1984
Manfred Böttcher
Der Zeichner und Maler Manfred Böttcher entwickelt seine künstlerische Haltung zunächst unter dem Einfluss seiner Lehrer Wilhelm Lachnit und Hans Theo Richter und dann ab 1961 als freischaffender Künstler in Berlin. In seiner Meisterschülerzeit bei Heinrich Ehmsen entstehen – wie bei Harald Metzkes und Ernst Schroeder – streng gebaute „schwarze Bilder“. Damit rebellieren die jungen Meisterschüler gegen den akademischen Optimismus und die verordnete Doktrin. Böttcher findet Anregungen für seine Zeichnungen und die dynamisch und pastos gearbeiteten Gemälde in der Aktmalerei, in der Landschaft, im Stillleben und bei den Meistern der Kunstgeschichte. In den letzten Lebensjahren wird seine Malerei abstrahierter, aber nicht weniger kraftvoll.
„Sein Wesen, seine Gaben lichteten die grauen akademischen Hallen auf.“
Textbeiträge zur Preisverleihung
„Das Poetische jedoch, scheint mir dem Maler nicht das Motivische zu ersetzen. Böttcher ist Maler, und das Motiv ist sein Gegenstand.“ (Auszug Laudatio)
Die Sektion Bildende Kunst schlägt den Maler und Grafiker Manfred Böttcher zur Auszeichnung mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 1984 vor.
Manfred Böttchers Bildwelt wurzelt in der Anschauung; Seherlebnisse sind der Ursprung aller seiner Arbeiten. Seine grundsätzlichen Bemühungen liegen bei einer schöpferischen Begegnung mit unserer Umwelt, der sichtbaren Wirklichkeit. Sein Talent entfaltete sich in Übereinstimmung mit dem Aufbau der sozialistischen Gesellschaft in der DDR. Dieses Erlebnis führte ihn zu einer Darstellung von Natur, Mensch und Stadt, die von einer freundlichen Grundstimmung beherrscht ist. Seine Werke sind Bekenntnisse zu den gewöhnlichen Dingen und Erfahrungen des Lebens, deren Schönheit wir durch sie neu sehen lernen.
Ein besonderes Interesse Böttchers gilt der Stadtlandschaft. Durch sein gesamtes Werk sind Stadtbilder zu verfolgen, die das Typische [der] Berliner Straßen und Häuser in Gemälden und Zeichnungen für kommende Generationen bewahren. Den spröden Motiven entspricht eine zurückhaltende Farbigkeit von nuancenreicher Stufung. Der farbige Grundwert eines Gemäldes wird bei außerordentlicher Variabilität im Detail auch auf großer Fläche beibehalten und dennoch spannungsreich bewältigt.
Manfred Böttcher gehört zu jener Gruppe von Künstlern der mittleren Generation, deren Werk von großer geistiger Disziplin geprägt ist. Seine Bildwelt bestimmt das Beherrschen einfacher, seltener auch komplizierter Strukturen. Mit dieser Haltung vermitteln seine Arbeiten den Wunsch nach wohlgeordneten Beziehungen von Raum und Dingen. Sein ausgeprägtes Bedürfnis nach dem rechten Maß zwischen Bewegtheit und Beharren widerspiegelt den Wunsch nach innerer Ordnung, Klarheit und Festigkeit. Durch den Ausdruck dieser Fähigkeiten menschlichen Denkens und Handelns fördern Manfred Böttchers Werke die Gesittung des Menschen, tragen sie zu seiner Humanisierung bei.
Das Originelle der Kunst Manfred Böttchers liegt in der entschiedenen Beschränkung der Bildmitteilung auf solche Tatsachen des Lebens, die dazu beitragen, den Menschen in Einklang mit seiner Wirklichkeit zu bringen. Bei einer virtuosen Handhabung der malerischen wie der zeichnerischen Mittel gelingt ihm eine Variante der realistischen Kunst von großer Ausstrahlung.
Der Vorschlag zur Auszeichnung mit dem Käthe-Kollwitz-Preis beruht auf der Überzeugung, dass die künstlerische Gesinnung Manfred Böttchers, mit der er entschiedene Gegenbilder gegen alles Verwirrende und Zerstörende schafft, eine angemessene Würdigung erfahren sollte. Sein Werk ist ein hervorragender Beitrag zur sozialistischen Kunst der DDR.
Laudatio, vorgetragen von Werner Stötzer, veröffentlicht in „Mitteilungen" 4/1984, S. 7/8:
Meine Damen und Herren, liebe Freunde,
lieber Manfred Böttcher!
Einen kleinen Stolz müssen Sie mir erlauben. Stolz kann furchtbar klingen, es ist jedoch ein altes Wort, und wenn es behutsam benutzt wird, kann es dem Freund, dem es gilt, ein Gedanke sein. Und für Sie, die Sie eine kurze Weile zuhören wollen, muss ich dieses Wort nun nicht mehr wiederholen. Über Böttcher als Maler sage ich nicht einen Ton.
Gottfried Keller ließ seinen Grünen Heinrich sagen: „Ferner ging eine Umwandlung mit mir vor; in meiner Anschauung nannte ich Farbe und Form poetisch, so gut, wie alle menschlichen Ereignisse, welche mich anrührend bewegten.“ Keller ließ ihn als Maler sterben und ihn etwas anderes werden. Anregend – berührend, das ist aufregend. Das Poetische jedoch, scheint mir dem Maler nicht das Motivische zu ersetzen. Böttcher ist Maler, und das Motiv ist sein Gegenstand.
