2018

Adrian Piper

Die amerikanische Künstlerin und analytische Philosophin Adrian Piper prägt die Konzeptkunst in den USA bis heute maßgeblich durch ihre Papierarbeiten, Videos, Multimediainstallationen, Gemälde, Soundarbeiten sowie ihre Grafiken, die auf Text und Fotografie basieren. Mit Themen wie Geschlecht und Rasse erweitert Piper das Spektrum der Konzeptkunst und des Minimalismus der ersten Generation. Seit den späten 1960er Jahren hinterfragt sie kontinuierlich die politischen Bedingungen für die Produktionsprozesse von Kunst sowie deren Rezeption und Bedeutung. In ihrem künstlerischen Ansatz findet Piper zu einer minimalistischen und gleichermaßen poetischen Formensprache, die ein breites Publikum anspricht.

Textbeiträge zur Preisverleihung

„Seit den späten 1960er Jahren hinterfragt Adrian Piper kontinuierlich die politischen Bedingungen für die Produktionsprozesse von Kunst, aber auch deren Rezeption und Bedeutung. Ihre einstige Aussage ,the power of art is unlimited for social change‘ hat heute weder an Kraft noch an Aktualität verloren.“ (Auszug Begründung)

Die amerikanische Künstlerin und analytische Philosophin Adrian Piper hat durch ihre Papierarbeiten, Videos, Multimediainstallationen, Gemälde, Soundarbeiten, fotografisch- und textbasierten Grafiken die Konzeptkunst in den USA bis heute maßgeblich geprägt. Mit Themen wie Geschlecht und Rasse erweiterte sie das Spektrum der Konzeptkunst und des Minimalismus der ersten Generation. Seit den späten 1960er Jahren hinterfragt Adrian Piper kontinuierlich die politischen Bedingungen für die Produktionsprozesse von Kunst, aber auch deren Rezeption und Bedeutung. Ihre einstige Aussage „the power of art is unlimited for social change“ hat heute weder an Kraft noch an Aktualität verloren. Pipers Formensprache, die darin enthaltene Poesie ebenso wie ein subtiler Humor berühren auch ein der Konzeptkunst weniger zugeneigtes Publikum.

Nach einer frühen und intensiven Auseinandersetzung mit malerischen Prozessen und Konzepten, etwa in Werken und Texten von Sol LeWitt, begann sie sich in den 1960er Jahren der Sprache zu widmen. Gegenüberstellungen von Wort, Text und Zahlenkombinationen auf der einen und der Faktoren Raum und Zeit auf der anderen Seite stellten eine Verknüpfung zu ihren konzeptuellen Untersuchungen mit der experimentellen und performativen Erforschung ihres Körpers dar. Bild- und identitätskritische Betrachtungen des eigenen Körpers als Objekt führten zu der Einsicht, dass dieses auf sich selbst und auf andere Objekte verweisen kann. Die Dokumentation ihrer täglichen Zeitungslektüre bis hin zu ihren frühen Performances Anfang der 1970er Jahre verdeutlichen, wie Adrian Piper ihre Kunstwerke und ihre Auffassung von Kunst in New York im Rahmen von Performances im kunstfreien öffentlichen Raum, ihrem sozialen Umraum implementierte. Die fotografischen Dokumentationen und deren Bearbeitung mit Zeichnung und Erzählung spielen dabei eine wesentliche Rolle. Zur gleichen Zeit entstand auch als Konsequenz aus dem vorherigen Arbeiten ihr Alter Ego, die Kunstfigur Mythic Being: eine männliche rauchende Person mit Afrofrisur, dunkler Sonnenbrille und Schnurrbart. Diese Selbstdarstellung wird in Anzeigen von Tageszeitungen verortet, geht durch die Straßen, gibt 1973 Peter Kennedy ein Interview und verwandelt sich live vor der Kamera oder in comicartigen Bildserien mit kommentierenden Sprechblasen, die an das Publikum gerichtet sind. Die Hinwendung ihrer Arbeit zur Performance vollzog sich jedoch, ohne mit dem Minimalismus oder dem Konzeptualismus zu brechen – ein anregender Bezug der damals bahnbrechenden minimalistischen Performances der 1960er Jahre lässt sich ablesen.

Ab 1970 begann Adrian Piper am City College in New York unter anderem Philosophie zu studieren, da philosophische Lehren zunehmend Relevanz in ihrem künstlerischen Schaffen erfuhren. Ihre wissenschaftlichen Laufbahn als Philosophin intensivierte sich Anfang der 1980er Jahre an der Harvard University mit ihrer Promotion über Rationalität bei John Rawls sowie ihren Studien zu Immanuel Kant, Metaethik und Ethikgeschichte, die sie 1977 an die Universität Heidelberg führten. Xenophobie, die Natur des Selbst sind von ihr direkt angesprochene Themen, allerdings nicht in der Form elitärer Sprachmodi, sondern für den Betrachter und die Betrachterin auch direkt und unmittelbar verständlich und damit Reaktionen hervorrufend. In den späteren von Adrian Piper einberufenen Funk Lessons (1982–1983) kollaborierten Schwarze und Weiße beim Tanzen zu Funk-Musik als einem unverwechselbaren Idiom für afro-amerikanische Kultur im Sinne einer Sprache von zwischenmenschlicher Kommunikation und kollektiver Selbstdarstellung. Seit Anfang der 1970er Jahre, ausgelöst durch die Bürgerrechtsbewegungen in den USA, gab es ein wachsendes Interesse an afro-amerikanischer Musik und daran, die eigenen Stereotype von Afro-Amerikanern zu erkennen.

Adrian Pipers individuelle Form der transformativen Arbeit, die sich bis heute in den unterschiedlichsten Medien, in performativen und partizipatorischen Konzepten fortsetzt, und die Tatsache, dass sie sich stets auf ungewohntem künstlerischen Terrain bewegte, macht ihre Arbeit außergewöhnlich. Die einfühlsame Art zu denken und zu handeln lässt ihre Recherchen und Projekte zum gesellschaftlichen, ökonomischen, psychologischen und spirituellen Potential der bildenden Künste so kraftvoll und einzigartig erscheinen. Ihr Einfluss auf Künstlerinnen, Künstler und ein internationales Publikum bleibt unkalkulierbar, aber nicht ohne Konsequenz für unser alltägliches Leben und Handeln. Adrian Piper hat den Blick auf die afro-amerikanische Kunstszene nachhaltig geprägt und der weiß-männlichen Sichtweise auf Kultur im Allgemeinen einen Spiegel vorgehalten.

