt Berlin zurückkehrte.

In der Literatur werden diese Arbeiten immer wieder als „Collagen“ betitelt, eine Bezeichnung, die – wie die Assemblage oder das spätere Combine Painting – Malerei und Objekt als gleichberechtigte bildkonstituierende Teile einer mehr oder weniger raumplastischen Montage beschreiben. Anfänge dieser Erweiterung der Bildsprache hin zum Materialbild finden sich im Kubismus oder in den vierziger Jahren bei Henri Matisse, mit dessen so malerischen wie zeichenhaften „Scherenschnitten“ als fulminantem Spätwerk sich Grosz im eingangs erwähnten Zitat verglich.3 Je nach Epoche und Sprachwurzeln wechseln die Bezeichnungen für das Zusammensetzen eines Bildes aus einzelnen Bildfragmenten, die das Ausschnitthafte, das Aufkleben oder die Vermengung unterschiedlicher Materialien als wesentliches Element dieser Gattung betonen. Mit der bewusst gewählten Bezeichnung „Montage“ oder „Klebebild“ definierte Grosz den Ursprung seiner Arbeitsweise in der Fotomontage, an deren Potential er sich 1928 erinnerte: „Als John Heartfield und ich 1916 in meinem Südender-Atelier an einem Maientage frühmorgens um 5 Uhr die Photomontage erfanden, ahnten wir beide weder die großen Möglichkeiten, noch den dornenvollen, aber erfolgreichen Weg, den diese Entdeckung nehmen sollte. Wie das eben so manchmal im Leben ist, wir waren auf eine Goldader gestoßen, ohne es zu wissen. Gleichzeitig zogen ja überall damals junge Abenteurer los, in das unbekannte Land Dada – und gewisse Entdeckungen liegen ja stets fast fertig in der Luft.“4

Seit dieser Zeit setzte der Künstler das Prinzip Montage und dessen konzeptuelle Möglichkeiten immer wieder ein und eröffnete damit neue Strategien des Bildaufbaus in der Zeichnung und in der Malerei.

[ … ]

Mit der Fotomontage und dem zitathaften Gestalten gelang der Sprung in eine neue künstlerische Sprache. Technischer Fortschritt, Schnelligkeit, Simultanität sowie multiperspektivisches Sehen auf der Bildfläche ließen sich vereinen und starre Begrenzungen eines Oben oder Unten als feste Bildgrößen in Frage stellen. Geschichte und Gegenwart, hohe und niedrige Kunst, Standesporträt und Werbeträger – ein jedweder Bildaufbau war im hierarchiefreien Nebeneinander möglich, um in der nächsten Montage mit diesen und anderen Bild- und Textzitaten neue sinnvolle, sinnliche oder unsinnige Bezüge herzustellen. Vergleichbar einem Kaleidoskop schneiden filmische Sequenzen in das Bild und unterstreichen Dynamik und Momentaufnahme von Darstellungen aus dem Jahre 1920 wie „Sonniges Land“ (S. 18) und „dada-merika“, die Grosz und Heartfield gemeinsam montierten, oder „Leben und Treiben in Universal City, 12 Uhr 5 mittags“ (S. 19) mit einer Federzeichnung von George Grosz im Zentrum des Blattes. Alle drei Originalmontagen sind verschollen, die Werke sind als Andrucke und Fotografien überliefert.

