2013
Eran Schaerf
Die Arbeiten von Eran Schaerf sind künstlerische Recherchen im Informationszeitalter und Untersuchungen von Text-Bild-Verhältnissen. Sie changieren zwischen dokumentarischer Wiedergabe und inszenierter Erzählung. Schaerf untersucht, wie sich Vertreter und Vertreterinnen aus Politik und Gesellschaft medial inszenieren. Ein zentraler Aspekt seiner Arbeit befasst sich mit gelebter Meinungs- und Pressefreiheit in Form von Demonstrationen und dem, was diese tatsächlich „zeigen“: Menschen, die auf historische Ereignisse oder politische Konstellationen verweisen. Grundsätzliche Fragen nach Informationen, ihrer Preisgabe oder Geheimhaltung, nach ihren Quellen und deren Verunklärung werden aufgegriffen. Es geht um Original und Fake, Bilder und persönliche Ansichten.
Textbeiträge zur Preisverleihung
„Wir ehren mit diesem Preis eine rare künstlerische Position, die sich keiner Bewegung von Gleichgesinnten oder eines kuratorischen Gemäuers versichern musste, um ihre Sprache zu setzen.“ (Auszug Begründung)
Eran Schaerf erstellt mit seiner Kunst Denk- und Erkenntnisräume. Seine Ausstellungen sind räumliche Montagen aus Bild- und Schriftfolgen, Publikationen, möbelartigen Modulen, hängenden und hingelagerten Objekten und vorgefundenen Einrichtungen, zusammengehalten von vergangenen und gegenwärtigen performativen Akten, begleitet von Hörstücken und bewegten Bildern. Der Zuschauer bewegt sich im Innenleben einer Dokumentation, die ihre Mittel fragmentarisch ausstellt. Sein Material sind Gewichte, Gegengewichte und Verankerungen, gelochte Papiere, Kopien von Zeitungsausschnitten und Buchseiten. In der Größe variable, aus Spannseilen geformte Sprechblasen, deren Umrandungen Schatten in ihr leeres Innen werfen, erzeugen Illusionen von Perspektiven. Bilder, Bücher und Schrifttafeln auf seltsam beschnittenen Flächen hängen in Bündeln wie die Beute eines Pelztierjägers an Leinen von der Decke oder an den Wänden. Oft sind Bänder, Gummizüge, Kordeln, Spindeln, Weberschiffchen und Nadeln aus Stoffe verarbeitenden Werkstätten Bestandteile seiner Ensembles. In einer Phantasie über Eran Schaerfs Atelier könnte das Ambiente einer Schneiderei auftauchen. Aber eigentlich interessiert sein Atelier nicht, weil er das, was daran interessieren könnte, in seinen Ausstellungen selbst preisgibt. Die Ausstellung ist die Werkstatt, und der Besucher nimmt an der Arbeit des Künstlers teil.
Offenbart wird die Inszenierung und Kulissenhaftigkeit von Dingen, Situationen und Prozessen. Das im öffentlichen Raum Gesagte und Versendete, die Autorität des Gedruckten und Veröffentlichten, der Wahrheitsgehalt des Falschen und das Falsche im Wahren werden verhandelt und zum Schauspiel. Märchenfiguren, die Märchen erzählen, inszenierte, erfundene, zitierte und performierte Nachrichten: die notwendig sarkastische Parodie eines sozialen Netzwerkes und die Analyse einer vorgeblichen Interaktivität und einer immer wieder hakenschlagenden Scheinkommunikation. Das Leben lebt nicht, und die Kommunikation kommuniziert nicht. Beides sind vielmehr Prozesse, die über sich selbst hinausreichen. Aufzuklären, wie sie das tun und was sie damit anrichten, bleibt das fortlaufend zu sichtende Geheimnis. Dem gegenüber steht das leicht Verständliche, dem der Wunsch nach Geldgleichheit aus dem Antlitz springt.