Der Jury gehörten an: Marcel Odenbach, Wolfgang Petrick und Wolfgang Tillmans

Laudatio von Helmut Draxler, veröffentlicht anlässlich der Preisverleihung am 31. August 2018 im zugehörigen Ausstellungskatalog:

Strukturen und Reaktionen
Adrian Pipers Transformation des Minimalismus

Nach dem Minimalismus

Adrian Pipers künstlerischer Ansatz ist vor allem durch eine Reihe von bild- und identitätskritischen Arbeiten aus den 1970er Jahren bekannt geworden. Die Performances, Bildserien und Installationen jener Zeit setzen vielfach an den eigenen persönlichen Erfahrungen an1 und bringen diese gegenüber sozialen Erwartungshaltungen und medialen Repräsentationen in Stellung. Dabei werden Fragen sozialer Differenzierung und Diskriminierung auf den Akt der künstlerischen Selbstbehauptung bezogen und damit gegen ein universalistisches Künstlerprinzip gerichtet, wie es die westliche Moderne lange Zeit dominiert hatte. Gleichzeitig thematisieren diese Arbeiten auch die Erfahrungen des Publikums, vor allem dessen direkte Reaktion auf die künstlerischen Selbstbestimmungsakte. Das heißt, hier werden spezifische Sozialisierungs- und Subjektivierungsweisen im Spannungsfeld von gesellschaftlichen und medialen Projektionen auf der einen Seite und Taktiken der künstlerischen bzw. politischen Selbstbehauptung auf der anderen betont. Ich möchte vorschlagen, den besonderen ästhetischen Einsatz Pipers, der bis weit in die 1990er Jahre hineinreicht und in gewissem Sinn bis heute andauert, genau daran festzumachen, den Raum zwischen künstlerischer Artikulation und rezeptiver Erwartung zur Szene eines Konflikts zu machen. In solchen Szenen werden normative soziale Verhaltenskodes oder mediale Stereotypen aufgerufen und auf die konkrete Situation des jeweiligen Verhaltens oder Wahrnehmens in der Rezeption bezogen. Die dadurch entstehenden Situationen lassen sich für die Beteiligten und Betrachtenden nicht mehr in das Allgemeine einer rein ästhetischen Erfahrung auflösen; sie verweisen diese vielmehr auf die Partikularität ihrer je eigenen gesellschaftlichen Positionierung zurück.

Die Anfänge von Pipers Arbeit haben jedoch wenig mit den minoritären Bildpolitiken der 1970er Jahre zu tun. Sie liegen im Minimalismus und Konzeptualismus der späten 1960er Jahre begründet, die damals den grundsätzlich bildverweigernden, rigoros repräsentationskritischen Momenten von Modernismus und Avantgarde ihren aktuellen Ausdruck verliehen. Deren formale Methoden und taktische Kalküle, bezogen auf Strukturen und Raster, Versprachlichung und Situierung, verschwinden auch keineswegs gänzlich aus Pipers späterer Arbeit. Das Problem besteht darin, dass diese Methoden und Kalküle einem anderen metaphysischen Hintergrund entwachsen sind als die betont partikularistischen Ansätze der 1970er Jahre, nämlich einem in vielerlei Hinsicht rigorosen Universalismus und Objektivismus. Insbesondere das Raster steht als Strukturelement des Allgemeinen in der Tradition perspektivischer Raumdarstellung und wird als solches etwa bereits in Peruginos Schlüsselübergabe in der Sixtinischen Kapelle (1481/82) zum Indikator universeller Gültigkeitsansprüche gemacht. Gerade in dieser Hinsicht nutzten viele Künstlerinnen und Künstler das Raster in den 1960er Jahren, um sich auf die strukturellen, objektiven Dimensionen der Realität sowie auf den strukturalistischen Zeitgeist zu beziehen. Auch der frühe Konzeptualismus – etwa eines Joseph Kosuth – lässt sich leicht aus der platonischen Tradition einer objektivistischen Ideenlehre herleiten. Und selbst die specific objects, wie sie insbesondere Donald Judd in den frühen 1960er Jahren definiert hatte, sind nicht spezifisch im Sinne von partikular oder singulär. Ihr Spezifisches verkörpert stets ein Objektives sowohl in der industriellen Produktionsform der konkreten Objekte als auch in deren reihen- oder rasterförmiger Anordnung. Gleichzeitig versuchen sie, ein Jenseits nicht nur von Malerei und Skulptur, sondern auch von Subjekt und Objekt der Erfahrung und damit eine spezifische, reine Phänomenalität zu artikulieren. Das heißt, so sehr diese unterschiedlichen Kunstformen von einer objektivistischen und universalistischen Logik getragen wurden und damit auch in künstlerischen und kunstkritischen Diskursen dominant geworden sind, scheint ihre Inkonsistenz zueinander dennoch offensichtlich zu sein. Unterschiedliche Auffassungen von Objektivität und Universalität stehen nicht nur im Widerspruch zueinander, sondern bleiben immer auch von der Subjektivität der jeweiligen künstlerischen Sprechpositionen abhängig.

Dennoch stellt sich die Frage, wie vor diesem Hintergrund der Zusammenhang zwischen den frühen, minimalistisch-konzeptuellen Arbeiten Pipers und den nur wenig späteren, performativen, erzählerischen und bildreflexiven Werken zu fassen wäre. Vielleicht im Sinne eines Übergangs von einer modernistischen, bildverweigernden zu einer postmodernen, bildanalytischen Position, von einer im Wesentlichen künstlerischen und selbstreflexiven Artikulationsform zu einer eher kulturellen oder kulturkritischen? Aber wie könnte der Übergang als solcher verstanden werden, wenn nicht im Sinne einer Überwindung des modernistischen Universalismus hin zu einem Partikularismus der sozialen Differenzierung und einer Konkretisierung im Alltäglichen? Zu zeigen wird sein, dass diese Verschiebungen innerhalb einer eindimensionalen historischen Erzählung nicht wirklich fassbar sind, dass es jedoch deutliche Akzentverschiebungen innerhalb einer immer schon vorhandenen Korrelation zwischen den scheinbar so gegensätzlichen Positionen zu konstatieren gibt. Die Bewegungen zwischen den Positionen zu verstehen – nicht in Bezug auf die innere Entwicklung eines Werks, sondern auf eine Entfaltung seiner Möglichkeiten – könnte helfen, das Verständnis der politischen Dimension von Pipers Arbeit ebenso zu vertiefen wie die spezifische Idee der Kunst, die sich gerade in der Navigation zwischen diesen Positionen und in ihrer wechselseitigen Verhandlung ausdrückt.

