Penthesilea / Marquise von O (... vom Süden nach dem Norden verlegt) Luc Tuymans – Edith Clever
Die Ausstellung Luc Tuymans – Edith Clever bildet den prominenten Auftakt einer neuen Serie der Sektion Bildende Kunst der Berliner Akademie der Künste, in der Arbeiten von Akademie-Mitgliedern unterschiedlicher künstlerischer Disziplinen miteinander konfrontiert werden. Der belgische Maler und Kurator Luc Tuymans – mit seinem signifikanten figurativen Stil ein Star der Kunstszene – hat die deutsche Schauspielerin und Regisseurin Edith Clever eingeladen, die mit ihren Rollen starker Frauen eine Ikone des Theaters ist.
Zur Finissage der Ausstellung sind Hans-Jürgen Syberbergs legendäre Verfilmungen der Kleist-Stücke Marquise von O.... und Penthesilea mit Edith Clever zu sehen.
Penthesilea
Regie: Hans-Jürgen Syberberg, Deutschland 1987/88
Nach dem Theaterstück Penthesilea von Heinrich von Kleist, U-Matic-Video, Farbe, 240 min
Der Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg, mit dem Edith Clever eine intensive Zusammenarbeit verband, hat das Trauerspiel von Heinrich von Kleist um die tragische Liebe der Amazonenkönigin Penthesilea zum griechischen Helden Achilles, mit dem sie sich auf dem Schlachtfeld vor Troja gegenübersteht, als „Gedicht lyrischer und dramatischer Natur“ bezeichnet. Es ist der grausame, gewalttätige Konflikt zwischen starkem individuellem Gefühl und gesellschaftlicher Ordnung, um den sich das Stück bewegt. Nach dem Gesetz der Amazonen kann nur demjenigen die Liebe geschenkt werden, der im Kampf besiegt wird.
Clever ist im Film ein einziger Schrei – der Schmerz einer Rasenden mit an das Gesicht gepressten Händen und weit aufgerissenen Augen, die im Zustand des Außer-sich-Seins zum Gesetz wird, tötet und erst dann erkennt. Der Text wird zu einem großen Monolog, in dem Clever alle Rollen spricht. Die Schauspielerin verkörpert nicht nur den Text mit ihrer Stimme, sie ist der Text jenseits herkömmlicher Vorstellungen von Theater und Film. Clever spielt Penthesilea und Achilles. „Achill ist eine Penthesilea als Mann, Penthesilea ein Achill als Weib.“ (Friedrich Gundolf) Aber Clever mimt auch das Blumenfest und den Krieg und die Schlachtreihe. „In der Filmversion dieser Penthesilea wird es auch kein Publikum mehr geben, alles nur vor dem König gespielt, in Gestalt einer Königin, vor dem König der Kunst, und die Zuschauer, wir, allein die Gäste.“ (Hans-Jürgen Syberberg)
Marquise von O (... vom Süden nach dem Norden verlegt)
Regie: Hans-Jürgen Syberberg, Deutschland 1989
Nach einer Novelle von Heinrich von Kleist, U-Matic-Video, Farbe, 224 min, Kamera: Hans Rombach, Ton: Norman Engel, Musik: Ludwig van Beethoven
Edith Clevers Interpretationen der Marquise von O sind legendär. Zuerst spielte sie die Titelrolle an der Seite von Bruno Ganz und Otto Sander in der dem Absurden zugeneigten Inszenierung des französischen Filmemachers Éric Rohmer, die dieser 1976 nach der Novelle von Heinrich von Kleist drehte. Es ist die Geschichte über die Folgen der Kriegsvergewaltigung einer jungen Adligen, die ohne ihr Wissen in andere Umstände kommt.
Mit Clever in der Hauptrolle wird der Film zum Gegenteil eines sentimentalen Dramas. Es ist der langsame Prozess des Verstehens, des Vergebens und der Menschlichkeit jenseits bürgerlicher Konventionen. Nach mehr als zehn Jahren verlegt Hans-Jürgen Syberberg den Schauplatz vom Süden nach Norden und dreht seinen Film vor Projektionen des zerstörten Berliner Schlosses und des Parks Friedersdorf, den Kleist vor seinem Selbstmord besuchte. Er inszenierte das Stück zunächst mit Edith Clever am Berliner Hebbel-Theater und realisierte dann den Film. Wie in seinen Mitte der 1980er-Jahre gedrehten Clever-Monologen werden alle Schauplätze und Personen nur an einem Ort und mit nur einer Darstellerin aufgenommen. Dadurch wird der Text von Kleist–im Unterschied zu seiner Verfilmung bei Rohmer– zum inneren Konflikt mit unterschiedlichen Stimmen. In einem Interview beschreibt Edith Clever ihren Zugang zu Kleist: „Mein Verhältnis zu Kleist läuft sehr stark über die Sprache. Kleist ist mir, zumindest was die Dramatik betrifft, näher als Goethe, er hat einfach diese Zartheit und den tiefen Schmerz in seinen Figuren, die, anfangs sicher in ihre Verhältnisse, in ihre Familien eingebettet, plötzlich den unbegreiflichsten Verstörungen ausgesetzt sind.“