1975
Werner Stötzer
Nach dem Studium in Weimar und Dresden wird Werner Stötzer Meisterschüler von Gustav Seitz an der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin. Seit Mitte der 1960er Jahre arbeitet er intensiv an seinem Hauptthema, dem Torso: „Meine Aufgabe als Bildhauer sehe ich darin, den Stein so aufzubrechen, dass er immer wieder neue Kraft erhält [...] Das ganze ist sozusagen ein Akt des Gespürs, des Instinktes. Aus dem Abhacken entwickeln sich auf einmal neue Möglichkeiten, Felder und Dimensionen, die mich vorsichtig werden lassen [...] Am Stein kann man nur abhacken. Man fügt dem Stein formmäßig etwas hinzu, indem man ihm Materie nimmt. Das Hacken ist also kein Verletzen“. (Werner Stötzer, 1991)
„Ich wollte neue Formen setzen und noch das spürbar belassen, was der Stein von sich aus als Eigenleben mitbrachte, als er in meine Hände gelangte.“
Textbeiträge zur Preisverleihung
„Der Bildhauer Werner Stötzer hat mit seinen Werken [...] wesentlich dazu beigetragen, dass die humanistische Tradition der deutschen Bildhauerkunst in der DDR nicht nur gewahrt, sondern auch zeitbezogen fortgebildet worden ist.“ (Auszug Begründung)
Der Bildhauer Werner Stötzer hat mit seinen Werken – von dem Bronzerelief Fragen eines lebenden Arbeiters (1959/60) bis zu der Großen Liegenden in Sandstein (1972) – wesentlich dazu beigetragen, dass die humanistische Tradition der deutschen Bildhauerkunst in der DDR nicht nur gewahrt, sondern auch zeitbezogen fortgebildet worden ist. Werner Stötzer, der bei Eugen Hoffmann, Walter Arnold und Gustav Seitz studiert hat, gestaltet als Bildhauer sein Verhältnis zur Welt im Element des Menschlichen, das er mit fortschreitender Intensität zum menschlich Elementaren gleichnishaft erhöht und verknappt.
Stötzer sagt, was ihn bewegt, hauptsächlich im Akt. Seine Große Liegende. In memoriam Johannes Bobrowski (1966) kann als Schlüsselwerk gelten, ebenso seine Katastrophen und Idyllen gegenüberstellende Bronzetür für das Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg (1966–1968). Der Bildhauer vertraut bei dieser Tilgung des Erzählerischen auf den aktiven, zur Mitarbeit bereiten Betrachter, der Andeutungen zu verstehen, Gleichnisse auf seine Situation zu beziehen und das Ethos der Formgebung auf sich wirken lassen weiß.
Stötzers Wirklichkeitssinn hält ihn ebenso davon zurück, das zeitgenössische Kostüm unbesehen zu übernehmen wie die entleerte Normativität klassizistischer Aktdarstellung zu akzeptieren. Vielmehr bemüht sich der Künstler, in der oft schweren Leibhaftigkeit seiner Figuren die Gegenwärtigkeit seines Erlebens auszudrücken. Im Laufe der sechziger Jahre ist es ihm immer besser gelungen, den Gestus seines Produzierens nicht durch die Vollendung des Werkes aufzehren zu lassen, sondern ihn als lebendige Mitte des Gehalts zu bewahren. So überlagert sich der Realitätsnähe seiner Akte eine Auffassungsweise, die das Werk ausdrücklich als persönliches Bekenntnis artikuliert. Werner Stötzers Kunst des „in die Form zurückgenommenen, in der Form eingeborgenen Ausdrucks“ (Claude Keisch) hat auf die jüngeren Bildhauer der DDR stark gewirkt.
Hinter der scheinbar nur handwerklich begründeten Verachtung des schnellen Arbeitens im widerstandslos bildsamen Material steht bei Stötzer die verantwortungsvolle Ablehnung jeder dreisten Manier, die dem Material, aber auch der Wirklichkeit, ein Schema, ein Vorurteil überwerfen will. Denn hierbei müsste gerade das Wichtigste versäumt werden: der Prozess des Reifens, des Sicherwerdens in der geistigen Bewältigung eines Vorwurfs, die achtungsvolle Begegnung mit der Realität, zu der – als wichtiges Kennzeichen des Realismus – auch die Selbstkritik gehört. Der intensive Wirklichkeitsbezug ist zugleich Selbstbesinnung, das Herausarbeiten der Form zugleich die Formulierung suchendes Bekenntnis. Gerade dies Suchen, dieser Klärungsprozess wirkt auf unsere sinnlich-ethische Disposition, bewegt uns.