Hal Foster hatte in seinem Buch The Return of the Real von 1996 die feministischen Kunstpraktiken der 1970er Jahre als Beispiele explizit postminimalistischer Auffassungen begriffen. Auch wenn Foster sich dabei nicht direkt auf die Arbeit Adrian Pipers bezieht, lassen sich anhand seiner Argumentation die Folgen des Minimalismus für nachfolgende Kunstpraktiken hervorragend diskutieren. Ausgehend von der These eines crux of minimalism, die den Minimalismus als den entscheidenden Wende- und Angelpunkt zeitgenössischer Kunst definiert, will Foster alle bedeutenden politischen und ästhetischen Positionierungen seither auf diesen historischen Moment rückbeziehen. In der gleichzeitigen Realisierung von Phänomenologie und strukturaler Linguistik als künstlerischer Methodik habe der Minimalismus nämlich erstmals eine situative Verortung des wahrnehmenden Subjekts vorgenommen. Das Subjekt verlässt den mit der Erfindung der Perspektive definierten dominanten Betrachtungsstandpunkt vor dem Bild und muss seine ästhetische Erfahrung gewissermaßen fließend im Raum koordinieren und aktualisieren. In solchen und durch solche Bewegungen lassen sich Formen stets nur partiell erkennen, weshalb die Wahrnehmungsinhalte auf eine nicht wahrnehmbare Gesamtheit bezogen werden müssen, wodurch wiederum für das rezipierende Subjekt eine Spaltung zwischen Erfahrung und Wissen entsteht. Dies impliziert ein reflexives Element über die eigene Stellung in der Welt, genauer gesagt über die eigene strukturelle Verstrickung in übergreifende Realitäten und Verhältnisse. Gegen die verbreitete Kritik am Minimalismus als einer angeblich patriarchal-autoritären, letztlich die kapitalistisch-industriellen Produktionsformen reproduzierenden Kunstform betont Foster den Zusammenhang zu kritischen Kunstpraktiken generell, den der Minimalismus gerade durch die Thematisierung kapitalistisch-industrieller Produktionslogiken als künstlerische Praxis – etwa mittels der Serialisierung – sowie durch eine spezifische Konzeptualisierung der rezeptiven Erfahrung herstelle. Deshalb sieht er eine klare Kontinuität zu den minoritären Kunstformen der 1970er Jahre: „[F]eminist art begins where minimalism ends.2 Die feministische (queere und antirassistische) Kunst nimmt lediglich einen Faden auf, den der Minimalismus zu spinnen begonnen hatte, und verlagert bzw. konkretisiert den Fokus von der phänomenologischen zur sozialen Situierung.

Gegenüber dieser tendenziell harmonisierenden Sichtweise Fosters möchte ich die Spannungen betonen, die zwischen dem Minimalismus und Konzeptualismus auf der einen Seite und jenen, soziale Differenzen und Diskriminierungen reflektierenden Kunstformen der 1970er Jahre auf der anderen auch dann bestehen bleiben, wenn man deren grundsätzlichen Zusammenhang anerkennt.3 Dies erscheint mir auch für die Arbeit Adrian Pipers wichtig, um nämlich sowohl den Zusammenhang und damit die Kontinuität der Arbeit als auch die Diskontinuitäten in den einzelnen Schritten ihrer Entfaltung zu sehen. Denn weder scheint mir die Rolle des Minimalismus als gewissermaßen historisch notwendiges Nadelöhr derart bedeutsam zu sein, wie Foster es nahelegt, noch lassen sich die bei aller konkreten Situierung immer noch starken Momente der universalistischen und hegemonialen Moderne, wie sie in Minimalismus und Konzeptualismus wirksam sind, gänzlich herunterspielen. Beide Richtungen traten dominant als durchaus heroische, moderne Artikulationsformen auf, die, gerade indem sie die meisten der nun als alteuropäisch verstandenen historischen Wurzeln zu kappen versuchten, sich selbst als Inbegriff einer fortschrittlichen, amerikanischen Nachkriegsmoderne zu instituieren suchten. Darin waren sie sehr erfolgreich, und sie konnten diese Ansprüche sogar tief im kritisch-akademischen Diskurs verankern. Insbesondere das Moment, sich selbst als die Speerspitze des Weltgeistes zu verstehen, wie es vor allem in den Texten von Judd und Kosuth zum Ausdruck kommt, fehlt den partikularistischen Ansätzen der 1970er Jahre fast vollkommen. In ihnen drückt sich eine andere historische Logik aus, die weniger auf geschichtliche Dynamisierung und Transgression zielt als auf ein Umkodieren bestehender Ausdrucksmittel. Es handelt sich dabei um eine Logik, die sich nicht auf eine historische Genealogie von Kunstwerken bezieht, deren aktuellste Form man im Sinne von Adornos „Materialstand“ artikulieren möchte, sondern auf jene im Alltagsleben und in den medialen Inszenierungsweisen vorgegebenen sozialen Normierungen ebenso wie auf die künstlerischen Mittel, mit denen diese adressiert werden können. Diese Form einer in vielerlei Hinsicht reflexiven Moderne greift mehr in den sozialen Raum ein als in die geschichtliche Zeit aus; dort wo sie dies dennoch tut, stellt sie eindimensionale Entwicklungslogiken in Frage und kombiniert unterschiedliche Stränge historischer Prozessualität bzw. lässt ihr vielfach konflikthaftes Aufeinandertreffen spürbar werden. Dabei stehen nicht so sehr die möglichst radikale Zuspitzung hinsichtlich der Frage, was Kunst sein könnte, im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern viel eher jene Prozesse der Reflexion zwischen den medialen Bildern, den sozialen Inszenierungsweisen und deren möglichen Aneignungsprozessen innerhalb von künstlerischer Arbeit und ästhetischer Rezeption.

Eine solche Differenzierung der Sichtweise scheint mir wichtig zu sein, um zum einen das taktische Potential der einzelnen Arbeiten Pipers besser fassen und zum anderen ihre spezifische Leistung in der Transformation von Minimalismus und Konzeptualismus deutlicher umreißen zu können. Im Folgenden wird deshalb zu zeigen sein, wie schon in den minimalistisch-konzeptuellen Arbeiten die Keime dieses Transformationsprozesses erkennbar sind. Auch wenn sich das methodische Prinzip dieser Arbeitsweise kontinuierlich von den minimalistisch-konzeptuellen Anfängen hin zu bildbezogenen, narrativen und installativen Momenten verlagert, so werden doch entscheidende Elemente des früheren Ansatzes immer wieder auf jeder neuen Ebene integriert. Dieses Vorgehen lässt sich nicht innerhalb des Meta-Narrativs eines einmaligen und grundsätzlichen Übergangs von Moderne zu Postmoderne beschreiben; vielmehr wird die Entstehung eines spezifisch postavantgardistischen Ansatzes sichtbar. Postavantgarde wäre hier so verstanden, dass zwar die experimentelle Orientierung der Avantgarde zwischen inhaltlichen, formalen und politischen Elementen erhalten bleibt, nicht jedoch deren historische Erzählform selbst, die an die Überwindung etablierter Kunstformen, üblicherweise der Avantgarden von gestern, gesellschaftspolitische Erwartungen knüpfte. Dabei stecken die innerhalb der Geschichte der Avantgarde meist strikt gegensätzlich gedachten Elemente wie Kunst und Leben, Abstraktion und Repräsentation, Sprache und Bild oder Struktur und Erzählung nun eher aufeinander bezogene Spannungspole ab, zwischen denen die Arbeit navigiert und ihr methodisches Potential entfaltet.

