1987

Max Uhlig

Der Dresdner Künstler Max Uhlig lässt menschliche Figuren und Landschaften in seinen Gemälden, Zeichnungen und Radierungen aus expressiven Lineaturen entstehen:  Überlagerungen, Verdichtungen und Lichtungen formen den schwarzweißen oder farbigen Bildgegenstand. Im Sommer arbeitet Uhlig pleinair an Landschaften, Busch- und Baumgruppen – zunächst in den Dresdner Elbauen, auf Usedom und Rügen, heute in Frankreich. Im Winter entstehen Grafiken im Atelier: Köpfe und Figuren aus vibrierenden Linien. Max Uhlig arbeitet stetig am Verhältnis von Fläche und Raum. „Es ist, als wenn ich auf die Fläche ein räumliches Gebilde setze – anders ist nur, dass der Bezug des Körpers zur Bildfläche, zum Rechteck noch hinzukommt.“ (Max Uhlig, 2013/14)

„Was mich fesselt, ist das Erleben eines lichten, klaren Tages im Freien [...] Solche Tage haben die Chance, zu erregenden Mal-Festen zu werden, ich fühle mich dann zum Zupacken aufgefordert.“

Max Uhlig, 2002

Textbeiträge zur Preisverleihung

„Es geht ihm nicht um die Epidermis, sondern um das Fleisch, nicht um den Schein, sondern um das Wesen.“ (Auszug Laudatio)

Max Uhlig, geb. 1937, in Dresden lebender Zeichner, Grafiker und Maler, wird von der Sektion Bildende Kunst für den Käthe-Kollwitz-Preis 1987 vorgeschlagen.

Nach seinem Studium an der Hochschule für bildende Künste Dresden war Max Uhlig von 1961 bis 1963 Meisterschüler der Akademie der Künste der DDR, bei Hans Theo Richter.

Bereits damals zeichnete sich Max Uhlig durch eine selbständige Sicht, die Vorbilder verarbeitet und daraus Eigenes gewonnen hat, und durch kraftvolle Modellierung aus. Er entwickelte früh eine ausdrucksstarke Zeichenweise, bei der ein dichtes Liniengefüge mit dem Einsatz kompakter Formen verschmilzt. Seine Arbeiten sind sowohl Ausdruck erkannter Wirklichkeit – man weiß von ihm, dass er intensiv nach der Natur arbeitet – wie eigenständiger zeichnerischer Sprache.

Das trifft für beide Hauptkomponenten im Schaffen Uhligs, für Bildnis und Landschaft gleichermaßen zu. Neben vielen Selbstbildnissen verdienen vor allem die Porträts von Hermann Glöckner, Hans Jüchser, Gerhard Kettner, Otto Niemeyer-Holstein, Hans Theo Richter und Willy Wolff, am Ende der 60er und am Anfang der 70er Jahre geschaffen, unsere Aufmerksamkeit. 1970 erschien seine Folge Dresdener Landschaften.

Max Uhlig hat sich in den siebziger Jahren verstärkt bemüht, zum Wesen des Menschen, zu seinen inneren Triebkräften und in psychische Bereiche vorzudringen. Wiederum bei Bildnis und Landschaft versucht er etwas von der inneren Beschaffenheit der Welt aufzuspüren. Ein langer und schwieriger Weg des Experiments und der Suche wird erkennbar, im Verlaufe dessen sich das Liniengefüge seiner Zeichnung verdichtet.

Die innere Würde des Menschen teilt sich dem Betrachter der Bildnisse intensiv mit, seine Verletzlichkeit und Gefährdung gleichermaßen. Dasselbe auf die Landschaft, auf den natürlichen Bezugsraum des Menschen übertragen, ist inzwischen als ein Thema von gleicher Aktualität ohne Mühe erkennbar.

In seinen Arbeiten der 80er Jahre gewinnt Max Uhlig verstärkt das Erscheinungsbild von Mensch und Natur zurück, ohne etwas von gewonnener Sicht hinter die Dinge aufzugeben. Der menschlichen Figur scheint eine größere Sicherheit der Existenz eigen.