Als anonymisierte und typisierte Signatur und Bezeichnung dienten vorgedruckte Textausschnitte, in denen Grosz und Heartfield das altmeisterliche „pinx.“ für „pinxit“ (lat., gemalt) durch die fortschrittliche typografische Variante des „mont.“ (montiert) ersetzten. In weiteren Arbeiten kamen Stempelsignaturen mit Adresse und Berufsbezeichnung zum Einsatz und dienten ihrerseits auch als grafisches Element im Bild. „Tatlinistischer Planriß: Schreckenskammer“ (S. 26 links) – so der Titel des Originals eines Blattes der Mappe „Mit Pinsel und Schere“13 – geizt nicht mit gestempelten Zeilen, die die Vollendung des Werkes dokumentieren und in der Vielzahl zugleich von der Sinnlosigkeit dieser Echtheitsbekundungen zeugen. Mit der Vervielfältigung des Originals als Mappenwerk, das auf Farbigkeit verzichtet, wird der Bedeutung der Grafik als einem Medium zur Verbreitung der Bildmotive und Themen einmal mehr Ausdruck und Gewicht verliehen. Der Künstler ist vom Maler oder Zeichner singulärer Werke über den Monteur zum „Construktör“ einer Bildwelt geworden, die er nach seinen Bildgesetzen „mit Pinsel und Schere“ aufbaut, materialisiert, wie es im Titel heißt, und bei Bedarf multiplizieren und verbreiten kann. Die logische Konsequenz, einzelne Figuren aus diesem Zusammenhang zu lösen, um sie an anderer Stelle in Szene zu setzen oder in anderen Verbindungen neu zu positionieren, wird an diesen und vergleichbaren Werken deutlich und nachvollziehbar.

Von dort war es nur ein kleiner Schritt zum Film oder zur Bühne, weiteren Spielstätten, die George Grosz für die vielschichtigen inspirierenden Möglichkeiten der Bildmontage nutzte.

[…]

Waren bereits die Postkarten zumeist ein tragigrotesker Aufschrei gegen die Einsamkeit des Realisten, der auch als Amerikaner immer ein deutscher Künstler blieb, zeigt sich in den späten amerikanischen „Klebebildern“ ein letztes „produktives Nein“ des Dadaisten. Denn dort knüpfte Grosz im tatsächlichen Sinne messerscharf und mit analytisch sezierendem Blick an seine einstigen mit spitzer Feder oder „mit Pinsel und Schere“ „gezeichneten“ Repräsentanten der „herrschenden Klasse“33 an, die bis heute unser Bild einer ganzen Epoche prägen. In jenen kurz vor seinem plötzlichen Tod im Jahre 1959 entstandenen Werken zerlegte er die in den Medien allgegenwärtigen, von Perfektion, Schönheit und Konsum beherrschten Idealvorstellungen von der Gesellschaft und insbesondere das Rollenverständnis des weiblichen Geschlechts, um die einzelnen Teile als so skurrile wie grausame Synthese austauschbarer Versatzstücke oder Bildhülsen eindrücklich und alle Sinne treffend zu entstellen und aus grotesk verwandelter Perspektive neu vor Augen zu führen. Mit diesen Werken war George Grosz am Ende seines Schaffens tatsächlich in Amerika angekommen. Lange schon zweifelte er an der Relevanz seines Tuns in einem Umfeld, das von jüngeren amerikanischen Künstlern wie Pollock, Rothko, Rauschenberg und anderen bestimmt wurde. Seine von Europa, dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg beherrschten Bildzyklen hatten es schwer, Käufer zu finden. Was tun? „Grosz fühlte sich nicht berechtigt, sein adoptiertes Land, USA, öffentlich zu kritisieren“, so formuliert es sein Sohn Marty Grosz. Doch erlaubten die amerikanischen Collagen seinem Vater, die Wahlheimat „mit ihrem Stoff anzugreifen, da sie nur aus Zeitschriften, die überall erhältlich waren, zusammengeklebt waren“34. In dieser Einschätzung zeigt sich einmal mehr jene nie versiegende Grundhaltung: „Dada gestaltet die Welt praktisch nach ihren Gegebenheiten, es benutzt alle Formen und Gebräuche, um die moralisch-pharisäische Bürgerwelt mit ihren eigenen Mitteln zu zerschlagen.“35