Das minimalistisch-konzeptuelle Werk

Als Ausgangpunkt der Untersuchung können fast alle Werke der Jahre 1968/69 dienen, die Sound-Arbeiten ebenso wie die grafisch-konzeptuellen Arbeiten (etwa die Serie Hypothesis Situation (1968/1969) oder das Künstlerbuch Here and Now (1968). Jeweils werden abstrakte An- oder Zuordnungsweisen als Raster oder serielle Abfolgen vorgegeben, um die möglichst konkreten Aussagen über das Hier und Jetzt in gesprochener und geschriebener Form oder als Fotografien alltäglicher Gegenstände in ein solches Ordnungssystem einzugliedern. Das Raster wird weder als reines minimalistisches Objekt noch als formale Struktur in der Tradition abstrakt-geometrischer Malerei verwendet, sondern als eine Art von Matrix. Es geht um die Verortung bzw. zeitliche Konkretisierung des Subjektiven, Augenblicklichen oder Punktuellen im Allgemeinen, wobei dieses Allgemeine noch sehr unspezifisch gefasst ist: eben als Raster, als apriorisches Koordinatensystem von Raum und/oder Zeit. Piper wird später diese Phase diejenige einer paradiesischen Unschuld nennen.4 Dieser Konzeptualismus lässt sich als methodische Erkundung eines Nah-Raums und einer unmittelbaren Gegenwärtigkeit verstehen, der sowohl gegen den individuellen Stil traditioneller Kunstauffassung gerichtet ist als auch in Distanz zu den kunstphilosophisch aufgeladenen, tautologischen Statements etwa eines Joseph Kosuth steht, auch wenn er gelegentlich ähnliche Motive (die Stühle!) aufgreift. Die Arbeit Utah-Manhattan Transfer (1968) erweitert nicht nur den Horizont, indem sie ein kleines quadratisches Feld aus einer Landkarte Utahs mit einem ähnlich großen Feld aus einer Straßenkarte Manhattans vertauscht; sie macht das Raster selbst zu einem inhaltlich akzentuierten Strukturelement, in dem Form und Struktur, das referentielle Objekt (die Straße) und die gegenständliche Karte, die Dichte der Stadt und die Leere der Wüste miteinander im Austausch stehen.5 Wichtig bleibt jedoch festzuhalten, dass das entscheidende Moment des Minimalismus, das Foster diskutiert, nämlich die existentiell-phänomenologische Dimension der Rezeption, in Pipers Anfängen gar keine Rolle spielt. Es ist ein bereits konzeptuell gefasster Minimalismus jenseits des minimalistischen Objekts und selbst bereits als eine bestimmte, eben konzeptuelle Integrationsform des minimalistischen Vokabulars zu verstehen. Auch die vielleicht minimalistischste Arbeit dieser Zeit, Nine-Part Floating Square von 1969, macht diesen Unterschied deutlich. Neun quadratische Bilder bilden in drei horizontalen wie vertikalen Reihen ein gemeinsames Bildfeld, das als solches durchaus mit den seriellen Anordnungsweisen minimalistischer Objekte zu vergleichen wäre. Die einzelnen Bilder verharren allerdings nicht in reiner Buchstäblichkeit oder Spezifität minimalistischer Objekte. Als klassische Leinwände bzw. Bildobjekte weisen sie jeweils ein mit Bleistift auf die nackte Leinwand aufgetragenes 9-teiliges Raster auf. Einzelne Felder davon sind mit einer dünnen weißen Farbschicht bedeckt; in ihrem optischen Zusammenwirken ergeben diese Felder ein aus dem Zentrum verschobenes weißes Quadrat. Das heißt, zwischen der konkreten Buchstäblichkeit der einzelnen, rasterförmig angeordneten Bildobjekte und der Universalität des darauf gezeichneten, weiteren Rasters bleibt eine letztlich unaufhebbare Spannung ebenso bestehen wie zwischen diesem Raster und dem darin markierten, nur visuell in der Gesamtschau erkennbaren, singulären Quadrat. Eine weitere Ebene lässt sich auf einer zeitgleichen Zeichnung ablesen, in der die neun Bildobjekte zu einzelnen Rasterelementen zusammengefasst werden und nun als 16-teilige Elemente einer um eine Dimension erweiterten Struktur aufgefasst werden können. Jedem der 9-teiligen Elemente ist wiederum ein Quadrat eingeschrieben, das sich nun innerhalb der 16-teiligen Serie von Element zu Element verschiebt und dadurch tatsächlich über die Oberfläche der Zeichnung zu bewegen scheint.

Der Unterschied zu klassischen minimalistischen Werken besteht vor allem darin, dass keine reine Buchstäblichkeit gesucht wird, sondern buchstäbliche, strukturelle, installative und optische Elemente sich miteinander verschränken. Darüber hinaus fällt auf, dass es weder auf der produktionslogischen Ebene der Objekte noch auf der rationalen Ebene der rasterförmigen Anordnung eine eindeutig universelle oder objektive Agenda gibt. Vielmehr öffnen sich die Arbeiten hin auf eine visuelle Erfahrung, in der die Überlagerung mehrerer Rastersysteme zu erkennen ist.

Der minimalistische Kurzschluss zwischen dem spezifischen Objekt und dem mystisch-universalen Rationalismus findet sich in allen diesen Arbeiten immer schon aufgebrochen. Ihr Konzeptuelles besteht darin, jeweils ein Partikulares, sei es ein situatives Hier und Jetzt, eine alltägliche Situation oder auch eine visuelle Erscheinung, auf ein Strukturell-Allgemeines zu beziehen. Das heißt, nicht nur der Partikularismus ist in diesen frühen Arbeiten Pipers immer schon präsent, auch der Universalismus ist keineswegs rein abstrakt gedacht; er scheint sich, vermittelt durch die jeweilige künstlerische Entscheidung, stets nur in einer besonderen Verhältnisform hin zum Partikularen zu zeigen.