In ca. 25 Jahren von Anstrengung und großer Aufrichtigkeit getragener Arbeit ist ein Lebenswerk gewachsen, das Max Uhlig heute nicht nur zu den bemerkenswertesten Künstlern in der DDR zählen lässt, sondern das auch zunehmend internationale Anerkennung findet. Widerholt ist er in vergangenen Jahren in Ausstellungen einbezogen worden, mit denen die bildende Kunst der DDR sich außerhalb des Landes darstellt, zuletzt in der Ausstellung „Menschenbilder. Kunst aus der DDR“ 1986/87 in Bonn, München und Saarbrücken (neben Cremer, Förster, Heisig, Kettner, Mattheuer, Rudolph, Sandberg, Sitte, Stötzer).

Laudatio von Wieland Förster, veröffentlicht in Sinn und Form" 5/1987 anlässlich der Preisverleihung 1987:

Laudatio heißt, laut Fremdwörterbuch: „Lobrede, eine im feierlichen Rahmen vorgetragene Würdigung der Verdienste einer Persönlichkeit“. Diesen Auftrag zu erfüllen fällt uns leicht, was Sorgen bereitet, ist allein die Form, in der solch eine Würdigung zu verfassen ist. Lob allein genügt nicht, denn ein gutes Werk lobt sich selbst, unabhängig vom Geschmack der Betrachter. Was interessiert ist die Frage, wie es so und nicht anders geworden ist. Die Antwort kann nicht opulent ausfallen, denn das Persönlichste, der innere Antrieb bleibt, uns so soll es auch sein, verborgen. Immerhin, es existieren Erinnerungen, die, als verstreute Mosaiksteine genommen, vielleicht doch etwas aussagen über das Ganze. Bevor jedoch Erlebtes und Vermutetes zu Worte kommt, erlaube ich mir, Sie mit dem Protokoll der Sektion Bildende Kunst, das die Preisvergabe begründet, bekannt zu machen. Diese unübliche Indiskretion scheint vertretbar, weil sich im Protokoll, verkürzt zwar, die Elemente vorfinden, aus denen eine Laudatio zu entwickeln wäre.

Das Protokoll: „Max Uhlig, in Dresden 1937 geborener und dort lebender Zeichner, Grafiker und Maler, wird von der Sektion Bildende Kunst für den Käthe-Kollwitz-Preis 1987 vorgeschlagen. Nach seinem Studium an der Hochschule für bildende Künste Dresden war Max Uhlig von 1961 bis 1963 Meisterschüler der Akademie der Künste der DDR, bei Hans Theo Richter.

Bereits damals zeichnete sich Max Uhlig durch eine selbständige Sicht, die Vorbilder verarbeitet und daraus eigenes gewonnen hat, und durch kraftvolle Modellierung aus. Er entwickelte früh eine ausdrucksstarke Zeichenweise, bei der ein dichtes Liniengefüge mit dem Einsatz kompakter Formen verschmilzt. Seine Arbeiten sind sowohl Ausdruck erkannter Wirklichkeit – man weiß von ihm, dass er intensiv nach der Natur arbeitet –, wie eigenständiger zeichnerischer Sprache.

Das trifft für beide Hauptkomponenten im Schaffen Uhligs, für Bildnis und Landschaft gleichermaßen zu. Neben vielen Selbstbildnissen verdienen vor allem die Porträts von Hermann Glöckner, Hans Jüchser, Gerhard Kettner, Otto Niemeyer-Holstein, Hans Theo Richter und Willy Wolff, am Ende der sechziger und am Anfang der siebziger Jahre geschaffen, unsere Aufmerksamkeit. 1970 erschien seine Folge Dresdener Landschaften.

