1983

Sabina Grzimek

Seit ihrer Zeit als Meisterschülerin bei Fritz Cremer an der Akademie der Künste in den Jahren 1969 bis 1972 arbeitet Sabina Grzimek freischaffend als Bildhauerin, Malerin und Grafikerin. Ihr plastisches Werk reicht von Kleinplastik über Porträts bis zu Figurengruppen im öffentlichen Raum. Grzimek untersucht in ihren Arbeiten grundsätzliche Fragen von künstlerischer Form und Materialität. Sie nähert sich der Figur aus der Abstraktion heraus und baut ihre Proportionen von innen nach außen und lässt zerklüftete Oberflächen und Fehlstellen stehen. Grzimeks Werke reagieren in eindringlicher Weise auf den Menschen unserer Zeit, der sich gegenüber Ideologien, erhöhter Konsumbereitschaft, Massenkultur und Klimawandel behaupten muss.

Textbeiträge zur Preisverleihung

„Als Bildhauerin hat sich Sabina Grzimek mit einer bedächtig herangereiften Selbständigkeit in die Fortführung einer starken und anspruchsvollen Tradition gestellt.“ (Auszug Laudatio)

Die Sektion Bildende Kunst schlägt die Bildhauerin Sabina Grzimek zur Auszeichnung mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 1983 vor.

Das bildhauerische, zeichnerische und grafische Schaffen von Sabina Grzimek hat seit einiger Zeit steigende Beachtung gefunden. Das betrifft sowohl die intensive, auf leicht zu erzielende Effekte verzichtende bildnerische Formung als auch die Themenwahl der Künstlerin. Porträts ihr nahestehender Menschen und Aktfiguren bestimmen ihr bildhauerisches Werk. Sie vermag es, innerhalb dieses Themenkreises eine selbständige Verarbeitung der Tradition zu erreichen, als deren Bezugspunkte de Fiori und Giacometti genannt werden können, aber auch Scheibe und Hildebrand. Stets geht sie vom plastischen Kern einer Figur aus und beachtet trotz sorgsamer Betonung der Oberflächenwerte den Aufbau der Figur vorrangig, so dass Klarheit und Strenge bestimmend für ihre Arbeiten sind, ohne dass Schematismus die Wirkung beeinträchtigt. Ausgeprägte Sensibilität charakterisiert ihre künstlerische Tätigkeit. Das erzeugt eine starke Konzentration des Ausdrucks und gibt ihren Arbeiten herbe Verhaltenheit. Es sind Charakteristika, die diese Werke mit der Kunst von Käthe Kollwitz nicht nur äußerlich verbinden.
Eines der letzten Werke, Mutter und Kind (1976/81, Bronze, 240 cm hoch), kann als besonders bezeichnend für diese Beziehung gelten. Mütterliche Sorge und eine Nachdenklichkeit, die die existentielle Situation betrifft und auf die Gefährdung von Menschlichkeit nachdrücklich aufmerksam macht, bestimmen den Ausdruck der Figur. Wie bei Käthe Kollwitz ist das Thema zum Synonym von Humanität erhoben worden. Mit dieser Arbeit hat Sabina Grzimek die bildnerische Intensität früherer Werke einer Erweiterung ihres Themenkreises dienstbar gemacht.

Zeichnungen und grafische Arbeiten (letztere auch zu Folgen und Zyklen vereint) begleiten, stilistisch stark unterschiedlich, das bildhauerische Werk. Auch in diesen Genres erweisen sich die reichen gestalterischen Möglichkeiten, über die Sabina Grzimek verfügt und die auf eine weitere Entfaltung ihrer Begabung vertrauen lassen.

Die vorgeschlagene Auszeichnung Sabina Grzimeks mit dem Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste der DDR würdigt das Schaffen einer Künstlerin, deren Anteilnahme an den Problemen der Gegenwart der Überzeugung von Käthe Kollwitz entspricht, die in den Worten „Ich will wirken in dieser Zeit“ Ausdruck gefunden hat.

