15.2.2021, 09 Uhr
Der Tabubruch von 1933
© Akademie der Künste
Ohne nennenswerte Gegenwehr lässt sich die Preußische Akademie der Künste von den Nationalsozialisten gleichschalten. Am 15. Februar 1933 – 16 Tage nach der Machtübernahme – nutzt der neue preußische Kultusminister Rust einen Vorwand, um ein Exempel zu statuieren und den Vorsitzenden der Sektion für Dichtkunst Heinrich Mann und die Bildhauerin Käthe Kollwitz aus der Akademie zu drängen. Mit anderen Intellektuellen hatten die beiden den „Dringenden Appell des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes“ unterschrieben, der durch ein Zusammengehen von SPD und KPD bei den bevorstehenden Reichstagswahlen den Faschismus verhindern wollte. Rust nimmt das Plakat zum Anlass, um ihr Ausscheiden zu fordern und droht, andernfalls die Institution aufzulösen. Bereitwillige Unterstützung erhält er vom Präsidenten Max von Schillings. Um der Künstlergemeinschaft dieses Schicksal zu ersparen, ziehen Käthe Kollwitz und Heinrich Mann die Konsequenzen.
Die Reaktionen der Mitglieder spiegeln die politische Zerrissenheit der gesamten Gesellschaft wider. Zwar bedauert die Akademie in einer Presseerklärung die Austritte, offene Solidaritätserklärungen unterbleiben aber. Die gemäßigten Mitglieder passen sich an, nur wenige wagen den offenen Widerspruch. Bei der eiligst einberufenen Plenarversammlung am 15. Februar protestiert der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner: „Tatsache ist, daß der Akademie ein Ultimatum gestellt worden ist. […] Es ist zwei Mitgliedern ein Unrecht getan worden. […] Der Präsident hätte dem Herrn Reichskommissar erwidern müssen: das Plenum der Akademie muß entscheiden! Er hätte nicht den Kopf zweier Mitglieder anbieten dürfen.“ Da ihm die Unterstützung fehlt, verlässt er die Akademie. Wenige Tage später schreibt die Schriftstellerin Ricarda Huch an von Schillings: „Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt ist nicht mein Deutschtum“ – und tritt ebenfalls aus. Die Erosion der politischen Kräfteverhältnisse verdeutlicht das Beispiel des Ehrenpräsidenten Max Liebermann. Nur neun Monate nach seiner Ernennung legt er sein Amt nieder. „Nach meiner Überzeugung hat Kunst weder mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun, ich kann daher der Preußischen Akademie der Künste […] nicht länger angehören, da dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat.“
Konservative Künstler machen sich die Vorgaben des neuen Regimes schnell zu eigen und wirken an der Neuordnung mit. Der Dichter Gottfried Benn ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Sektion für Dichtkunst im März 1933 von ihren Mitgliedern eine Loyalitätserklärung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat fordert. Ohne gesetzliche Grundlage werden weitere Mitglieder genötigt, die Akademie zu verlassen. Wenig später entscheidet die Ausstellungskommission, „die ausgesprochen jüdischen Künstler“ aus der Teilnehmerliste zu streichen. Am 3. November 1933 versichert die Künstlergemeinschaft dem Reichskanzler Adolf Hitler „ihre treue Ergebenheit und Gefolgschaft“.
Zwischen 1933 und 1938 werden 41 Mitglieder aus politischen Gründen oder wegen ihrer jüdischen Herkunft ausgeschlossen und zum Austritt gezwungen. In vorauseilendem Gehorsam dienen sich Akademie-Leitung und einige Mitglieder den neuen Machthabern an. Die Institution verliert ihre moralische Integrität und versinkt in der politischen Bedeutungslosigkeit. Der Tabubruch wirkt bis heute nach.
Werner Heegewaldt