Max Uhlig hat sich in den siebziger Jahren verstärkt bemüht, zum Kern des Menschen, zu seinen inneren Triebkräften und in psychische Bereiche vorzudringen. Wiederum bei Bildnis und Landschaft versucht er etwas von der inneren Beschaffenheit der Welt aufzuspüren. Ein langer und schwieriger Weg des Experiments und der Suche wird erkennbar, im Verlaufe dessen sich das Liniengefüge seiner Zeichnung verdichtet.

Die innere Würde des Menschen teilt sich dem Betrachter der Bildnisse intensiv mit, seine Verletzlichkeit und Gefährdung gleichermaßen. Dasselbe auf die Landschaft, auf den natürlichen Bezugsraum des Menschen übertragen, ist inzwischen als ein Thema von gleicher Aktualität ohne Mühe erkennbar.

In seinen Arbeiten der achtziger Jahre gewinnt Max Uhlig verstärkt das Erscheinungsbild von Mensch und Natur zurück, ohne etwas von gewonnener Sicht hinter die Dinge aufzugeben. Der menschlichen Figur scheint eine größere Sicherheit der Existenz eigen.

In ca. 25 Jahren von Anstrengung und großer Aufrichtigkeit getragener Arbeit ist ein Lebenswerk gewachsen, das Max Uhlig heute nicht nur zu den bemerkenswertesten Künstlern in der DDR zählen lässt, sondern das auch zunehmend internationale Anerkennung findet. Wiederholt ist er in den vergangenen Jahren in Ausstellungen einbezogen worden, mit denen sich die bildende Kunst der DDR außerhalb des Landes darstellt, zuletzt in der Ausstellung ‚Menschenbilder. Kunst aus der DDR' 1986/87 in Bonn, München und Saarbrücken (neben Cremer, Förster, Heisig, Kettner, Mattheuer, Rudolph, Sandberg, Sitte, Stötzer).“

Damit wäre eigentlich der Informationspflicht Genüge getan und denjenigen, die Max Uhligs Arbeiten nicht kennen, anheimgestellt, sich mit Ihnen bekannt zu machen.

Meine Neugier, wie Kunst entsteht, vor allem einem Werk gegenüber, das einen so eigenen Wuchs hat, treibt mich, einige Gedanken, die sich auf Begegnungen stützen, anzufügen. Es sind Momentaufnahmen, die sich wie Fotografien in meine Erinnerung eingelagert haben. Verschwommenheit besteht allein in der zeitlichen Einordnung.

Momentaufnahme I: Erste Begegnung mit Max Uhlig in den Dresdner Studienjahren, wahrscheinlich zwischen 1955 und 1958. Frühmorgens Treffen an der Straßenbahnhaltestelle in Laubegast, gemeinsame Fahrt, tastende Gespräche. Die Themen sind vergessen, bis auf eins: Uhlig versucht, Studienreisen zu organisieren, in die Balkanländer und anderswohin, er will sehen, entdecken, Welt kennenlernen. Er wirkt jungenhaft, frisch und entschlossen.

Momentaufnahme II: Besuch in Uhligs Wohnung. Er hat Familie, lebt, zumindest ästhetisch, in einer Atmosphäre bürgerlicher Behaglichkeit. Der Versuch, Kunst und Normalität zusammenzuführen, scheint zu gelingen. An der Wand ein Plakat von Alberto Giacometti: große weiße Fläche völlig beherrscht von einer winzigen, dem unteren Rand zugeordneten Studie: konzentrierteste zeichnerische Durchdringung der menschlichen Figur. Giacometti ist damals terra incognita für uns. Wir sind beide gleichermaßen betroffen und aufgewühlt von dem radikalen Versuch, hinter den bloßen Schein der Dinge, hier ein Akt, vorzudringen.
Diese Zeichnung, die Haltung, aus der sie entstand, könnte die Berufung gewesen sein, sich ganz und gar dreinzugeben, eine ähnlich heftige und kompromisslose Andeutung der Welt zu versuchen.

