1977

Horst Zickelbein

Der Maler und Grafiker Horst Zickelbein gehört mit Manfred Böttcher, Harald Metzkes und Werner Stötzer in den späten 1950er Jahren zum Kreis der „Berliner Schule“ (Lothar Lang), die den Dialog mit der internationalen Moderne sucht. Zickelbein löst sich jedoch von dem malerischen Sensualismus und folgt ab 1958 seinem individuellen Weg als freischaffender Künstler in Ost-Berlin. Ins Zentrum seines Schaffens rückt er reduzierte geometrische Formen und Strukturen mit abstrakter Wirkung und wendet sich grundsätzlich von der Figur ab. Anregung findet Zickelbein in Natur und Literatur, wo sich zahlreiche Chiffren und Gedanken versammeln.

Horst Zickelbein gab den Käthe-Kollwitz-Preis 1990 zurück.

Textbeiträge zur Preisverleihung

„Der Maler und Grafiker Horst Zickelbein [...] hat die Errungenschaften einer nuancenreichen Malkultur zu einem persönlichen Stil fortgebildet, dessen Impulsivität und Dynamik noch im unscheinbarsten Motiv inneres Leben entdeckt“ (Auszug Begründung).

Der Maler und Grafiker Horst Zickelbein hat seine künstlerische Arbeit Ende der fünfziger Jahre mit Bildern begonnen, die teils dem nachempfindenden Naturerleben des Impressionismus, teils der Konstruktivität Cézannes verpflichtet waren. Er hat die Errungenschaften einer nuancenreichen Malkultur zu einem persönlichen Stil fortgebildet, dessen Impulsivität und Dynamik noch im unscheinbarsten Motiv inneres Leben entdeckt, so z.B. in seinen Darß-Landschaften (1960–1965).

Die gleichzeitige Arbeit an Wandbildern, von denen das erste im Funkversuchswerk Adlershof (1962) noch durchaus im Dekorativen verblieb, hat Zickelbein immer mehr von der inneren Genügsamkeit dieser besonders in Berlin gepflegten Malweise entfernt. In seinem zweiten Wandbild (Kosmos, für die Betriebsgaststätte der DIA Chemie, gemeinsam mit Hans Vent, 1965/66) wird bereits das Streben nach inhaltlicher Vertiefung bei gleichzeitiger Lockerung der künstlerischen Handschrift deutlich, wie es für das dritte und wichtigste seiner Wandbilder, seinem wichtigsten Werk überhaupt, so charakteristisch ist.

Der große und schwierige Gegenstand des Wandbildes für die Karl-Marx-Städter Stadthalle – Die Befreiung der Wissenschaft durch den Sieg der sozialistischen Revolution – wird von Zickelbein aus einer eindeutig von Gefühlen bestimmten Bewusstseinslage heraus gestaltet. Die vorwärtsschreitende Entwicklung der Menschheit wird nicht szenisch dokumentiert, sondern in suggestiver Verkürzung gegeben. Nicht erzählende Ausbreitung, sondern Konzentration auf die menschliche Figur als Sinnträger, keine epische Objektivität, vielmehr lyrische Subjektivität. Wie bei aller lyrisch-emotionalen Kunst spielt das Ethos der Formung die dominierende Rolle. Hier ist es ein das gesamte Bild durchziehender Bewegungsimpuls, der die Geschichtsbewegung durchwaltet und zur Einheit bindet, zugleich aber als bekenntnishafter Ausdruck der Individualität des Künstlers – seiner inneren Bewegung – das Geschehen rhythmisch überformt. In diesem Wandbild geht das Geschichtsbewusstsein des Künstlers mit seiner Sensibilität eine Verbindung ein, deren Gestus freier, aber nicht hemmungsloser Entfaltung den Betrachter zu vertiefendem Schauen aktiviert. Die subjektivere Behandlung geschichtlicher Prozesse ermöglicht Zickelbein auch eine persönlichere, trotzdem aber vom aufmerksamen Betrachter immer nachvollziehbarere Symbolsprache, die von der Symbolik der Farben und Formen bis zu sinnbildhaften Steigerungen des Menschenbildes reicht und auch traditionelle Symbole, wie etwa das Atommodell, einbeziehen kann. Zickelbeins Wandbild ist durch und durch ein Werk des metaphorischen Realismus und für die Entwicklung der sozialistischen bildenden Kunst der DDR sicher von großer Bedeutung. Es ist der mutigste Versuch, das Selbstverständnis des sozialistischen Menschen auszudrücken in der spannungsvollen Einheit seiner beiden Pole, nämlich der Einsicht in die Gesetzlichkeit der Geschichte als verpflichtendem Horizont für das Denken und Handeln und dem unabweisbaren Anspruch, die eigene Individualität bis hin zu ihrem je besonders gearteten Temperament als Zentrum des geschichtlichen Handelns zur Geltung zu bringen.

