Film- und Medienkunst – Mitglieder

Sohrab Shahid Saless

Regisseur

Am 28. Juni 1944 in Teheran geboren,
gestorben am 2. Juli 1998.
Von 1984 bis 1993 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin (West), Sektion Film- und Medienkunst.
Von 1993 bis 1998 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, Sektion Film- und Medienkunst.

Biographie

Aufgewachsen im Iran.
1962 Übersiedlung nach Wien, Studium der Regie und Dramaturgie.
Umzug nach Paris und Fortsetzung des Studiums nach Tuberkuloseerkrankung.
Rückkehr in den Iran.
Produktion mehrerer Dokumentarfilme für das iranische Kulturministerium.
1974 Emigration als Gegner des Schah-Regimes.
Etablierung als international anerkannter Regisseur.
Übersiedelung in die CSSR und Produktion weiterer erfolgreicher Filme.
Emigration in die USA.

Werk

Filme und Dokumentationen:
1969 Budjnurdischer Tanz
1969 Darwsches Treffen
1969 Aufstehung
1969 Zweite Asiatische Ausstellung
1970 Turkmenischer Folklore-Tanz
1970 Tanz der Torbate Djam
1972 Ob?
1972 Schwarz und Weiß
1973 Ein einfaches Ereignis (Kinofilm, Iran)
1974 Stilleben (Kinofilm, Iran)
1974 In der Fremde (Kinofilm, BRD)
1975 Reifezeit (Kinofilm, ZDF, BRD)
1976 Tagebuch eines Liebenden (Kinofilm, WDR, BRD)
1978 Die langen Ferien der Lotte Eisner (Fernsehfilm, WDR, Frankreich)
1979 Ordnung (Kinofilm, ZDF, BRD)
1980 Grabbes letzter Sommer (Fernsehfilm, RB, BRD)
1981 Tschechow ein Leben (Fernsehfilm, WDR, SFB, SWF, RAI, GostelRadio Moskau, UdSSR und BRD)
1982 Utopia (Kinofilm, ZDF, BRD)
1983 Empfänger unbekannt (Fernsehfilm ZDF)
1984 Der Weidenbaum (Fernsehfilm, RB, ?SSR)
1990 Rosen für Afrika (dreistündiger Fernsehfilm, ZDF)

Auszeichnungen

1971 Goldmedaille, Teheraner Festival
1972 Schwarz und Weiß, Goldene Plakette beim Internationalen Teheraner Kinderfilmfestival
1973 Goldener Ibex für beste Regie beim Internationalen Teheraner Filmfestival für "Ein einfaches Ereignis"
1974 "Silberner Bär" bei den Berliner Filmfestspielen für "Tabiate Bijan/Stilleben"
1975 Preis der internationalen Filmkritiker bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin für "In der Fremde"
1976 Bronzener Hugo beim Internationalen Filmfestival Chicago für "Reifezeit"
1977 Special Film Award of British Film Institute beim London Filmfestival für "Tagebuch eines Liebenden"
1977 Documenta 6 in Kassel
1980 Silberner Hugo beim Internationalen Filmfestival Chicago für "Ordnung"
1981 Adolf-Grimme-Preise in Gold für das Beste Drehbuch, den Besten männlichen Schauspieler (Wilfried Grimpe) und die Beste Regie für "Grabbes letzter Sommer"
1984 Preis der Akademie der Darstellenden Künste für "Utopia"
1991 Internationales Filmfestival Hof für "Rosen für Afrika"