Laudatio von Peter H. Feist anlässlich der Preisverleihung 1983, veröffentlicht in „Mitteilungen" 4/1983:

Kunst einer klaren Haltung

Laudatio auf die Käthe-Kollwitz-Preisträgerin Sabine Grzimek

Mit dem Namen Käthe Kollwitz verbindet unser Gedächtnis reiche und gefestigte Vorstellungen von einer Kunst, die ihren Ausgangspunkt in einer tiefen, liebevollen Zuwendung zu den Mitmenschen, in einer dringlichen und drängenden Sorge um die Verteidigung des Humanen hat und die eine kräftige und zugleich feinfühlig-behutsame Form in den Dienst einer deutlichen, weil für notwendig erachteten Botschaft stellt. Die Sektion Bildende Kunst hat Vergleichbares an der Plastik und Grafik von Sabina Grzimek erkannt.

Wer das Kunstgeschehen in unserem Land einigermaßen beobachtet, mußte bemerken, wie mit Sabina Grzimek im letzten Jahrzehnt eine starke Künstlerpersönlichkeit heranwuchs, die immer deutlicher einen besonderen Akzent unter den erfreulich zahlreichen schöpferischen Kräften ihrer Generation bildete. Der Gustav-Weidanz-Preis für Plastik, der ihr 1979 von der Hochschule Burg Giebichenstein verliehen wurde, war die erste äußere Anerkennung für die Leistung der ehemaligen Schülerin von Heinrich Drake und Arno Mohr und Meisterschülerin Fritz Cremers an unserer Akademie.

Ihr bildhauerisches Schaffen, von dem gleich die Rede sein wird, findet eine Ergänzung durch ein sehr reiches und vielfältiges zeichnerisches, druckgrafisches und auch malerisches Werk. Meine Kenntnisse davon sind durchaus begrenzt, aber schon Ausschnitte vermitteln die Begegnung mit großer ausdrucksmäßiger, stilistischer und auch technischer Vielfalt, mit gelegentlichen Ausbrüchen in eine zeichnerische oder farbliche Heftigkeit und Spontaneität, zu der die bildhauerische Hauptarbeit keinen Raum lässt, letztlich aber immer dem auch für die Plastik bestimmenden Ausgehen von Sinneseindruck und Empfindung, von beobachteter, erlebter, bedachter – und im Wesentlichen bejahend angenommener Wirklichkeit.

Als Bildhauerin hat sich Sabina Grzimek mit einer bedächtig herangereiften Selbständigkeit in die Fortführung einer starken und anspruchsvollen Tradition gestellt. Sie gehört zu den Künstlern der jüngeren oder mittleren Generation, bei denen die Weitergabe und Weiterbildung dessen in guten Händen ist, was der Bildhauerei der DDR in besonderem Maße ihre Eigenart, ihre realistische Wirkungskraft, ihr gesellschaftliches Ansehen und ihren internationalen Rang verliehen hat und was seinerseits an bedeutende Leistungen deutscher wie auch ausländischer realistischer Plastik der ersten Jahrhunderthälfte anknüpfte. So gesehen, ist an den Arbeiten Sabina Grzimeks nichts Auffälliges, weder in den Stoffen oder Motiven, noch in der Auffassung und ästhetischen Wertung des Dargestellten, noch in Gestaltungsweise, Material oder Handschrift. Sie will nicht durch Neuartiges verblüffen und rebelliert auch nicht gegen ihre Vorgänger, lässt sich aber von einem aufmerksam zur Kenntnis genommenen Erbe, das auf ihr vielleicht mit einem besonderen Gewicht lastet, auch nicht verbiegen oder erdrücken.

