23.4.2021, 09 Uhr
Begegnungen der Berliner Akademie-Mitglieder aus Ost und West
© Akademie der Künste
Der dünne Gesprächsfaden zwischen den Akademien in Ost- und West-Berlin war nie abgerissen. Das Interesse am künstlerischen Werk des Gegenübers überwog die ideologischen Vorbehalte. Fast 100 Mitglieder und Mitarbeitende trafen sich am 23. April 1988 zu Gesprächen, die „vom guten Willen um Verständigung geprägt waren“.
Zwei Akademien der Künste in einer geteilten Stadt agierten in den konträren politischen Systemen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und doch hatten sie mit der Preußischen Akademie der Künste eine gemeinsame Wurzel, auf deren gute Traditionen sie sich beriefen. Beide Akademien verstanden sich nicht vorrangig als Ausbildungsstätten, sondern als Künstlersozietäten mit internationalen Künstler*innen – den Mitgliedern unter anderem in den Bereichen Bildende Kunst, Musik, Literatur und Darstellende Künste. Und beide nutzten eigens für sie errichtete Gebäude in Berlin und wirkten mit Ausstellungen und Veranstaltungen auch weit über die Stadt hinaus.
Anhand der erhaltenen (und veröffentlichten) Dokumente, Briefe und Berichte erkennt man, dass es der Kalte Krieg zwischen den Systemen nicht vermochte, die Mauer auch zwischen den Akademien zu errichten, und es den Protagonisten „hüben und drüben“ gelang, einen dünnen Gesprächsfaden aufrechtzuerhalten. Man unterstütze gemeinsam die Rekonstruktion der Quadriga auf dem Brandenburger Tor, man lud sich zu Eröffnungen oder Geburtstagsjubiläen ein. Man versuchte gemeinsame Ausstellungen auszustatten und vermittelte bei Nachlässen. Man scheiterte, man grollte, man versuchte zu ignorieren und kam dann doch wieder aufeinander zu.
Von Beginn an waren es die Künstler*innen, die zu Mitgliedern in beiden Akademien gewählt worden waren, die sich für den Austausch einsetzten. Erwähnenswert ist ihr gemeinsames politisches Wirken in der Zeit der Friedensbewegung, so die beiden Veranstaltungen in einem großen Kreis von Schriftsteller*innen beider Institutionen – die „Berliner Begegnung“ am 13./14. Dezember 1981 in der Akademie-Ost und die „2. Berliner Begegnung“ am 22. April 1983 in der Akademie-West.
Der Besuch, der im Rahmen der Frühjahrstagung der Akademie-West am 23. April 1988 von 46 Mitgliedern und 10 Mitarbeiter*innen bei 29 Mitgliedern, deren Gästen und 11 Mitarbeiter*innen in der Akademie-Ost stattfand, hatte dagegen den Charakter eines Betriebsausfluges. Es liegt die Kopie eines Berichtes der Gastgeber vor, der uns heute einen Eindruck vermittelt: Mit einem Bus der „Berolina-Stadtrundfahrten“ wurde der Grenzübergang Invalidenstraße überquert, dann fuhr man durch den Ostteil der Stadt bis zum damaligen Platz der Akademie und dem von Schinkel gebauten Schauspielhaus, dass 1976 bis 1984 von innen und außen aufwendig restauriert worden war. Vermutlich war die Besichtigung ein Wunsch der 23 Mitglieder der Abteilung Baukunst, die die größte Künstlergruppe stellte. Allen wurde außerdem auch das alte, aber gerade sanierte Haus der Akademie der Künste der DDR am Robert-Koch-Platz 7 gezeigt (heute Kaiserin-Friedrich-Haus).
Zum zweieinhalbstündigen Gespräch an lockeren Tischrunden bei Kaffee und Margonwasser begrüßten die Präsidenten Manfred Wekwerth (Ost) und Giselher Klebe (West). Dem Bericht zufolge sprach man über die technischen Ausstattungen, den Archivneubau, das 1996 anstehende Akademie-Jubiläum bis hin zu „Arbeitsfragen der Künstler selbst“. Die Architekten, für die unter anderem Ule Lammert und Bruno Flierl als Gesprächspartner eingeladen worden waren – die Akademie-Ost hatte keine Baukunstabteilung –, unterhielten sich „über Bauhaus und nachfolgende Architekturentwicklungen“. Die Schauspielerkolleg*innen erzählten Anekdoten. Man vereinbarte Kataloge und Einladungen auszutauschen. Interessant erscheint heute die Bemerkung im Bericht, dass „die politische Haltung der Mitglieder alle Schattierungen umfaßt“.
Ule Lammert schreibt in seinen Erinnerungen: „Das erste Treffen verlief in der Enge des Robert-Koch-Platzes sehr herzlich und lebhaft. Wir Architekten saßen an einem runden Tisch zwischen den Sparten, erzählten, sprachen bei Kaffee und Kuchen über all das, worüber Kollegen sich nun einmal unterhalten, wenn sie zusammenkommen. Die Zeit verging, wie alle empfanden, zu schnell, mir hatte es Spaß gemacht, den Westdeutschen wohl auch, sie meinten, wenn sie unter sich seien, wären die Gespräche selten so freimütig. Heute würde ich sagen, wir waren keine Konkurrenten für sie.“
Ein Jahr später, am 28. April 1989, waren die Mitglieder der Akademie-Ost und leitende Mitarbeiter (54 Personen) dann auf Einladung zum Gegenbesuch in Berlin-West am Hanseatenweg. Das war das letzte offizielle Treffen vor dem Mauerfall. An dem Tag ahnte wohl niemand, dass man sich vier Jahre später in einer nach schmerzlichen Auseinandersetzungen vereinigten Akademie der Künste wiederfinden würde.
Carolin Schönemann