Zurück bleibt viel Weiß. Unbeschriebene Blätter, verlassen dastehende Illustrationen zu verschwundenen und zerstückelten Texten. Und doch ist der künstlerische Impetus der Montage dabei kein symbolistischer Akt, keine immer wieder neu hervorgekratzte Leere, sondern ein Umgehen mit realen Leerstellen, die ein Künstler, der heute noch bei Trost ist, zwar zitiert, aber nicht verdoppelnd neu erzeugt. Die oft zitierte künstlerische Auseinandersetzung mit dem leeren Blatt, der leeren Wand oder dem leeren Raum wird zu einem Kampf mit deren Überfülle und Gestopftheit. Deren Bestandteile werden neu bewertet und angeordnet, gegebenenfalls auch entleert. Die Welt ist von vornherein eine randvoll bedruckte und von allen möglichen Kräften gezeichnete. Sie lässt sich nicht neu schöpfen, sondern nur neu nachzeichnen. Und jede ernstzunehmende Kunstform stößt eine vorhergehende nicht um, sondern hebt sie auf und überführt sie in ein neues Ensemble. Die Dinge sind vermittelt, ein einfaches Wiedererkennen ist ausgeschlossen. Aber sie sind unweigerlich anwesend oder tauchen in einem verschärften Kontext transformiert wieder auf. Eran Schaerfs Arbeiten sind gegenständlich und begnügen sich nicht mit der Seelenruhe eines Konzeptes, die darin bestünde, dass man von einer Gesellschaft der Gutmütigen ausgeht, die mitdenkt und unbesehen alles versteht. Die Gegenstände sind in den von ihm geschaffenen Konstellationen neu zu erkennen und schließlich so zu ertragen, wie man die Wahrheit zu ertragen hat.
Wir ehren mit diesem Preis eine rare künstlerische Position, die sich keiner Bewegung von Gleichgesinnten oder eines kuratorischen Gemäuers versichern musste, um ihre Sprache zu setzen. Das Werk Eran Schaerfs steht in großer Distanz zu einer Kunst, die sich allzu bereitwillig von den Agenturen ihrer Vermittlung abhängig gemacht hat. Vermittlung ist selbst eines seiner zentralen Themen. Und zu ehren ist auch die Lehre, die Eran Schaerf mit Studierenden betreibt, da ihm doch der Vorwurf zur Ehre gereicht, die eine an der Wirklichkeit irregewordene Kunsthochschule einst gegen ihn meinte erheben zu müssen, nämlich der, dass seine Schüler zu viele Bücher läsen. In Dummheit zu schwelgen, bleibt immer eine Option. Aber nicht immer ist die Zeit oder war es möglich, dieser Tatsache mit Humor zu begegnen.
Einen Hinweis auf das sogenannte Politische gebietet nicht nur die Namensgebung dieses Preises. Die Naivität oder Verschlagenheit, mit der der Begriff des Politischen ins künstlerische Treiben und Geschäftsleben eingeführt wurde und haltlos Bewertungen abgibt, spricht für sich. Auch lehrt uns die jüngere Geschichte des Politischen, dass das Gebiet ihrer Bedeutungszuweisungen ein unsicheres, interpretativ ambivalentes Unterfangen und vom jeweiligen Zeitgeist verbranntes Gelände ist. Der Terror beginnt nicht erst dann, wenn das Politische verbraucht und in pure Gewalt umgeschlagen ist. Diese Tatsache selbst mit Ausdauer auszustellen und vielschichtig zu beweisen, ist das große Verdienst des Werkes von Eran Schaerf.
Heinz Emigholz
Der Jury gehörten an: Hubertus von Amelunxen, Heinz Emigholz und Ulrich Erben
Laudatio, vorgetragen von Heinz Emigholz anlässlich der Preisverleihung am 20. September 2013:
Heute Morgen hat es anlässlich der Pressekonferenz zur diesjährigen Vergabe des Käthe-Kollwitz-Preises die Bemerkung eines verehrten Kollegen zum Werk Eran Schaerfs gegeben, die sich als großes Lob auf dessen Arbeit verstand und so lautete: Eran Schaerf sei ein Künstler für Künstler!
Das hoffe ich natürlich auch, aber ich hoffe darüber hinaus, dass seine Kunst auch eine für Menschen ist, die sich nicht als Künstler verstehen, die aber den Freiraum, den sich Kunst für ihre Unternehmungen sucht und genommen hat, für eigene Erkenntnisprozesse nutzen und genießen. Künstler sehe ich in diesem Zusammenhang nicht als besonders herauszuhebende Erkenntnisträger. Der Tellerrand des eigenen Werkes scheint dafür manchmal doch zu unüberwindbar. Sagen wir also, das hier ausgezeichnete Werk ist erst einmal für alle da, denn es schließt in seinen Argumentationslinien niemanden aus.
Die Zugänglichkeit zur Kunst und ihrer möglicherweise komplexen und nicht sofort benennbaren Produkte und Prozesse ist natürlich ein Politikum, ebenso wie die Nachzeichnung ihrer Wirkungsgeschichten eines ist. Gerade auch die Namensgebung dieses Preises gebietet einen Hinweis auf diese Sphäre. Die Naivität oder Verschlagenheit, mit der der Begriff des Politischen ins künstlerische Treiben und Geschäftsleben eingeführt wurde und dort haltlos Bewertungen abgibt, spricht für sich. Auch lehrt uns die jüngere Geschichte des Politischen, dass das Gebiet ihrer Bedeutungszuweisungen ein unsicheres, interpretativ ambivalentes Unterfangen und vom jeweiligen Zeitgeist verbranntes Gelände ist. Der Terror beginnt nicht erst dann, wenn das Politische verbraucht und in pure Gewalt umgeschlagen ist. Diese Tatsache selbst mit Ausdauer auszustellen und vielschichtig zu beweisen, ist das große Verdienst des Werkes von Eran Schaerf.