„American Landscape“ lautete der ursprüngliche Titel einer Fotomontage, die mit einem weiteren Beispiel, „Crime Never Pays“, 1933 dem amerikanischen Leser „George Grosz. A German Satirist“ vorstellte36 – einer der vielversprechenden Aufträge am Beginn seiner amerikanischen Karriere. 1958 knüpfte Grosz – längst aller Illusionen beraubt – an dieses einstige Wunschbild mit den Insignien amerikanischen Lebens an und nannte es jetzt bezeichnenderweise „Keep Smiling“. Eine Verdichtung der Attribute belebte nun das einstige „Stillleben“. „Morgue“ hatte Grosz in seiner Autobiografie seine Ausschnitte-Sammlung betitelt, nach dem Leichenschauhaus in Paris. Als würden die „toten Dinge“ auch seine Lebensgeister wieder wecken, arbeitete er intensiv an der aktuellen Werkidee – mit viel Spaß, wie er immer wieder betonte. „Werde dann auch langsam vorstoßen zu Neuem“37, lautete die optimistische Einschätzung dieser Schaffensphase, die ihn zurück und nach vorn führte, an die Schnittstelle zu Sehweisen, die bis heute Alltag und Kunst auf immer neuen Ebenen zusammenbringen. In den fünfziger Jahren wurde insbesondere mit Marcel Duchamp Dada in New York wiederentdeckt und auch in Deutschland ein großer Überblick gezeigt38. Immer hatte Grosz Kontakt zu Freunden und Weggefährten aus der Dada-Zeit. Aber jetzt war es keine „Initialkatastrophe“39, die ihn die Montage wiederentdecken ließ. Schrittweise näherte er sich jenem finalen Werkabschnitt, der ihn zurück zu seinen Wurzeln und den Anfängen des „old Grosz-Heartfield Conzern“ führte. „Remember?“ endet ein Brief an Heartfield, den er im Frühjahr 1958 schrieb.40

In einem Skizzenbuch41, das „um 1952“ datiert wird, aber auch Zeichnungen und Aquarelle aus anderen Zeitabschnitten enthält, finden sich zwei Motive, deren Zusammengehörigkeit durch eingeklebte Bildzitate hervorgehoben wird: Zum einen die mit Exil und Emigration einhergehende Entwurzelung sowie die Kriegsfolgen, die durch die ersten Atombombenabwürfe noch gesteigert wurden, und fortdauernde totalitäre Systeme, die die Menschen mundtot machten; zum anderen die Frau als Hoffnungsträger, sei es als vielbewundertes Varieté-Girl oder als klassischer, erotischer Akt. Immer betrachtete Grosz „das Weib als die unvergängliche Quelle und Fortsetzung unseres Geschlechts“42. Mit diesen kleinen Blättern wird ein Kern insbesondere seines amerikanischen Schaffens auf knappeste Weise skizziert.

In den letzten Montagen zeigt sich auch sein verändertes Bild der Frau. Aus der klassischen Aktdarstellung, mit der Grosz allen Zweifeln und Untergangsvisionen immer wieder trotzte, war jetzt ein bissiges Gegenbild entstanden. Hedonistisch, selbstverliebt, aber auch eingezwängt in vorgegebene Rollen, perfekt und grausam entstellt – anonyme Mutanten, deren noch so feengleiche Erscheinung nichts Gutes ahnen lässt. Welches Corpus Delicti hält wohl jenes „Messermädchen“ (S. 101) in den glitzernden Sternenhimmel?

„Die Anfänge Dadas waren nicht die Anfänge einer Kunst, sondern die eines Ekels“ vor Erhabenheit und Anmaßung, „Ekel vor einer falschen Form des Herrschens und der Vermassung, die nur die Herrschsucht des Menschen hervorhebt, statt sie zu dämpfen, Ekel vor allen katalogisierten Kategorien, vor den falschen Propheten, hinter denen man Geldinteressen, Hochmut oder Krankheiten suchen muss, Ekel vor den Vertretern einer merkantilen, arrangierten Kunst“, erklärte Tristan Tzara 1924.43 Vergleichbares galt augenscheinlich auch für die in seinem „Ausschnittebuch“ angelegten Motive, die sich im Sommer 1958 zu einer Montage-Serie schlossen, deren Parallelen zu den dadaistischen Anfängen in den schrill schreienden Grotesken direkt greifbar scheinen. „Der Mensch war jetzt in einer schrecklichen Weise verwandelt worden.“44 Nichtsdestotrotz hoffte George Grosz damit „langsam vorzustoßen zu Neuem“.