Eine erste Wende

Dennoch bleibt, um die weitere Entfaltung des Werks zu verstehen, auch der klassische Minimalismus wichtig, nicht weil Piper ihn verkörpert hätte, so doch als Hintergrund einer Absatzbewegung, insbesondere im Hinblick auf die erste deutliche Wende ihres Œuvres hin zur Performance im Jahr 1970.6 Die Wahl der Performance stellte per se noch keinen Bruch mit der avantgardistischen Logik von Minimalismus und Konzeptualismus dar. Sie steht bloß für eine andere Avantgarde, die des körperbetonten Aktivismus. Auch bleiben trotz dieser grundlegenden Veränderung der künstlerischen Mittel entscheidende Momente des Konzeptuellen erhalten: In den frühen Performances geht es meiner Meinung nach immer noch um Verortung und zeitliche Konkretisierung.7 Was fehlt, ist der gerasterte oder zeitlich strukturierte Rahmen des Allgemeinen. Dieses Allgemeine wird ersetzt durch die Konfrontation der Person der Künstlerin mit der konkreten physischen und sozialen Umwelt. Die Konfrontation geschieht in alltäglichen Situationen – beispielsweise in der Serie Catalysis (1970), in der Piper mit einem „wet paint“-Schild durch überfüllte Straßen läuft oder eine Kaugummiblase macht – und an bestimmten Orten der Kunstwelt, zum Beispiel in der Untitled Performance for Maxʼs Kansas City (1970), für die Piper mit einer Augenmaske unter bekannten Figuren der Kunstszene herumschlendert.

Verglichen mit dem hier klassisch genannten Minimalismus und seiner Behauptung, dass der rezeptive Akt des Sehens auf einer körperlichen Erfahrung innerhalb einer theatralischen Anordnung von spezifischen Objekten beruhe, ist es in Pipers Performances der Körper der Künstlerin selbst, der zum Auslöser eines situativen Ereignisses wird. Wenn es im Minimalismus um die reflektierende Rezeption der eigenen phänomenal-existentiellen Situation im Zustand der Betrachtung ging, dann steht in Pipers Arbeiten der frühen 1970er Jahre die unmittelbare Reaktion auf die oft kaum wahrnehmbare Performance der Künstlerin zur Diskussion. Es sind nun eher die minimalistischen Performances der 1960er Jahre, wie sie von Künstlerinnen wie Yvonne Rainer, Deborah Hay, Simone Forti, Lucinda Childs und anderen hervorgebracht wurden, die anregend auf Pipers Arbeit gewirkt haben. Dieses Bestehen auf der unmittelbaren Response8, dem, was Piper indexical present9 nennen wird, ist für die weitere Entfaltung des Werks entscheidend. An die Stelle der extremen Vermitteltheit der konzeptuellen Arbeiten tritt die Unmittelbarkeit einer Art von behavioristischem Reiz-Reaktions-Schema, das wiederum zum Ausgangspunkt einer reflexiven Rezeption werden kann, meist allerdings erst anhand der fotografischen Dokumentation der jeweiligen Performance.

Dementsprechend werden die fotografische Dokumentation bzw. deren zeichnerische und erzählerische Bearbeitung in den folgenden Jahren immer wichtiger. In der Serie The Mythic Being (1973–1976) wird die Performance gänzlich zu einer grafischen Bildgeschichte umgestaltet und erzeugt damit nicht nur eine zunehmend politische Akzentuierung des Konfliktfeldes, sondern auch eine weitere Verschiebung in der Art und Weise, wie das Publikum angesprochen wird. Piper mimt hier eine männliche Dritte-Welt-Persona, die in einer Episode einen weißen Mann in einen Park begleitet und ihn dort am helllichten Tag ausraubt.10 Dies ist keine stumme Konfrontation mit dem Publikum wie in den früheren Performances, sondern ein sehr direktes Involvieren der Zuschauer, die als potentielle Opfer des Raubs gedacht und somit in ihren Ängsten angesprochen werden: „Ich verkörpere alles, was du am meisten hasst und fürchtest“, heißt es etwa auf einem Blatt. In dieser narrativen Erweiterung der Performance werden die seriellen Prinzipien des Minimalismus zunehmend in die narrative Struktur sequentieller Bilder transformiert, wobei diese Narrationen keine heile und geschlossene Welt schaffen, sondern eine, die die Interaktion zwischen Bild und Betrachterin oder Betrachter als immer schon auf bestimmten ästhetischen und sozialen Erwartungen beruhend thematisiert. Eine Bildfolge von manipulierten Polaroids zeigt etwa die Verwandlung vom netten Mädchen in das bedrohliche Mythic Being (The Mythic Being: I/You(Her), 1974), wobei das Publikum in großen Sprechblasen wie ein verflossener Liebhaber angesprochen wird. Diese doppelte Beziehungskrise navigiert zwischen intimen Gefühlskategorien und normierenden, vor allem geschlechtsspezifischen sozialen Erwartungen ebenso wie zwischen der anfänglichen Selbstentwertung und einer im Fortgang der Verwandlung zunehmenden Selbstbehauptung der Künstlerin. Das Bild-Betrachter-Verhältnis erscheint dabei weniger als grandioses Möglichkeitsfeld interaktiver Erfahrungen, denn als vielfältig durch soziale wie psychische Faktoren bestimmtes Beziehungsgeflecht. Indem sie die zu erwartende ästhetische Distanz aufhebt, erzeugt die direkte Ansprache sogar ein spezifisches Unbehagen. Die sichere Position der Betrachtung geht verloren, Piper setzt sie dynamischen Interaktionsmustern zwischen Selbstbezug und Fremdwahrnehmung, zwischen Projektion und Introjektion, zwischen Angst und Diskriminierung aus.
Das Allgemeine und Universelle scheint in diesen Arbeiten erst einmal zugunsten des Konkreten, Unmittelbaren und Direkten in den Hintergrund zu treten. Das heißt jedoch keineswegs, dass es damit vollkommen verschwunden wäre, motiviert es doch weiterhin als Hintergrundfolie die konkreten ästhetischen Einsätze. Bedeutsam sind in dieser Hinsicht zweifellos die Kant-Lektüren und das um dieselbe Zeit beginnende Philosophie-Studium, aus dem später die eigene Philosophie hervorgehen wird. Im Gegensatz zu den typischen Künstler-Philosophen, die der Konzeptualismus hervorgebracht hat – wie etwa Joseph Kosuths Anspruch seiner Kunst als Philosophie –, trennt Piper ihr philosophisches von ihrem künstlerischen Werk und vermag so, die Spannung zwischen den beiden Bereichen aufrechtzuerhalten. Mit Kant werden vor allem die motivationalen Aspekte gesellschaftlicher Werthorizonte gegen die individualistische und tendenziell utilitaristische Triebtheorie Humes herausgearbeitet. Aus dieser Sicht erscheint die gleichzeitig soziale und autonome Konzeption des Selbst bei Kant gerade in seinem universellen Rationalismus als unverzichtbar für jedes moralische Handeln und das Verständnis von Xenophobie und Rassismus.11 Denn erst von einem solchen universellen Horizont ausgehend, werden überhaupt Kriterien unterscheidbar, warum etwa abweichendes Aussehen oder Verhalten nicht umstandslos abgewiesen oder sanktioniert werden sollte, und das Selbst als dem Anderen gegenüber prinzipiell offen und erfahrungsinteressiert verstanden werden kann. Gleichzeitig wird diese Argumentation auch gegen die radikale Dekonstruktion aller Universalismen in Stellung gebracht. Das dezentrierte Subjekt der Postmoderne erscheint Piper12 als Privileg einer dominanten Kultur, die spielerisch auch einmal auf ihren ohnehin allzu sicheren Status verzichten mag. Aus einer marginalisierten Position heraus erscheint hingegen der Anspruch an Kriterien des Universellen als unverzichtbar, um eine Subjektposition und damit gesellschaftliche Sichtbarkeit und Anerkennung überhaupt erst beanspruchen zu können.