Nachruf

Wenn wir uns jetzt, nach seinem Tod, von Sohrab Shahid Saless verabschieden, sollten wir uns eingestehen, daß wir ihn schon vor längerer Zeit, als er noch am Leben war, verabschiedet haben.
Zum Beispiel 1992, nach seinem letzten Film, Rosen für Afrika, einer dreistündigen Reflexion über Einsamkeit und Gewalt. Danach bekam er keinen Auftrag mehr in Deutschland.
Oder 1994, als er in Frankfurt am Main den Großen Preis der Stiftung des Verlags der Autoren für sein "Gesamtwerk" entgegennahm. Wie für etwas abgeschlossenes, beendetes.
Es wanderten noch zwei seiner Drehbücher durch Gremien und Fernsehredaktionen, begleitet vom Nachhall eines Künstlers, der aus der Zeit gefallen war. Nicht zu finanzieren, nicht zu vermarkten, nicht zu senden. Gescheitert an den Medienerwartungen der neunziger Jahre.
"Die Wirklichkeit im heutigen Leben der Bundesrepublik wird leider immer mehr verschwiegen." Schrieb Saless 1983 in einem Text mit dem Titel "Kultur als harte Währung". Und weiter: "Die Ausrede ist, es bringe kein Geld. Es sei nicht wirtschaftlich. - Kultur ist Kultur und Wirtschaft ist Wirtschaft! Wußten Sie das nicht? Es passiert häufig, daß man hier zu alter Literatur greift oder tote Genies aus dem Grab holt, um sie zu rekonstruieren. Es gibt so viele junge Menschen, die ohne Arbeitsstelle herumlaufen und zu Drogen und Alkohol greifen. So viele geschiedene Frauen, die mit ihren Kindern allein leben. Kinder, die statt eines Vaters manchmal fünf Onkel, einen nach dem anderen, erleben. Sind das keine Themen? In einem demokratischen System wie in der Bundesrepublik denke ich, daß auch Kritik erlaubt sein müßte. Daß man auch düstere Geschichten, die auf Tatsachen basieren, erzählen dürfte. Das Publikum" - schrieb Saless 1983 - "ist aufnahmebereit. Es ist daran interessiert, von der Gesellschaft, in der es lebt, einiges zu erfahren."
Hat Sohrab Shahid Saless dieses Publikum überschätzt? Von 1974 bis 1994, zwanzig Jahre lang, lebte der aus dem Iran stammende Regisseur in der Bundesrepublik, meist in Frankfurt und Berlin, unterbrochen von Aufenthalten in der Tschechoslowakei. In diesen zwanzig Jahren entstanden vier Kinofilme, sieben Fernsehfilme, zwei Dokumentarfilme.
Die Titel sind unspektakulär, die Filme nur noch Kennern bekannt: In der Fremde, Reifezeit, Tagebuch eines Liebenden, Die langen Ferien der Lotte H. Eisner, Ordnung, Grabbes letzter Sommer, Ein Leben - es handelte sich um das Leben seines Lieblingsautors Anton Tschechow -, Empfänger unbekannt, Utopia, Hans - ein Junge aus Deutschland, Der Weidenbaum, Wechselbalg, Rosen für Afrika.
Keiner dieser Filme war ein großer Publikumserfolg. Jeder dieser Filme trug die unverwechselbare Handschrift seines Regisseurs. Wie bei Herbert Achternbusch, bei Helma Sanders-Brahms, bei Werner Schroeter.
Mit einer Genauigkeit, die man besessen nennen kann, entwarf Saless Porträts von leidenden Menschen. Einsamkeit, Gewalt, Unterdrückung, Liebessehnsucht sind in seinen Filmen die psychologischen Grundlagen. Für die Darstellung sozialer Realität benutzte er nicht das dokumentarische Abbild, sondern die kunstvolle Stilisierung: durch die Inszenierung des Unscheinbaren, die Gestaltung des Alltäglichen. In Bildern, Geräuschen, sparsamen Dialogen, in einer oft alptraumhaften Beschwörung von Raum und Zeit.
"Düster" wurden seine Filme genannt, nannte er sie auch selbst. Als "schwierig" galt ihr Regisseur. Zu schwierig, zu düster für die deutsche Realität der neunziger Jahre? Ein seltsamer Widerspruch.
So ging Sohrab Shahid Saless zum zweiten Mal in die Emigration. 1974 war er aus dem Iran nach Deutschland gekommen. 1994 emigrierte er aus Deutschland nach Amerika. Nicht nach Kalifornien, sondern ins Nirgendwo der Großstädte: Chicago, Washington.
Es war ein leiser, wortloser Abschied. Im April ‘98 gab es ein Lebenszeichen. Aber dann, drei Monate später, den zweiten, endgültigen Abschied. Als wollte er uns für seine Leiden doppelt bestrafen.

Hans Helmut Prinzler