26.1.2022, 11 Uhr
Geschlossene Vorstellung
Die Ausstellung zur Erinnerung an den Jüdischen Kulturbund in Deutschland 1933–1941
© Akademie der Künste
Mit der am 26. Januar 1992 eröffneten Ausstellung rückte das Archiv der Akademie der Künste das letzte Kapitel der deutsch-jüdischen Kulturgeschichte vor dem Holocaust ins öffentliche Bewusstsein.
Die Existenz eines Jüdischen Kulturbunds im Nationalsozialismus war bis Ende der 1980er-Jahre so gut wie unbekannt. Nicht von ungefähr: Dass jüdische Künstlerinnen und Künstler deutschlandweit Theater, Oper und Konzerte gespielt, Kleinkunst, Filmabende und Vorträge veranstaltet hatten, trug den Zwiespalt in sich: Einerseits zeugte es von der kulturellen Selbstbehauptung der deutschen Juden, bot den aus dem öffentlichen Kulturleben verbannten Künstlern eine Existenzgrundlage und jüdischen Menschen Zugang zu kulturellem Leben. Andrerseits konnte das nur unter der Kontrolle und zunehmenden Zensur des nationalsozialistischen Staats geschehen, der es auch von Anfang an auf ein ausschließlich jüdisches Publikum eingrenzte. Ein kulturelles Getto also, das kurz vor den ersten Deportationen in die Vernichtungslager aufgelöst wurde.
Im Nachlass von Fritz Wisten, des letzten künstlerischen Leiters des Kulturbunds, Holocaust-Überlebenden und späteren Theaterintendanten in Ost-Berlin, fanden sich umfangreiche künstlerische und publizistische Unterlagen sowie eine Art Verwaltungsarchiv des Kulturbunds. Nach seiner Auflösung hatte Wisten das Material unter Lebensgefahr beiseite geschafft und aufbewahrt. Parallel zur archivarischen Aufarbeitung konnte die Akademie den mit diesem Thema bereits befassten Journalisten Henrik M. Broder und Eike Geisel eine weltweite Recherche nach Überlebenden des Kulturbunds und deren Dokumenten ermöglichen. Auf diese Weise kamen das Archiv des Kulturbund-Gründers und Intendanten Kurt Singer sowie 55 weitere Personenbestände ins Archiv der Akademie der Künste, Berlin.
Aus diesem Material schöpfte die auf 1.500 Quadratmetern von Lorenz Dombois gestaltete Ausstellung. Hinter den künstlerischen Dokumenten machten Großfotos die zunehmende politische Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Mitbürger sichtbar. Der Ausstellungsweg, an dessen Beginn die programmatische Premiere von Lessings Nathan der Weise im Oktober 1933 stand, setzte die zwangsweise Einschränkung des Spielplans auch räumlich um. Der Raum verengte sich und endete als Sackgasse, an deren Ende das Foto eines Konzentrationslagers stand. Auch bezeichnende Details wurden anschaulich. So hatte der „Kulturbund deutscher Juden“, wie er ursprünglich hieß, noch 1935 erfolgreich gegen die Umbenennung in „Jüdischer Kulturbund“ geklagt – ein Urteil, das die NS-Behörden, für die es keine „deutschen Juden“ geben durfte, freilich nicht akzeptierten.
Der Berliner Senat ermöglichte es, zur Eröffnung 50 überlebende Mitglieder des Kulturbunds oder deren Nachkommen nach Berlin einzuladen. Sie kamen aus England, aus Schweden, Israel, den USA und Lateinamerika, auch aus Berlin und Deutschland. Einige konnten sich nicht überwinden, in die Stadt zu reisen, von der das millionenfache Morden ausgegangen war. Andere sahen sich nach über 50 Jahren erstmals wieder; manche erkannten sich sogar gleich wieder. Auf einem Ausstellungsfoto des Kulturbundorchesters entdeckte sich der Komponist Shabtai Petrushka als junger Trompeter und zeigte es seiner Frau. Bewegend war auch der Empfang im Schloss Bellevue, als Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Gäste einzeln begrüßte.
Die Ausstellung kann als eine der Sternstunden des Archivs gelten: Aus älteren Beständen und weltweit neu zusammengetragenen Materialien gelang es, dieses schwierige Kapitel der deutsch-jüdischen Kulturgeschichte zu rekonstruieren und zu vergegenwärtigen. Der Katalog zur Ausstellung gilt noch heute als Standardwerk zur Geschichte des Kulturbunds. Und zugleich erfuhren wenigstens einige der überlebenden Protagonisten eine Würdigung ihrer Arbeit wie auch eine Anerkennung ihrer Leiden.
Wolfgang Trautwein