Anmerkungen

1
Grosz an Eva Grosz, 14.6.1958, zit. nach: Herbert Knust (Hg.), George Grosz. Briefe 1913–1959. Reinbek 1979, S. 518. Siehe auch Briefe vom 12.7.1958 und 24.7.1958, ebd. S. 520 und 521; fortan: Knust 1979

2   
Auf der Rückseite einer Fotografie des Ateliers in der Nassauischen Straße vom Januar 1920 notierte Grosz: „Hinter der kleinen Staffelei ein satirisches Klebebild von mir und meinem Freund Heartfield gemacht.“ Zit. nach: Klaus Völker (Hg.), „Ist schon doll das Leben“. George Grosz – Max Herrmann-Neisse. Der Briefwechsel. Berlin 2003, S. 34; Foto: AdK, Berlin, GGA 1079.4

3   
Im Nachlass George Grosz’ befindet sich ein Stillleben aus dem Jahre 1948, das zeigt, dass sich Grosz auch mit der kubistischen Wurzel dieser Bildgattung auseinandergesetzt hat. Abb. in: George Grosz. Collagen. Collages 1928–1959. Ausst.kat. Galerie Fred Jahn, München 2005, Abb. 3; fortan: Grosz 2005

4   
George Grosz, Randzeichnungen zum Thema. In: Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Programmheft zur Aufführung Berlin, Januar 1928, 1. Piscator-Bühne / Theater am Nollendorfplatz, n. pag.; fortan: Grosz 1928

[…]

13   
Die Reihenfolge der Abbildungen S. 26–27 folgt einer gebundenen Ausgabe dieser Mappe in der Nachlassbibliothek George Grosz, AdK, Berlin (NB gg 50).

[…]

33   
George Grosz’ Mappenwerke und Publikationen: Mit Pinsel und Schere (1922), Das Gesicht der herrschenden Klasse (1921), Das neue Gesicht der herrschenden Klasse (1930), Die Gezeichneten (1930)

34   
Marty Grosz in einem Schreiben an die Verfasserin, 8.12.2009

35   
Raoul Hausmann, Texte bis 1933. Hg. Michael Erlhoff, 2 Bde. München 1982, S. 94

36    George Grosz. A German Satirist. In: Vanity Fair. Bd. 41 (November 1933), S. 35

37   
Grosz an Eva Grosz, 12.7.1958, zit. nach: Knust 1979, wie Anm. 1, S. 520

38   
Dada. Dokumente einer Bewegung. Ausst.kat. Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Kunsthalle Düsseldorf 1958

39   
Bergius 2000, wie Anm. 9

40   
Grosz an John Heartfield, 28.3.1958, zit. nach: Knust 1979, wie Anm. 1, S. 515

41   
AdK, Berlin, Kunstsammlung, HZ 2227, Nr. 186; vgl. Peter Nisbet (Hg.), The Sketchbooks of George Grosz. Ausst.kat. Busch-Reisinger Museum, Cambridge/Mass. 1993, S. 187

42   
Grosz 2009, wie Anm. 10, S. 44

43   
Tristan Tzara, Vortrag auf dem Dadakongress, 1924, zit. nach: Richard Huelsenbeck (Hg.), Dada. Eine literarische Dokumentation. Reinbek 1964, S. 58

44   
George Grosz, George Grosz spricht über sein Zeichnen und seine Karikaturen, 1958, AdK, Berlin, AVM 37.0360. – Ich danke Frizzi Krella für die schriftliche Übertragung der Aufnahme.





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