Internationalität

In Deutschland setzten sich Architekten, Stadtplaner und Bauingenieure auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 intensiv mit dem internationalen Baugeschehen in den europäischen Nachbarländern, der Sowjetunion und den USA auseinander. Es ging nicht nur darum, die „Neue Deutsche Baukunst“ im Ausland bekannt zu machen, sondern auch den profunden fachlichen und personellen Austausch zu Fragen der Architektur, Stadt- und Infrastrukturplanung zu pflegen. Die umfassenden Kenntnisse über die baulichen Entwicklungen im Ausland wurden hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit analysiert und, wo möglich, für die NS-Planungen nutzbar gemacht.

Jüdische Architekten und Baubeamte wirkten an dem in der Ausstellung gezeigten Planen und Bauen im Nationalsozialismus dagegen nicht mit. Sie wurden von Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft an systematisch aus dem Beruf gedrängt, verfolgt, vertrieben und – wenn sie nicht rechtzeitig ins Ausland emigrierten – in KZ inhaftiert und ermordet. Mehrere hundert jüdische Architekten gingen 1933–1939/40 in die Emigration. Sie trugen die in der Weimarer Zeit entwickelten Ideen, Formen und Baukonstruktionen in die Welt – etwa Oskar Kaufmann, Alexander Klein und Wilhelm Haller ins Britische Mandatsgebiet Palästina, Erwin Gutkind, Arthur Korn und Harry Rosenthal nach Großbritannien, Marcel Breuer, Konrad Wachsmann und Paul Zucker in die USA, Josef Frank und Alfons Anker nach Schweden, Martin Punitzer und Leopold Rother nach Südamerika. Weitere Ziele waren anfangs unter anderem Frankreich, die Niederlande und die Sowjetunion, und manche der Exilierten wie Erich Mendelsohn, 1933 aus der Akademie der Künste ausgeschlossen und später in den USA lebend, wanderten von Land zu Land.

Nach Kriegsende 1945 kehrten die aus ihren beruflichen Positionen und sozialen Netzwerken Exkludierten in der Regel nicht zurück. Das Verhältnis zu ihren im Land verbliebenen und im Nationalsozialismus tätigen Kolleginnen und Kollegen war zerstört, und diese zeigten wenig Interesse, ihre Rolle in der NS-Zeit zu thematisieren und sich ihrer Mitverantwortung zu stellen.

Architekten, die das Land verlassen hatten, weil sie aus gestalterischen Gründen in Deutschland keine Aufträge mehr erhielten oder weil sie politisch missliebig waren, taten sich leichter. Ihnen wurden zum Teil große Bauaufgaben oder einflussreiche Positionen übertragen – wie Walter Gropius im Rahmen der Interbau 1957 in Berlin, Ludwig Mies van der Rohe, der 1962 mit dem Bau der Nationalgalerie in Berlin beauftragt wurde, oder Ernst May, der ab 1954 in Hamburg, Bremen, Mainz, Wiesbaden und Darmstadt zentrale stadtplanerische Aufgaben übernahm.

 

 

Bearbeitet von Regina Stephan und Harald Bodenschatz unter Verwendung der Forschungsergebnisse von Paul Sigel; Philip Wagner; sowie eigener Vorarbeiten