Am Tag nach der Beerdigung unseres Freundes Otto Niemeyer-Holstein standen Böttcher und ich am zugefrorenen Achterwasser. Zwei Männer schnitten Rohr. Ihre Bewegungen waren zwischen einer Schräge, die wir von van Gogh kennen, aber auch auf einer Vertikalen. Wie die Männer das Rohr schnitten, erregte mich. Aber mehr erregte es Böttcher. Es war das Motiv. Es gibt Böttcher nicht als Oase und nicht als Zitadelle. Ein fest gegründetes Gebäude, gebaut von ihm, mit der beruhigenden Kraft eines Menschen, der Räume bilden kann. Der Eingang ist freundlich, die Maße nobel, und die Menschen, die Blumen, die Gegenstände sind in den Räumen gewesen, sie kommen dazu oder sie gehen. Ihre Spuren bleiben sichtbar, und der Blick durch große Öffnungen, die er gemacht hat, sieht wieder Blumen, Menschen, sieht das Meer und die Landschaft der großen Städte. Enge und gedehnte Friedensräume!
„Aus dem Inneren hinaus in die Welt.“ Goethe sagt es wunderbar einfach. Wir aber können den Vorgang unserer Arbeit nur zu erklären versuchen. Max Liebermann sagt es für uns: „Denn die Malerei besteht nicht in der Erfindung der Gedanken, sondern in der Erfindung der sichtbaren Form für den Gedanken.“
Danksagung von Manfred Böttcher, veröffentlicht in „Mitteilungen" 4/1984, S. 7/8:
Ich danke Ihnen allen, dass Sie gekommen sind, um mit mir diese festliche Stunde zu verbringen. Die Verleihung des Preises, der den Namen der großen Käthe Kollwitz trägt, ist für mich Bestätigung und Anerkennung meiner Bemühungen um die Malerei. Ich begreife ihn auch als Aufforderung, den Weg weiter zu verfolgen, den ich als den eigenen erkannt habe. Er liegt nicht offen zutage und Umwege und Stagnation haben ihn ebenso geprägt wie sorgloses, intuitives Drauflosgehen bzw. -malen. Eine Sorge war allerdings stets, dass er nach vorn möglichst weit offen bleibt.
Zu den Zielen gehört mir vor allem, was Käthe Kollwitz so sehr ausmacht und ihre künstlerische Potenz immer aufs Neue erweist, wenn der Blick frei wird von der Abnützung durch allzu häufige Verwendung ihrer Bildwelt für Illustration sozialer Zustände. Auf einen Begriff gebracht, ist es für mich Wahrhaftigkeit. Hier sind Fühlen und Denken eins und in klarer Form Ausdruck geworden. Wie schwer diese Einheit eingelöst ist, sagen auf ebenso einfache wie entwaffnende ehrliche Weise ihre Bekenntnisse und Tagebuchaufzeichnungen – rückhaltlos.
Kaum ein anderer deutscher Künstler, zu nennen wäre noch Otto Dix, hat sich mit solcher Nachdrücklichkeit zum zweckhaften Wirken durch Kunst bekannt und immer die eindringlichste Form dafür gesucht. Dix nannte es einmal „fast ohne Kunst“, so hart sollte es treffen. Aber mit dem Begriff der Wahrhaftigkeit haben wir es immer zu tun, wenn es sich um wirkliche Kunst handelt. Das Feld ist so weit wie die unterschiedlichen Temperamente es erschlossen haben. Die Welt wäre blind ohne sie.
Auf andere Weise habe ich vor kurzem die Überzeugungskraft von Malerei erfahren: Mich hatte gleichzeitig mit der freudigen Ankündigung des Käthe-Kollwitz-Preises die Nachricht vom Tode Otto Niemeyer-Holsteins erreicht. Ein scheinbarer Zufall, mit dem ich fertig zu werden hatte. – Wie schon öfter, stellte sich das Bewusstwerden der Endgültigkeit dieses Abgangs erst später ein.
Am Tag der Beerdigung habe ich das erste Mal vereiste Buhnen und Schneeflecken auf dem Strand gesehen. Ein Stück Natur, das ich so gut von Niemeyers besten Bildern kannte. Unnötig zu sagen, dass ich es mit seinen Augen sah, durch seine Malerei gedeutet fand. Es musste mir gleichnishaft erscheinen: Das hat er so gedeutet und ist weggegangen. Am Tag seines Weggangs trägt das seinen Stempel. Niemand hat das eindringlicher gemacht seit C. D. Friedrich. Eine künstlerische Erfüllung hat stattgefunden. Auf diesen Maler werden wir noch oft zurückkommen, weil seine Bilder in unserer Zeit seltene Beispiele natürlichen und schöpferischen Umgangs mit dem Leben und der Natur sind.
So hat Heinrich Ehmsen mit satter voller Farbe z. B. das Badeleben auf Capri gedeutet, mit den Erschießungsbildern das Grauen der Konterrevolution 1919, das Chaos der Vernichtung. So hat Wilhelm Lachnit mit ausgewogenen Harmonien die Schönheit und Melancholie der Dinge in den Stillleben gezeigt, die Verletzbarkeit in der Darstellung des Menschen. Das waren meine Lehrer, die ich durch Benennung gern in den Geist dieser Feierstunde einbeziehen wollte.
Es ist an uns, diese künstlerischen Deutungen zu erkennen und als Beispiele hoher künstlerischer Leistung anzuerkennen. Uns ist aufgegeben, selbst eigene Deutungen zu finden und soweit es eine Öffentlichkeit betrifft, eigene Bedeutung zu erlangen. Möge ein Preis kein Hindernis auf diesem Wege sein, kein Sessel, kein Kissen und keine Versicherung!