Er stellt mit seiner Kunst Denk- und Erkenntnisräume her. Seine Ausstellungen sind räumliche Montagen aus Bild- und Schriftfolgen, Publikationen, möbelartigen Modulen, hängenden und hingelagerten Objekten und vorgefundenen Einrichtungen, zusammengehalten von vergangenen und gegenwärtigen performativen Akten, begleitet von Hörstücken und bewegten Bildern. Die Zuschauer und Zuhörer bewegen sich im Innenleben einer Dokumentation, die ihre Mittel fragmentarisch ausstellt.
Eran Schaerf arbeitet dabei mit den Gegebenheiten vorhandener Räume. Architektonische Einrichtungen, Lichtführungen werden in die Komposition und Ausrichtung seiner Installationen einbezogen. Die Räume werden quasi umgebogen, um die Bauteile eines Argumentationsgebäudes auszubreiten und so eine räumlich-ästhetische Erfahrung zu ermöglichen. Erzeugt wird ein mit theatralischen Mitteln arbeitender Kommentar.
Eran Schaerfs Material sind Gewichte, Gegengewichte und Verankerungen, gelochte Papiere, Kopien von Zeitungsausschnitten und Buchseiten. In der Größe variable, aus Spannseilen geformte Sprechblasen, deren Umrandungen Schatten in ihr leeres Inneres werfen, erzeugen Illusionen von Perspektiven. Bilder, Bücher und Schrifttafeln auf seltsam beschnittenen Flächen hängen in Bündeln wie die Beute eines Pelztierjägers an Leinen und Ketten zum Trocknen von der Decke oder an den Wänden. Oft sind Bänder, Gummizüge, Kordeln, Spindeln, Weberschiffchen und Nadeln aus Stoffe verarbeitenden Werkstätten Bestandteile seiner Ensembles. In einer Phantasie über Eran Schaerfs Atelier könnte das Ambiente einer Schneiderei auftauchen. Aber eigentlich interessiert sein Atelier nicht, weil er das, was daran interessieren könnte, in seinen Ausstellungen selbst preisgibt. Die Ausstellung ist die Werkstatt, und der Besucher nimmt an der Arbeit des Künstlers teil.
Die Ausstellung „Disorder of Appearance“, die sie oben sehen können und die nicht nur im Titel eine Replik auf die üblichen Ordnungsphantasien in medialen Produkten darstellt, ergänzt die vorherige Aufzählung durch ein seltsames Panorama. In einem durch Gaze-Vorhänge abgeteilten, von außen nebelhaft erscheinenden, aber zu betretenden Raum, hängen Gegenstände, Schriftstücke und Druckwerke an Ketten und Plastikhandschellen von der Decke und kommentieren auf ihre Weise ein Potpourri von sich widersprechenden Nachrichten, die sich in den digitalen Suchmedien um fünf dort von Eran Schaerf vorgefundene Abbildungen ranken. Die an den Ketten collagierten Gegenstände sind sozusagen aus dem Abbildungsstatus herausgelöst und in die dreidimensionale Welt zurückversetzt worden.
Offenbart wird die Inszenierung und Kulissenhaftigkeit von Dingen, Situationen und Prozessen. Das im öffentlichen Raum Gesagte und Versendete, die Autorität des Gedruckten und Veröffentlichten, der Wahrheitsgehalt des Falschen und das Falsche im Wahren werden verhandelt und zum Schauspiel. Märchenfiguren, die Märchen erzählen, inszenierte, erfundene, zitierte und performierte Nachrichten: die notwendig sarkastische Parodie eines sozialen Netzwerkes und die Analyse einer vorgeblichen Interaktivität und einer immer wieder hakenschlagenden Scheinkommunikation. Das Leben lebt nicht, und die Kommunikation kommuniziert nicht. Beides sind vielmehr Prozesse, die über sich selbst hinausreichen. Aufzuklären, wie sie das tun und was sie damit anrichten, bleibt das fortlaufend zu sichtende Geheimnis. Dem gegenüber steht das leicht Verständliche, dem der Wunsch nach Geldgleichheit aus dem Antlitz springt.