Gleichwohl lässt sich eine gewisse Spannung zwischen dem künstlerischen Partikularismus auf der einen Seite und dem philosophischen Universalismus auf der anderen festhalten. Gelegentlich wird der Universalismus zwar durchaus konkret in einzelnen Arbeiten ablesbar: In einer Episode der Mythic Being-Serie gibt die Figur, an einer Schreibmaschine sitzend, Kantische Sätze von sich (A 108 (Kant), 1975). Wichtiger bleibt jedoch, dass der Universalismus als motivationaler Hintergrund für alle Arbeiten wirkt. Er richtet gewissermaßen die singulären Ansätze, die spezifischen Situationen, die konfrontativen Ansprachen und die insistierende Präsenz auf einen gemeinsamen Horizont möglicher Verständigung und Veränderung hin aus.

Am weitesten entfernt sich Piper von den formalen Prinzipien des Minimalismus mit einer Arbeit, die man ihre klassische nennen könnte: Aspects of the Liberal Dilemma von 1978. Es handelt sich um ein einzelnes Bild, das das Publikum wieder ganz traditionell als vor dem Bild stehend situiert und es gleichzeitig über eine Sound-Arbeit, die über einen, neben dem Bild hängenden Kopfhörer abgehört werden kann, anspricht. Das Bild ist eine reproduzierte Fotografie aus der Zeitschrift National Geographic und zeigt eine Gruppe schwarzer Arbeiterinnen und Arbeiter aus Südafrika, die eine breite Treppe hinuntereilen; vor allem die Männer in der ersten Reihe schreiten mit aggressiver Mimik und Gestik auf die Betrachtenden (oder den Fotografen?) zu. Die Sound-Arbeit ist im Stil eines Audioguides gehalten und wendet sich an das im New Yorker Artist's Space sicherlich vorwiegend progressiv-liberale Ausstellungspublikum mit seinen Erwartungen an experimentelle Kunstformen. Die traditionelle Bildform mag deshalb so wichtig sein, weil die Arbeit gewissermaßen durch diesen Erwartungshorizont hindurch zum Inhalt des Bildes und zu den möglichst unmittelbaren Reaktionen darauf durchdringen möchte. Das Bild ist voller ikonografischer Referenzen, auch wenn schwerlich etwas über die Absichten des Fotografen gesagt werden kann. Zweifellos spielen Bilder revolutionärer Volksmassen in der Tradition von Eugène Delacroix' Gemälde Die Freiheit führt das Volk (1830) dabei eine Rolle; ebenso könnte auf die sozialdokumentarische Fotografie der 1920er und 1930er Jahre verwiesen werden oder auf einen der ersten Filme der Filmgeschichte, Arbeiter verlassen die Lumière-Werke in Lyon (1895) von den Brüdern Lumière. Als etwas gewagte Referenz könnte man auch noch Marcel Duchamps Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2 von 1912 anführen, insbesondere in seiner Funktion als eines vielfach kodierten Übergangsbildes, das nicht nur in der romantischen Tradition des Treppenbildes auf andere Räume jenseits des Sichtbaren verweist, sondern auch das Ende der Malerei selbst ankündigt. Der Text bestätigt anfangs das Setting einer progressiven Ausstellungsinstitution und die Erwartung der Betrachtenden, mit der formalen und inhaltlichen Provokation der Arbeit zurechtzukommen. Im weiteren Verlauf wendet er sich jedoch dem Unbehagen zu, das das Bild in seiner bedrohlichen Dimension von Andersheit in Bezug auf Rasse, Klasse und Geschlecht hervorruft, um so die Unverfügbarkeit der sozialen Differenz in der konkreten Situation der Betrachtung spürbar werden zu lassen. Das Bild stellt dem einzelnen Betrachter oder der einzelnen Betrachterin eine Menschenmenge gegenüber; es konfrontiert die kontemplative Tätigkeit des Ausstellungsbesuchs mit einer Vorstellung, in der Arbeit und Aggression zusammenzugehören scheinen, die sich gegen die distanzierte und kontemplative Betrachtung richten. In einer Reihe von rhetorischen Fragen versucht der Text, das Unangenehme der Situation immer weiter zuzuspitzen, und kulminiert schließlich darin, eine peinliche Situation zu imaginieren, in der sich der vereinzelte Betrachter oder die Betrachterin selbst in der Verglasung des Bildes spiegelt, sich gewissermaßen in das Bild hineinprojiziert, sich im eigenen Anders-Werden anstarrt und dabei vom übrigen Ausstellungspublikum beobachtet wird.
Die Arbeit kann als Beispiel für eine intermediale Auffassung zwischen Text (bzw. Sound) und Bild gelten, wie sie auch andere Arbeiten Pipers dieser Zeit zeigen, vor allem die drei Political Self Portraits (1978/1980). Wichtiger scheint mir jedoch zu sein, dass es hier zu einer Verbindung zwischen Repräsentations- und Institutionskritik kommt, jenen beiden alternativen Leitprinzipien kritischer Kunstpraxis in den 1970er Jahren. Während Repräsentationskritik vor allem für Künstlerinnen und Künstler, die im Umfeld der programmatischen „Pictures“-Ausstellung von 1977 arbeiteten, zum Ausgangpunkt einer bildanalytischen Haltung hinsichtlich der sozialen Kodierungen in massenmedialen Bildern wurde, stellte Institutionskritik seit den frühen 1970er Jahren eine Variante des Konzeptualismus dar, die sich mit den institutionellen Settings des Kunstbetriebs in ihren jeweiligen ökonomischen und politischen Zusammenhängen beschäftigte. Piper kombiniert Elemente aus beiden Strängen zu einer besonderen Konstellation. In ihrer Arbeit geht es nicht um die in das Bild eingeschriebenen sozialen Repräsentationen selbst, sondern um das, was diese bei den Betrachtenden auslösen; und ebenso wenig ist der Ausstellungsort als institutioneller Rahmen unmittelbar das Thema, sondern das Publikum, das dieser Ausstellungsraum auf besondere Weise anzieht. Dabei werden die vielfältigen Referenzen und Repräsentationen des Bildes direkt auf die Reaktionen des Publikums bezogen und in diesem Bezug erst eigentlich aktualisiert. Eine adäquate Rezeption der gesamten Arbeit ist daher erst zu leisten, wenn man dieses Moment einer unmittelbaren Response, die einen unweigerlich in den Plot hineinzieht, zuallererst annimmt, um in einem zweiten Schritt davon wieder zurückzutreten, und gleichzeitig beginnt, genau dieses Moment der eigenen Verstrickung zu reflektieren.