Was ihre unauffälligen Figuren so dauerhaft einprägsam macht (jedenfalls ist es mir mit ihnen so gegangen), sind deren inhaltlich klare und formal schlüssige Haltungen und anrührender physiognomischer Ausdruck. Letzteres findet sich auch in ihren Bildnisköpfen, von denen das halb archaisch mahnende, halb bescheiden-skizzenhafte, überlebensgroße Selbstbildnis von 1974 und aus jüngster Zeit das Porträt Fritz Cremers besonders hervorgehoben seien. Mich drängt es aber, etwas zu den Figuren zu sagen, genauer: zu drei von ihnen, drei traditionellen Akten.
Was sie eint, und was mir als kennzeichnend für Sabina Grzimeks bisheriges Werk erscheint, ist, dass sie uns sofort von ihrem menschlichen Gehalt her ansprechen, dass sie uns – und das ohne jeden direkten Fingerzeig – abverlangen, uns zu menschlicher, zu sozialer Wirklichkeit und zu einer bestimmten Lebenshaltung und Weltsicht ins Verhältnis zu setzen. Dies ist wohl nur möglich, wenn auch für die Künstlerin das Berührt- oder Betroffen-Sein von der Wirklichkeit und den Problemen menschlichen Daseins, dazu der Wunsch, sich mit einer künstlerischen Äußerung in diese Wirklichkeit einzumischen, und schließlich die Überzeugung von einer Wirkungsmöglichkeit des künstlerischen Bildes eindeutig vor allen daraus abgeleiteten, und dann freilich sehr wichtig werdenden Formfragen rangieren.
Zwischen 1973 und 1975 entstand die Sinnende. Man könnte sie auch die Prüfende nennen. Ruhig, aber ganz wach, ohne jede Trägheit, behutsam und feinfühlig, aber nicht träumerisch – man kann ein Charakterbild dieser fiktiven Gestalt entwerfen – und zwar, der Bildhauerei gemäß, aus nichts anderem als der Körperhaltung der Bronzefigur. Diese Gestalt hat ein hohes Selbstwertgefühl, sie ruht sicher in sich selbst und behält es in der Hand, sich auf sich selbst zurückzuziehen, aber sie verschließt sich nicht, sie ist, im Gegenteil, in hohem Grade offen für den Dialog mit ihrer Umwelt, wenn diese sie ernst nimmt und respektiert. Bild eines Charakters, einer Altersstufe, einer Generation, einer Zeitstimmung? Wohl von all dem etwas, also wichtiges, richtiges Zeugnis, und in der positiven Bewertung, die diese Möglichkeit menschlichen Seins durch die Gestaltung erfährt, Ausdruck einer Übereinstimmung, ein behutsames Angebot zur Identifikation, zum Nachvollzug, horribile dictu, ein Leitbild, Plastik kann dies leisten, und wir brauchen es.

Der Stehende Mann von 1977/78, in einer Sportanlage in Marzahn aufgestellt, ist vielleicht eine Spur zu empfindsam. Ist er, der das Stand- und Spielbein-Motiv des klassischen Heros in fast parodistischer Reinheit vorführt, mit seiner lässigen Wegwendung möglicherweise allzu bewusst die Alternativfigur zum gewohnten männlichen Helden? Und trotzdem ist auch hier ein so stimmiger Körpergestus gefunden, dass sich die Figur dem Gedächtnis deutlich einprägt.