Alle Arbeiten Eran Schaerfs richten sich gegen eine Reduktion des Komplexen, und gegen die Politiken einer mit Vereinfachungen arbeitenden Popularisierung. Die Empathie und Parteinahme, die seinen Arbeiten zugrunde liegt, wird nicht abgefragt, und er predigt nicht zu den schon Überzeugten. Die Mittel des Dokumentarischen, die so oft auf Erzeugung von Eindeutigkeiten Wert legen (so als sei das die Erlösung aus den Dilemmata komplexer Situationen) werden im Zusammenhang seiner Arbeit auseinandergenommen und theatralisch aufgeführt. Die Zeitspanne zwischen einem Ereignis und der Veröffentlichung dazugehöriger Nachrichten wird als ein Fabrikationsraum sichtbar gemacht, in dem alle möglichen politischen Eingriffe stattfinden und öffentliches Bewusstsein geformt wird. Die politische Relevanz von Schaerfs Arbeit findet sich gerade in der Offenlegung der vielfach verschrobenen Konstruktionen des Narrativen in diesen Organen der Öffentlichkeit; naturgemäß heute in den digitalisierten Nachrichten- und Bildströmen.
Bilder und skulpturale Objekte sprechen viele Sprachen und sie unterliegen in unverschämter Weise vielen Bedeutungszuweisungen. Sie sind in Eran Schaerfs Arbeit keine Rückzugs- oder Ausdrucksorte letzter Wahrheiten, sondern osmotische Gebilde, die von vielen Richtungen her, besonders auch aus dem nahezu anonymen Raum der Kommunikationsströme, mit Bedeutungen und Absichten besetzt werden.
Das ist eine komplexe, fast unauflösbare Situation, von der man sich abwenden mag, weil sie das angeblich Wesentliche, das sich nur durch Reduktion darstellen ließe, nur andauernd weiter verschleiert. Weicht man dieser Komplexität aber nicht aus, so ergibt sich ein neuer, vormals nicht fassbarer, jetzt aber theatralisch gefüllter Zwischenraum, in dem sich die Bedeutungen überlagern, widersprechen, ja nahezu bekämpfen, aber auf jeden Fall eine Verhandlung darüber führen, was das überhaupt sei – eine Bedeutung oder eine Nachricht. Verlässt man diesen Raum wieder, wird man sich jedenfalls nicht mehr wie zuvor nach einer Nachricht richten. Man wird vielmehr anstelle eindeutiger Positionen Verkleidungen und Identitätsspiele als wesentliche Elemente und Prozesse der politischen Öffentlichkeit und der sogenannten Realität entdeckt haben. Und das ist etwas ganz Anderes als immer nur die Relativität alles Guten und Bösen zu konstatieren, oder sich etwa nur dem proklamiert Guten oder Bösen verpflichtet zu fühlen.
In den Installationen von Eran Schaerf bleibt viel Weiß. Diffuse, nebelhafte Räume, angestrahlte Wände, vor denen sich Silhouetten abheben. Es gibt unbeschriebene Blätter, verlassen dastehende Illustrationen zu verschwundenen und zerstückelten Texten. Und doch ist der künstlerische Impetus der Montage dabei kein symbolistischer Akt, keine immer wieder neu hervorgekratzte Leere, sondern ein Umgehen mit realen Leerstellen, die ein Künstler, der heute noch bei Trost ist, zwar zitiert, aber nicht verdoppelnd neu erzeugt. Die oft zitierte künstlerische Auseinandersetzung mit dem leeren Blatt, der leeren Wand oder dem leeren Raum wird zu einem Kampf mit deren Überfülle und Gestopftheit. Deren Bestandteile werden neu bewertet und angeordnet, gegebenenfalls auch entleert. Die Welt ist von vornherein eine randvoll bedruckte und von allen möglichen Kräften gezeichnete. Sie lässt sich nicht neu schöpfen, sondern nur neu nachzeichnen. Und jede ernstzunehmende Kunstform stößt eine vorhergehende nicht um, sondern hebt sie auf und überführt sie in ein neues Ensemble. Die Dinge sind vermittelt, ein einfaches Wiedererkennen ist ausgeschlossen. Aber sie sind unweigerlich anwesend, oder tauchen in einem verschärften Kontext transformiert wieder auf.
Eran Schaerfs Arbeit ist eine gegenständliche und begnügt sich nicht mit der Seelenruhe eines Konzeptes, die darin bestünde, dass man von einer Gesellschaft der Gutmütigen ausgeht, die mitdenkt und unbesehen alles versteht. Die Gegenstände und gesellschaftlichen Situationen sind in den von ihm geschaffenen Konstellationen neu zu erkennen und schließlich so zu ertragen, wie man die Wahrheit zu ertragen hat.
Tonmitschnitte der Preisverleihung
Laudatio (Heinz Emigholz)