Die Integration der minimalistischen Tradition

Die meisten Arbeiten der 1980er und 1990er Jahre schließen an derartige Bild-Text-Konstellationen an und beschäftigen sich mit den vielschichtigen Kodierungen und Wirkungsweisen von Bildern. Der formale Minimalismus scheint in weite Ferne gerückt. Es gibt jedoch eine Reihe von Arbeiten, in denen das einstmals spezifische Objekt des Minimalismus in Form von meist besucherzugänglichen, kubusartigen Behältern von Mixed-Media-Installationen wieder auftaucht; etwa in Art for the Art World Surface Pattern (1976), Four Intruders plus Alarm System (1980), Vote / Emote (1990), What It’s Like, What It Is #3 (1991) bis hin zu Black Box / White Box (1992). Jeweils werden objekthaft-räumliche Szenarien geschaffen, die den reinen Erfahrungsraum des Minimalismus zitieren, dessen spezifische Objekte häufig in unmittelbarem Bezug zum gegebenen Ausstellungsraum standen und damit den White Cube13 als künstlerische Praxis reflektieren, aber gleichzeitig auch deutlich verändern. Auffallend ist vor allem, dass diese Raum-Objekte zu einem Präsentationsort oder -rahmen für Bilder werden, vergleichbar jenen seit den 1970er Jahren in vielen Ausstellungen verwendeten, möglichst funktionalen Präsentationsmodulen (Black Box) für die unterschiedlichen Projektions- oder Soundkünste. Bei Piper geht es jedoch nicht um die reine Funktionalität möglichst optimaler Präsentationsbedingungen, sondern um die sozialen Kodierungen, die solchen architektonischen Elementen auch innewohnen, etwa hinsichtlich der Art und Weise, wie sie das Publikum adressieren oder konzipieren. Während der Minimalismus in seiner phänomenologisch-existentiellen Bestimmung eine spezifische Form umfassender ästhetischer Erfahrung zwischen Objekt und Raum anstrebte und die Black Box des modernen Ausstellungsbetriebs zentriert auf die jeweilige Aufführung in ihm erscheint, stellen die Raum-Objekte Pipers eine Art dualistisches Konzept dar, bei dem Bilder und Objekt im Austausch stehen und in der Rezeption aufeinander bezogen werden müssen. Das jeweilige Objekt schafft ein spezifisches Ambiente, sei es in Form einer Höhle (Four Intruders), einer Wahlkabine (Vote / Emote), einer Arena (What It's Like, What It Is #3) oder eines Projektionsraums, das gewissermaßen der Response der Besucherinnen und Besucher einen bühnenartigen Raum verleiht und damit deren Verwickeltsein in die sozialen Kodierungen der Bilder artikuliert. Erst wenn man sich inmitten und als Teil der Arbeiten zwischen Bild und Objekt erfährt, kann die gesamte Konstellation als Ausgangspunkt einer ebenso ästhetischen wie sozialen Reflexion verstanden werden.