Die stille Lebendigkeit der Stötzerschen Arbeiten ist Resultat ihrer bildnerischen Form. Sie akzentuiert und strukturiert die Realität, hebt sie aus ihrer stummen Gleichgültigkeit heraus, schließt diesen Prozess der Wahrnehmung und des Begreifens aber nicht ab. Realität und künstlerische Formung bleiben immer als gegensätzliche Pole spürbar, deren Synthese nie von glücklicher Restlosigkeit sein kann. So sind die Arbeiten dieses Bildhauers für die Betrachtung im wörtlichen und übertragenen Sinne ein immerwährender Anfang. Darum wirken auch seine thematisch bestimmteren Arbeiten – wie die Babi-Jar-Reliefs (1967–1970) – nicht als abschließende Feststellung, sondern als Anruf und Frage, verweisen sie auf die Gegenwart, sind sie Denkmäler in hervorragendem Sinne.
Laudatio, vorgetragen von Wieland Förster anlässlich der Preisverleihung 1975:
Die Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik hat beschlossen, die Verleihung ihres Preises für bildende Kunst, der den Namen von Käthe Kollwitz trägt, in diese Tage der Feierlichkeiten ihres 25-jährigen Bestehens zu legen. Es ist gewiss nicht zufällig, dass er dem Bildhauer und Zeichner Werner Stötzer zugesprochen wurde.
Wir ehren heute also einen Künstler, der, und hier können wir uns nicht anmaßen eine Entdeckung gemacht zu haben, schon lange das Gesicht unserer Bildhauerei entscheidend mitbestimmt, der aber, trotz eines großen Kreises von Anhängern und Bewunderern bis heute kaum offiziell geehrt wurde. Immerhin, Stötzer war der erste Träger des Lammert-Preises, der in der Verwaltung der Akademie ruht, und diese Tatsache erinnert uns deren, dass schon früh seine Begabung, und das Versprechen und die Erwartung, die darin zu suchen ist, erkannt wurde.
Eigentlich wäre ich nun angehalten über den personellen Werdegang und die Bedeutung des einen oder anderen Einzelwerkes zu sprechen; vor allem über diejenigen Arbeiten, die im Blickfeld der Öffentlichkeit liegen. Ich entlasse mich aber guten Gewissens aus dieser Pflicht, denn ich habe Bedenken am rasch gefällten, oder nur vom Geschmack diktierten Urteile. Ich glaube vielmehr an eine Würdigung des bisherigen Gesamtwerkes. Denn Künstlertum, zumal wenn es sich wie Stötzer in der Selbstverantwortung vollzieht, bewährt sich als Ganzes, und für mich bedeutet das: kontinuierliche Entwicklung. Wie also als Außenstehender, als Betrachter und Bewunderer sagen, welches Werk den Keim für das Kommende, für das, was wir noch erwarten dürfen, in sich trug. Hier geht es in diesem Fall nicht anders als beim Betrachten einer Spirale, sie steigt aufwärts, ohne dass ich den eigentlichen Punkt des Höherwerdens feststellen kann.
Soviel sei aber gesagt, dass es Werner Stötzer gelungen ist, eine von Anbeginn seiner Arbeit sich deutlich abzeichnende große Begabung klug und umsichtig zu verwalten und sie im Laufe der Jahre auszubauen zu der uns allen bekannten Konsequenz seines wirklich bildhauerischen Wirkens. Nicht anders in seinem Leben; denn allzu leicht wird vergessen, dass zwischen der der Begabung zukömmlichen Lebenshaltung und dem Werk und seiner Wirkung engste Beziehungen bestehen. Und wenn wir auf die Aufzählung von Einzelwerken verzichtet haben, so will ich es mir nicht nehmen lassen, wenigstens auf seine bedeutsame Leistung als Steinbildhauer, auf die Erforschung seiner Möglichkeiten in diesem Material, hinzuweisen. Stötzer ist es gelungen, die Arbeit im Material vor allem den jüngeren Kollegen wieder ins Bewusstsein zu rufen. Hier, am Stein, hat er seine Ausdrucksskala und seine Reife besonders deutlich zu machen verstanden, gewann Freiheit an der Handhabung der Form, und er ging diesen Weg bis zur subtilsten Ausbeutung von Figur, Volumen, Struktur und dem Reiz des Fragments. Er ging diesen Weg bis zum Grenzfalle hin, und ich bitte Sie, das als das zu verstehen, was es für mich heißt: jede bedeutende Kunst ist Grenzfall, ist Gratwanderung.
