Kontinuitäten in Städtebau und Architektur in Ost und West nach 1945: Akteure, Institutionen, Planungen

Vor der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 lagen in allen vier Besatzungszonen nach Kriegsende schwere Notjahre. Die Ziele der Besatzungsmächte und die von ihnen im Planen und Bauen gewährten Spielräume lagen anfangs weit auseinander. Sie veränderten sich aber im Zeichen des aufziehenden Kalten Krieges zwischen Ost und West bald grundlegend. Von entscheidender Bedeutung waren der Zusammenschluss der drei westlichen Besatzungszonen 1948 und die flankierende wirtschaftliche Unterstützung durch das vom US-Außenminister George C. Marshall 1947 initiierte European Recovery Program (ERP). Mit ihm wurde in der Systemkonkurrenz zwischen Markt- und Planwirtschaft, zwischen Kapitalismus und Sozialismus ein folgenreicher Paradigmenwechsel eingeleitet, durch den Westdeutschland vom „Feindesland“ zum massiv unterstützten Wirtschaftspartner wurde. Die Sowjetunion hielt demgegenüber in der von ihr besetzten Zone weiter an Demontagepraktiken und Reparationsforderungen fest und trug damit wesentlich zur Verschärfung der ökonomischen Ungleichgewichte zwischen West und Ost bei. Der Wiederaufbau fand in Ost und West unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen statt und folgte grundsätzlich divergierenden Leitbildern. Die Bandbreite der auf kommunaler Ebene vertretenen Konzepte war dabei groß. Das Spektrum reichte von Visionen eines radikalen Neuaufbaus der Städte bis hin zu Vorschlägen eines behutsamen Wiederaufbaus nach historischem Vorbild. Umgesetzt wurden dann aber vielfach pragmatische Vorschläge, die auch Bodeneigentumsverhältnisse, Straßenverläufe und die vorhandene unterirdische Infrastruktur berücksichtigten. Hüben wie drüben gab es im Bauen keine „Stunde Null“ – personelle und konzeptionelle Kontinuitäten seit der NS-Zeit gab es zuhauf, im Osten allerdings in deutlich geringerer Zahl als im Westen. Nicht wenige der führenden „Moskau-Rückkehrer“ im Osten waren allerdings – ebenfalls sorgsam beschwiegen – in die traumatisierenden Herrschaftspraktiken der Stalinära verstrickt.

 

Bearbeitet von Tilman Harlander und Wolfram Pyta unter Verwendung der Forschungsergebnisse von Frank Betker, Harald Engler und Tanja Scheffler; Georg Wagner-Kyora und Clemens Zimmermann; Benedikt Goebel und Jörg Rudolph