Gleichzeitig mit dieser Plastik reifte eine Figur heran, von der ich überzeugt bin, dass sie einen dauerhaften Platz in der Vorstellung von der Plastik der DDR am Beginn der 80er Jahre behalten und zugleich immer von neuem als eindrucksvolle Gestaltung erlebt werden wird. Ich meine die überlebensgroße Mutter und Kind (1976–81), die jetzt zu den bemerkenswertesten und glücklicherweise auch viel bemerkten Skulpturen in der IX. Kunstausstellung der DDR gehört und ihren Standort vor einer Berliner Schule finden wird. Ganz schlicht in ihrer Frontalität, von plebejischer Herbheit, ungeheuer fest in ihrer plastischen Substanz wie in ihrem unverrückbaren und aufs Äußerste gespannten Dastehen – und dabei zart, verletzlich, mit einer gleichsam fröstelnden oder, mindestens partienweise, wunden, ungeschlossenen Oberfläche und einem Antlitz voller Fragen und Sorgen. In einer ersten Sinnschicht ist das ohne Zweifel einfach (als ob das einfach wäre!) das Bild einer jungen Mutter, wie es in dieser Art und Intensität wahrscheinlich nur jemand empfinden und gestalten kann, der selbst eine Mutter ist: Das ganz kleine, noch unfertige Kind gehalten wie ein kostbares und rätselhaftes Wunder und auch als eine schwere, verpflichtende, überfordernde Aufgabe; die Mutter fast unbeholfen dastehend, voller Fragen an sich und an die unbekannte, in jedem Falle auch schwierige Zukunft des Kleinen.

In unseren Tagen aber war es unabweisbar, dass diese Mutter-Kind-Gruppe noch eine andere Lesart erfuhr, dass die Sorge der Mutter um und für ihr Kind konkretisiert wird durch das Bedrohtwerden von unvorstellbaren Kriegsgräueln. In diesem Sinne wird diese Plastik hier und heute verstanden, dieser Sinn wird an ihre haften bleiben, und das mit Recht. Der tiefe Ernst, der über ihr liegt, die Abwesenheit jeder idyllischen Heiterkeit, die das Thema ja annehmen kann, und die Kräftespannung, mit der hier standgehalten (Stand gehalten) wird, lassen erkennen, dass diese Gestaltung auf mehr als nur Einzelnes und Individuelles zielt, dass sie aus einem Bewusstsein dafür motiviert wurde, dass heute die Zukunft aller Kinder, die Zukunft der ganzen Menschheit vom Imperialismus in einer Weise aufs Spiel gesetzt wird, die wir schon nicht mehr für möglich gehalten hatten. Das ewig-menschliche Thema mit dem unverwechselbaren Klang unserer Jahre. Ernst und Bangigkeit sind dem Antlitz der Figur abzulesen, in dem wir ebenso viele Züge aus dem Selbstbildnis der Künstlerin wiederfinden, wie wir es von den Grafiken und Skulpturen der Kollwitz her kennen. Die Nacktheit, künstlerisches Mittel der Verallgemeinerung, bekommt etwas Schutzlosigkeit. Habitus und Standmotiv lassen die Erinnerung an die plastischen Bilder der Frauen von Ravensbrück aufblitzen. Das heißt: Opfer? Das auch und viel mehr: Widerstand. Diese Figur steht und widersteht. Ich glaube, sie ist ein Stück Ansporn, nicht müde zu werden, um alle Kraft und Phantasie aufzubieten gegen den Wahnwitz, der sich in Weißem Haus und Pentagon zusammenbraut, und das macht sie so wichtig und fruchtbar.

Schon andere haben sich durch diese Arbeit an das Blatt der Käthe Kollwitz Saatfrüchte dürfen nicht vermahlen werden erinnert gefühlt. Das ist eine schöne Bekräftigung des Beschlusses der Sektion Bildende Kunst und des Präsidiums der Akademie der Künste der DDR, Sabina Grzimek mit dem Käthe-Kollwitz-Preis auszuzeichnen. Unsere realistische Kunst für den Sozialismus, den Frieden und die Humanität ist ein Stück reicher geworden durch das Ethos, die Gestaltungskraft und die harte, ausdauernde Arbeit von Sabina Grzimek. Ich möchte ihr dafür danken und herzlich zu dem Preis gratulieren. Ihr kleines Atelier am Prenzlauer Berg ist voller im Entstehen begriffener, neuer, vielversprechender Figuren. Wir dürfen erwartungsvoll sein und sind zuversichtlich.