Lager im Nationalsozialismus: Wohnen, Arbeiten, Erziehen, Entwürdigen, Morden
Ideologie und Herrschaft des Nationalsozialismus gründeten auf der Formierung „arteigener“ Gefolgschaft. Das geschah in einer Lagerwelt, die zahlreiche Lebensbereiche der „Volksgemeinschaft“ bestimmte. Im Lager nahmen Staat und NSDAP direkten Einfluss auf das Individuum. Die Einbindung in die „Volksgemeinschaft“ erfolgte durch (Arbeits-)„Erziehung“ im Lager – in der „Hitlerjugend“ (HJ) und im „Bund Deutscher Mädel“, im „Reichsarbeitsdienst“ (RAD) und in den „Ordensburgen“ der Partei. Strafmaßnahmen waren inklusive. Paramilitärische Wohnlager dienten der Unterbringung von Arbeitern der „Organisation Todt“ (OT) an Großbaustellen, Zwangsarbeiter lebten wie die Kriegsgefangenen in unfreiwilliger kontrollierter Gemeinschaft. Auch die Freizeit sollte – wie in Prora, dem „Seebad der Zwanzigtausend“ – als Lagerexistenz organisiert werden. Konzentrationslager dienten der Ausgrenzung aus der „Volksgemeinschaft“. Dort wurden politische Gegner (Kommunisten und Demokraten), entschiedene Christen beider Kirchen und religiöse Minderheiten (Zeugen Jehovas) interniert und misshandelt. Aus rassistischen Gründen wurden Juden, Sinti und Roma sowie andere Unerwünschte verfolgt, ausgebeutet und schließlich ermordet. Sonderformen waren Ghettos und „Zigeunerlager“ als Vorstufe der Deportation. Letzte Steigerung waren die Vernichtungslager auf polnischem Boden: Kulmhof (Chelmno), Treblinka, Belzec, Sobibor. Es gab dort keinen Aufenthalt: Mord unmittelbar nach der Ankunft war der einzige Zweck. Die Zwangslager des NS-Regimes waren ohne rechtliche Grundlage genuine Orte der Entwürdigung des Individuums. Lager bestätigten die Gemeinschaft der Zugehörigen und grenzten bis zur letzten Konsequenz andere, Fremde und Missliebige, aus. Die Konzentrationslager, Vernichtungsstätten und Ghettos hatten keine Vorbilder in den britischen Internierungslagern des Burenkriegs oder in den zaristischen und sowjetischen Straflagern Sibiriens – sie waren durch die NS-Ideologie definierte und durch verordnete Schutzhaft pseudolegalisierte Elemente des Herrschaftsapparates.
Bearbeitet von Wolfgang Benz mit Angelika Königseder unter Verwendung der Forschungsergebnisse von Christopher Kopper; Mario Wenzel