Momentaufnahme III: Uhlig ist Meisterschüler der Akademie. Er hat die Aufgabe, in einem Betrieb zu zeichnen, die Erinnerung ist jedoch unscharf. Scharf hingegen: gleich, ob heißer Sommer oder Kälte, Uhlig geht mit Reißbrett, Rohrfeder, Pinsel und Tusche, Berlin zu erobern. Er arbeitet hart vor dem Motiv. Die zeichnerischen Mittel sind einfach. Klare nebeneinanderstehende kurze Striche. Was er sucht, ist nicht Atmosphäre, sondern die Erfassung des Gegenstandes. Die Zeichnungen nehmen keinen fremden Stil auf, seinen späteren nicht vorweg, sie sind langsame Vorbereitungen, einer Art Vermessung seines Talents. Beim gemeinsamen Betrachten der Blätter fällt von ihm immer wieder der Satz: „Da hab ich mich geschunden.“ So wird es, glücklicherweise, bleiben. Wem dieses Bekenntnis unkünstlerisch erscheint, sollte nachdenklich werden. Gerade für die Besten ist Kunst nichts Leichtes, aber man sollte ihr den Schweiß nicht ansehen. Das Schöpferische ist immer Geburt.

Momentaufnahme IV: Gespräche über Paul Holz beim Besuch in Uhligs kleinem, von Druckerpressen zusätzlich eingeengtem Atelier im Dresdner Künstlerhaus. Die Enge und Dürftigkeit ist lästig, er hat sie angenommen und in Weite verwandelt. Durch Lohnarbeit als Drucker hat er sich die ökonomische Freiheit zu eigner Entwicklung erzwungen. Die ersten Malerbildnisse sind entstanden. Der didaktisch-kurze Strich seiner Berliner Zeit ist langen, den Gegenstand umgreifenden Linien gewichen. Der Anfang zu seinem späteren Stil, der aus seinem Verhältnis zur Wirklichkeit wächst, ist gemacht: Uhlig umreißt Volumen, er spinnt sie ein, mit vehementen, immer dichter werdenden Linien, Linienbündeln, die unendlich viele Profile sind; er legt Schlingen um seine Gegenstände, die schließlich einen Kokon bilden.

Dieser Kokon, eng und enger gesponnen, zerstört nicht Wirklichkeit, das Leben, sondern beschützt und bewahrt es. Was viele Betrachter erschreckt, ist der Verlust des vordergründigen Abbildes. Uhlig sucht den Puls, das Herz der Dinge, ihr Wachstum, ihre Struktur.
Gespräch über unsere Erfahrungen beim Porträtieren, der natürlichen Neigung der Modelle, zu posieren. Uhlig: „Ich nehme mir Zeit, warte, bis sie – die Modelle – ermüden, die Kraft zur Selbstdarstellung verlieren und in sich zusammensacken. Erst dann werden sie wahr, dann zeichne ich wirklich.“

Der innere Auftrag, das Maß, mit dem seine ganze spätere Arbeit in Zeichnung, Druckgrafik und Malerei zu messen ist, ist formuliert: Es geht ihm nicht um die Epidermis, sondern um das Fleisch, nicht um den Schein, sondern um das Wesen.

Was muss noch gesagt werden?
Momentaufnahme V: Fünfzehn Jahre später in der Werkstatt des Berliner Litho-Druckers Klaus Wilfert. An den Wänden hängen Ausdrucke bekannter, einiger herausragender Künstler. Es gibt Lithografien, die über das technisch Vollkommene hinaus Botschaften mitteilen. Aber sie werden, so jedenfalls an diesem Tag, zweitrangig vor einem großformatigen Blatt von Max Uhlig: zwei Köpfe, ein Paar? ein Doppelbildnis? Der Vorwurf ist unwichtig, was mich betroffen, ja glücklich macht, ist die Substanz, die innere Geradheit, die Würde dieser Menschen, ihre, ich scheue den hohen Ausdruck nicht, unantastbare Erhabenheit.