Während der Arbeit an diesem Wandbild hat Zickelbein einen weiteren Übergang zu neuen Techniken und Motiven vollzogen. Es sind farbige Faserstiftzeichnungen und Farblithos, in denen er unter dem Einfluss der metaphorischen Dichtungen von Federico García Lorca und Pablo Neruda die andeutende Kraft bildnerischer Strukturen und den spielerischen Situationsreichtum des Assoziativen, des Traumes, der Phantasiearbeit überhaupt in hartbunter Farbigkeit durchprobiert. Die hierbei gewonnenen Erfahrungen in die Malerei einzubringen, sieht Horst Zickelbein als seine Aufgabe für die Zukunft an.

Laudatio, vorgetragen von Peter H. Feist anlässlich der Preisverleihung am 28. April 1977:

Vor zwanzig Jahren war der Maler und Grafiker Horst Zickelbein Meisterschüler von Heinrich Ehmsen an unserer Akademie. Es ist hier nicht die Zeit, um den Weg, den er seither genommen hat, vollständig nachzuzeichnen. Nur zwei Aspekte seines künstlerischen Werkes seien hervorgehoben, zwei Aspekte, die von der Sektion Bildende Kunst für so wichtig gehalten werden, dass sie den Künstler für den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste der DDR vorgeschlagen hat.

Da ist zunächst eine malerische Sensibilität hohen Ranges. In den Anfängen teils dem nachempfindenden Naturleben des Impressionismus verpflichtet, teils der Konstruktivität eines Cézanne, und diese nuancenreiche Malkultur sehr schnell zu einem persönlichen Stil fortgebildet, dessen Impulsivität und Dynamik noch im unscheinbarsten Motiv inneres Leben entdeckt.

Diese im malerischen Duktus wirksame Sensibilität bleibt im Werk Zickelbeins aber auch dann erhalten, wenn er es nicht mehr mit dem Tafelbild, sondern mit der völlig anders gearteten Aufgabe des Wandbildes zu tun hat. Und damit sind wir beim zweiten Grundzug seines Werkes. Er kann in erster Näherung umschrieben werden als das Streben nach inhaltlicher Vertiefung auch gesellschaftlich-geschichtlicher Darstellungen durch die gleichzeitige Lockerung der künstlerischen Handschriften – eine Tendenz, deren ausgeformtes Resultat das Wandbild für die Karl-Marx-Städter Stadthalle ist. Zickelbein stellt sich mit ihm wissentlich in Widerspruch zur Tradition, die vom Wandbild fast ausnahmslos Beschreibung und Belehrung gefordert hat. Die vorwärtsschreitende Entwicklung der Menschheit wird bei ihm nicht szenisch dokumentiert, sondern in suggestiver Verkürzung gegeben. Nicht erzählende Ausbreitung, sondern Konzentration auf die menschliche Figur als Sinnträger ist kennzeichnend, statt epischer Objektivität lyrische Subjektivität. Und wie bei aller lyrisch-emotionalen Kunst spielt das Ethos der Formung die dominierende Rolle. Hier ist es ein das gesamte Bild durchziehender Bewegungsimpuls, der die Geschichtsbewegung durchwaltet und zur Einheit bindet, zugleich aber als bekenntnishafter Ausdruck der Individualität des Künstlers – seiner inneren Bewegung – das Geschehen rhythmisch überformt. So geht in diesem Wandbild das Geschichtsbewusstsein des Künstlers mit seiner Sensibilität eine Verbindung ein, deren Gestus freier, aber nicht hemmungsloser Entfaltung den Betrachter zu Vertiefendem Schauen aktiviert.

Die subjektivere Behandlung geschichtlicher Prozesse ermöglicht Zickelbein auch eine persönlichere, trotzdem aber vom aufmerksamen Betrachter immer nachvollziehbare Symbolsprache. Sie reicht von der Symbolik der Farben und Formen bis zu sinnbildhaften Steigerungen des Menschenbildes und hält sich dabei auch für traditionelle Symbole offen. Zickelbeins Wandbild ist ein Werk des metaphorischen Realismus und für die Entwicklung der sozialistischen bildenden Kunst der DDR sicher von großer Bedeutung.

Dieses Werk ist der mutigste Versuch, das Selbstverständnis des sozialistischen Menschen auszudrücken in der spannungsvollen Einheit seiner beiden Pole, nämlich der Einsicht in die Gesetzlichkeit der Geschichte als verpflichtendem Horizont für das Denken und Handeln und dem unabweisbaren Anspruch, die eigene Individualität bis hin zu ihrem je besonders gearteten Temperament als Faktor der geschichtlichen Bewegung zur Geltung zu bringen.

Während der Arbeit an diesem Wandbild hat Zickelbein einen erstaunlichen Übergang zu neuen Techniken und Motiven vollzogen. Es sind farbige Faserstiftzeichnungen und Farblithos, in denen er unter dem Einfluss der Dichtungen von Federico García Lorca und Pablo Neruda die andeutende Kraft bildnerischer Strukturen und den spielerischen Situationsreichtum des Assoziativen, des Traums, der Phantasiearbeit überhaupt in hartbunter Farbigkeit durchprobiert. Auf die Umsetzung dieser Erfahrung in die Malerei dürfen wir gespannt sein. Vielleicht ist die Interpretation möglich, dass Kunst in diesen Blättern als Glücksversprechen begriffen wird, als Wegzeichen zu einem auch im Privaten freieren und gelösteren Menschentum.