Das spezifische Objekt des Minimalismus in seiner reinen Erfahrungspotentialität wird zurückgenommen und ein funktionaler Aspekt tritt in den Vordergrund, ohne jedoch die Arbeiten vollständig zu dominieren. Dieser funktionale Aspekt begründet eine andere Form des Spezifischen: die der Beobachtungssituation als besondere historische Konstellation. Bewerkstelligt werden diese methodischen Verschiebungen wiederum in erster Linie durch eine Re-Narrativierung des minimalistischen Vokabulars.14 In den Wahlkabinen von Vote / Emote etwa findet sich das Raster in ein Fenster verwandelt wieder, das gleichzeitig auch wie ein Gitter15 funktioniert, durch das Bilder aufbegehrender Schwarzer gleichzeitig sichtbar und zurückgehalten werden.16 Die Kabine selbst verwandelt die reine kubische Form zurück in ein konkretes Objekt, eine Art Ready-Made demokratischer Partizipation, das genau deren Grenzen anzeigt. Dieses Eindringen eines Anderen in den, institutionell geschützten, privaten Akt der Wahl rahmt und strukturiert nun die unmittelbare Reaktion des Publikums auf die Bilder und verlangt von ihm, dass es seine Reaktionen als eine andere Art von Wahl in die in den Kabinen bereitgestellten Hefte schreibt.
Diese Objekt-Räume haben also nichts mit einem neutralen Rahmen zu tun. Nicht umsonst sind die Wahlkabinen ebenso schwarz wie das runde, höhlenartige Objekt von Four Intruders. Aber auch das reine Weiß der theatralen Arena von What It’s Like, What It Is #3 wird zu einer spezifischen Tonalität im Kontrast zu der dunkelhäutigen Person auf dem Monitor in ihrem Zentrum. Black Box / White Box macht den Antagonismus angeblich rein funktionaler Differenzierungen zwischen White Cube und Black Box in zeitgenössischen Ausstellungskontexten selbst zum Thema. Die scheinbare Neutralität und Universalität minimalistischer Strukturen (bei Sol LeWitt etwa als quasi mystische Form der Rationalität) erweist sich hier als immer schon kodiert: als bestimmte Verhältnisform, die den sozialen Raum entsprechend der Basisunterscheidung von Schwarz und Weiß anordnet. Das im Minimalismus noch fortwirkende Reinheitsphantasma der Moderne wird dialektisch auf seinen unsichtbaren Gegenbegriff rückbezogen und damit als alle Erfahrung vorstrukturierender binärer Kode verstanden, der sich nur allzu leicht auf konkrete gesellschaftliche Gruppen hatte übertragen lassen.
Die Reaktion der Zuschauerinnen und Zuschauer auf Bilder, die diese unsichtbaren und somit als anders imaginierten sozialen Gruppen betreffen, ist daher nie tatsächlich unmittelbar. Sie findet vielmehr immer schon innerhalb eines vorgegebenen, strukturellen Rahmens einer Anordnungsweise oder Aufteilung des Sinnlichen17 statt, die diese Arbeiten ansprechen. Sie zeigen Strukturen als gesellschaftliche Verhältnisse, aus denen heraus und in die hinein sich jede Response schreibt. Diese Antworten können die dominanten, kulturellen Anordnungsweisen, etwa die strikte Polarität von Schwarz und Weiß, erst einmal durchaus bestätigen (wie an den vielen, in Vote / Emote hinterlassenen Kommentaren ablesbar ist). Indem die Arbeiten jedoch genau zwischen der direkten Reaktion auf die Bilder und den strukturellen Bedingungen ihrer Präsentation ansetzen, bieten sie die Möglichkeit, beide Seiten in einem rezeptiven Akt zusammenzuführen. Kern dieses rezeptiven Aktes wäre es, über die eigenen Verstrickungen in verschiedene soziale Verhältnisse nachzudenken und letztlich auch andere mögliche Formen der Beziehung zwischen Schwarz und Weiß zu assoziieren.
Gegenüber der minimalistischen Idee eines Werks, das sich in der Präsenz einer Erfahrung realisiert, erscheint in diesen Arbeiten jede Anmutung von Präsenz grundsätzlich gebrochen. Zwar bleibt die Unmittelbarkeit der Ansprache, das indexical present der Performances auch in den unterschiedlichen medialen Bildern, die der Response angeboten werden, erhalten. Doch diese Präsenz fungiert nur als Auslöser für ein Wechselspiel zwischen Erwartung und Enttäuschung, Projektion und Widerspruch. Die Präsenz der ästhetischen Erfahrung kann sich im Sinne einer stabilen Identität ebenso wenig verwirklichen wie die Idee eines Werks, die letztlich nur als Riss zu haben ist. Hier werden weder die Autonomie der Form oder der Wahrnehmung noch ein rein partizipatives Szenario angeboten; entscheidend ist vielmehr die Spannung zwischen dem Werk und der Erfahrung. Erst innerhalb einer solchen Spannung kann verhindert werden, dass die Ästhetik sich verselbständigt, und somit ihre eigentliche soziale Fundierung sichtbar bleiben. Deshalb betrifft das Ästhetische in diesem Verständnis keinen Schein, der durch avantgardistische Konfrontationsstrategien entlarvt und zerstört werden könnte; es kennzeichnet keine reine Illusion, sondern eine Form der Kodierung, die die soziale Wirklichkeit von ästhetischer Erfahrung und künstlerischer Praxis immer schon mitbestimmt. Daher bedingen in Pipers Werk soziale und ästhetische Aspekte einander auf grundlegende Weise; sie sind formal, medial und symbolisch vielfach aufeinander bezogen, und diese unterschiedlichen Aspekte können weder in rein funktionale Prozeduren aufgelöst bzw. miteinander identifiziert noch vollkommen im Sinne selbständiger Wesenheiten voneinander getrennt werden. Genau diese strukturell instabile Verbindung definiert erst den kontroversen Raum, in dem künstlerische Praktiken politisch bedeutsam werden können.

Anmerkungen

Dieser Text erschien zuerst in englischer Sprache unter dem Titel Structures of Response. Adrian Pipers Transformation of Minimalism. Berlin: S*I*G, 2018. Den leicht überarbeiteten deutschen Text veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung des Autors.

(1) Piper hat persönliche Erfahrung ausdrücklich in Relation zu ihrem Werk gesetzt; siehe: Adrian Piper, Talking to Myself. The Ongoing Autobiography of an Art Object (1973), in: dies., Out of Order, Out of Sight. Bd. 1, Cambridge, Mass., 1996, S. 29–53.

(2) Hal Foster, The Return of the Real. The Avantgarde at the End of the Century. Cambridge, Mass., 1996, S. 247.

(3) Dass feministische Kunst nicht erst nach dem Minimalismus beginnt, lasse ich hier unbeachtet.

(4) Siehe: Maurice Berger, Styles of Radical Will: Adrian Piper and the Indexical Present, in: Adrian Piper. A Retrospective. Baltimore 1999, S. 16.

(5) Die Arbeit kann auch als ein schönes Beispiel der Land Art gelten, das völlig auf den martialischen Gestus einer Eroberung verzichtet.

(6) Ich vernachlässige hier die vorhergehende Wende von der sehr frühen figurativen Malerei hin zum minimalistisch-konzeptuellen Werk.

(7) Siehe Meat into Meat (1968) oder Untitled Performance for Max's Kansas City (1970).

(8) Zum Begriff Response siehe: David Freedberg, The Power of Images. Studies in the History and Theory of Response, Chicago 1989.

(9) Zum Begriff indexical present siehe: Maurice Berger, Styles of Radical Will: Adrian Piper and the Indexical Present, in: Adrian Piper. A Retrospective. Baltimore 1999, S. 12–32.

(10) Siehe The Mythic Being: Getting Back. # 1–5, 1975, Abb. in: Adrian Piper. A Retrospective. Baltimore 1999, S. 143.

(11) Siehe: Adrian Piper, Xenophobia and Kantian Rationalism (1991), in: Philosophical Forum XXIV, 1–3 (Fall-Spring 1992–93), S. 188–232, http://www.adrianpiper.com/docs/WebsiteXen&KantRat(1991).pdf, zuletzt aufgerufen am 14. Mai 2018.

(12) Siehe: Maurice Berger, The Critique of Pure Racism. An Interview with Adrian Piper, in: Adrian Piper. A Retrospective. Baltimore 1999, S. 76–98.

(13) Brian O’Dohertys berühmte Artikelserie über den White Cube war erstmals 1976 in Artforum erschienen.

(14) Zur Diskussion um den Stil des Minimalismus siehe: Adrian Piper, Style and the Paradox of Minimalism, erschienen unter dem Titel: Questions of Style, in: Artforum, September 2010.

(15) Fenster- und Gitterdarstellungen gelten üblicherweise als jene noch motivisch gebundenen Vorstufen reiner Rasterstrukturen, siehe: Rosalind Krauss, Grids, in: dies., The Originality of the Avantgarde and other Modernist Myths. Cambridge, Mass., 1985, S. 8–22.

(16) Eines der Bilder ist identisch mit dem in Aspects of the Liberal Dilemma verwendeten Bild.

(17) Siehe: Jacques Rancière, Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien. Berlin 2006.

Ansichten aus der Ausstellung

Mauer (2010), Installationsansicht: Käthe-Kollwitz-Preis 2018

Das Ding-an-sich bin ich (2018), Installationsansicht: Käthe-Kollwitz-Preis 2018

Hier (2018), Installationsansicht: Käthe-Kollwitz-Preis 2018

Tonmitschnitte der Preisverleihung

Jurybegründung (Marcel Odenbach)