Werfen wir an diesem Tag doch noch einen Blick auf nicht zu übersehende Zusammenhänge. Stötzer gehört zu der Generation, die wenige Jahre nach der Neugründung der Akademie der Künste zu studieren begann und gegen Ende der sechziger Jahre in dieses Haus als Meisterschüler einzog. Während die Generation der Lehrer ihr humanitäres Bewusstsein, ihre Kunst, den Prüfungen des Faschismus, dem Krieg, der Emigration gegenüberzustellen hatte, verblieb sie zur gleichen Zeit aber auch im Bildungsgange der deutschen Künstlertradition – zwischen Café Größenwahn und Villa Massimo. Die Auseinandersetzung mit der Antike und der italienischen Renaissance war ihnen Hilfe in der Selbstfindung. Den heute Vierzig- bis Fünfzigjährigen ist es indessen möglich gewesen, im Frieden ihre Arbeit zu leisten, aber auch aufgegeben, sozusagen am Orte, in Berlin oder Dresden oder Rostock, in und an sich jene Prozesse zu lenken, welche die Konfrontation mit europäischer Bildhauerei zu fördern in der Lage ist. Die Kunstwissenschaft wird das eines Tages berücksichtigen müssen. Denn ist es nicht erstaunlich, dass sich hier eine ganz anders geartete, aus der Tradition gelöste Entwicklung vollzog, unbemerkt wie mir scheint. Erstaunlich deshalb, weil, wie wir alle wissen, es schwer ist, von innen heraus seinen künstlerischen Standort zu finden und zu festigen.
Ein Kunstpreis erhält seinen wirklichen Wert nicht, so wie es oft geglaubt wird, durch die Höhe seiner Dotierung, sondern vielmehr durch den Wert und die Leistung derjenigen, die ihn verliehen bekommen haben. Ich sage das, lieber Werner Stötzer, in dem Gefühl, dass der Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste durch die Verleihung an Dich einen Zuwachs an Wert bekommen hat und wünsche Dir, dass Du, wie es nun einmal die Gepflogenheit dieses Preises ist, mit genau so viel kollegialer Freude die Laudatio für Deinen Nachfolger schreiben kannst wie ich es tun konnte!
Danksagung von Werner Stötzer anlässlich der Preisverleihung 1975:
Als sechzehnjähriger Junge sah ich zum ersten Mal in meinem Leben Zeichnungen von Käthe Kollwitz. Die Zeichnungen trafen mein hungerndes Herz, der Krieg war zu Ende und der Frieden hatte begonnen.
Tod und Leben führen einander an der Hand wie die zeitlich verschränkten Stimmen der Fuge. Dem Krieg war ich entkommen, aber die Wahrheit mussten ich und viele suchen. Und so lernte ich durch die Arbeit der Käthe Kollwitz zwischen Lüge und Wahrheit in der Kunst zu unterscheiden.
Die Wahrhaftigkeit ihres Fühlens und Denkens lag als offenes Buch vor mir. Es war gezeichnet, schwarz auf weiß, hart und ohne Kompromiss, rückhaltlos. Freilich, das spürte ich, und später las ich darüber, sie hat für ihre Haltung teuer bezahlt; mit einer erhöhten Fähigkeit zum Schmerz.
Zwei Kriege, Tod des Sohnes, Revolution und Faschismus. An ihrem Beginn das Selbstbildnis mit dem Kind und am Ende die Pietà, das war ihr langer Weg; dazwischen aber, auf den Stationen und an den Wegezeichen, erlebte sie die Höhe ihrer Kunst und das Glück, von vielen Menschen verstanden zu werden. Da spürte sie sich selbst wohl am wenigsten, weil sie ja an andere dachte.
1944 notierte ihre Enkeltochter den Satz der nun alten Frau: „Doch ich liebe Deutschland sehr, sehr, aber mehr liebe ich die neue Idee, die Idee der Bruderschaft der Menschen.“
Mir scheint, dass die Worte Paul Éluards für sie geschrieben sind: „Das ist das sanfte Gesetz der Menschen, das Wasser in Licht zu verwandeln, den Traum in Wirklichkeit und die Feinde in Brüder.“