MEMORY, SPEAK! Über die Gegenwart und einige zukünftige Ereignisse
13.12.2025, 15–22 Uhr

TheaterPerformance

Ein Projekt der Mobilen Akademie Berlin in Zusammenarbeit mit: Aliaksei Bratachkin, Guillaume Cailleau, Vaginal Davis, Anselm Franke, Christian Fritzenwanker, Lamin Leroy Gibba, Shadi Habib Allah, Karin Harrasser, Alice Hasters, Heinrich Horwitz, Hannah Hurtzig, Alena Jabarine, Anna Jermolaewa, Marian Kaiser, Aurélia Kalisky, Nina Katchadourian & Sina Najafi, Sarah Lewis Cappellari & Anton Kats, Fiston Mwanza Mujila, Mukenge/Schellhammer, Farkhondeh Shahroudi, Jakob Racek, Susanne Sachsse, Eran Schaerf, Florian Stirnemann und Cécile Tuseku.

  • Standort:Hanseatenweg
  • RollstuhlgerechtGenderneutrale Toilette
  • Datum:13.12.2025
  • Uhrzeit:15–22 Uhr
  • Preis:15 EUR (Ermäßigt: 9 EUR)
  • Sprachen: Deutsch, Englisch
  • Termin speichern
  • Freitag, 12.12.
    19–23 Uhr
    € 15/9

    Am 12.12. findet im Anschluss von 21.30 – 22.30 ein kleiner Markt für nützliches Wissen (Foyer Version) mit den anwesenden Künstler*innen statt.

    Samstag, 13.12.
    15–22 Uhr
    € 15/9 (jeweils 15–18 Uhr; 19–22 Uhr)
    € 20/10 (Tagesticket)

    Durchgehend Einlass

    In deutscher und englischer Sprache mit Simultanübersetzung

    Der Veranstaltungsort ist barrierefrei für rollstuhlnutzende Menschen und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zugänglich; bei Bedarf wird Unterstützung angeboten.

Entwurf: „Schredder“, Erinnerungsskulptur für den Lustgarten, Mobile Akademie Berlin 2022
Entwurf: „Schredder“, Erinnerungsskulptur für den Lustgarten, Mobile Akademie Berlin 2022

Programm

CASTING für eine Langzeitdokumentation

Die Langzeitdokumentation wird in den kommenden zehn Jahren von der Künstlerin Anna Jermolaewa realisiert.

Freitag, 12.12.

19 Uhr Aurélia Kalisky (DE)
20 Uhr Nina Katchadourian & Sina Najafi (EN) 
Jury: Susanne Sachsse (Vorsitzende), Alice Hasters und Heinrich Horwitz

Samstag, 13.12.

15 Uhr Farkhondeh Shahroudi (DE) 
16 Uhr Aliaksei Bratachkin (EN/RU) 
17 Uhr Lamin Leroy Gibba (DE) 
19 Uhr Vaginal Davis (EN) 
20 Uhr Shadi Habib Allah (EN) 
21 Uhr Alena Jabarine (DE)
Jury: Susanne Sachsse (Vorsitzende), Alice Hasters, Heinrich Horwitz, Anselm Franke, Karin Harrasser, Jakob Racek

Markt für nützliches Wissen (Foyer-Version)

Freitag, 12.12.

Runde A  21.30 – 22 Uhr
Runde B  22 – 22.30 Uhr

Mit Aliaksei Bratachkin / Jakob Racek, Guillaume Cailleau, Shadi Habib Allah, Karin Harrasser, Aurelia Kalisky, Anton Kats / Sarah Lewis Cappellari, Mukenge / Schellhammer, Fiston Mwanza Mujila, Farkhondeh Shahroudi

Über die Veranstaltung

Erinnerungsprobleme? Probieren wir ein anderes Gedächtnistheater. Die Mobile Akademie Berlin präsentiert einen performativen Vorschlag für Erinnerungskultur in einer Migrationsgesellschaft.

Drei Bühnen des Erinnerns

Die Zukunft war immer da. Sie wartet in den nicht realisierten emanzipatorischen Projekten der Vergangenheit auf ihre Reanimierung. In der Performance „Memory, Speak!“  taucht sie auf in vielstimmigen biografischen Erzählungen. Diskurse und Debatten über Erinnerungskultur erhalten keinen Auftritt, dafür der Akt des Erinnerns und die Erinnerungen der Leute selbst – in all ihrer Detailliertheit, Prekarität und fulminanten Inkohärenz. Installation und Performance eröffnen einen Resonanzraum, in dem Besucher*innen über zwei Tage hinweg verschiedenen Techniken und Arten des Erinnerns zuhören können.

Die Bühne in „Memory, Speak!“ funktioniert als „Screen Memory“ (engl.: ‚Deckerinnerung‘). Kollektive Erinnerung ist hier ein Spiel der Addition, kein Prozess der Reduktion. Alles passiert jetzt, nichts ist vergangen, wir sind mittendrin. Auf drei Bühnen des Erinnerns durchkreuzen sich weit auseinanderliegende Orte, Zeiten, Ereignisse, fremde und eigene Erfahrungen, Anwesendes und Abwesendes. Die Zuschauer*innen und Zuhörer*innen können sich im Raum frei bewegen und sich den einzelnen Stationen auf verschiedenen Kanälen per Infrarotkopfhörer zuschalten.

CASTING für eine Langzeitdokumentation

Die Mobile Akademie Berlin hat neun Kandidat*innen eingeladen, in einem zweitägigen Casting vor einer dreiköpfigen Jury ihre Erinnerungsfähigkeiten zu testen – live vor Publikum. Sind die Kandidat*innen geeignete Protagonist*innen für eine filmische Langzeitdokumentation, die sie über zehn Jahre begleitet, um festzuhalten, wie sie das kommende Jahrzehnt erlebt haben werden? Sind sie gute Seismografen zukünftiger gesellschaftlicher Veränderungen? Die aus erfahrenen Interviewer*innen und aufmerksamen Zuhörer*innen bestehende Jury interessiert sich insbesondere für die analytische oder intuitive Fähigkeit der Casting-Kandidat*innen, in ihren Erinnerungen und Biografien mögliche Zukünfte aufblitzen zu lassen.

Roter Faden der Gespräche ist ein Fragebogen, der auf Oral-History-Interviewtechniken, Künstler*innenfragebögen, der Zusammenarbeit mit der kolumbianischen Wahrheitskommission sowie dem spezifischen Hintergrundwissen der Jurymitglieder basiert. Die Berliner Version ist der erste Teil einer geplanten Serie von Castings, nächste Station ist Wien im April 2026. Die anschließende filmische Langzeitdokumentation wird in den kommenden zehn Jahren von der in Russland geborenen und in Wien lebenden Künstlerin Anna Jermolaewa realisiert.

RADIO REHEARSAL: The Black Caribbean, Memory Techniques for Approximating Ghosted Realities

Wir lauschen dem Re-Hearsal einer Radiosendung. In Loops und Brüchen, in Worten, Musik und Sound kehrt sie zu etwas zurück, was nie erinnert werden sollte. Die Sendung handelt von El Corte, dem vergessenen Petersilienmassaker in der Dominikanischen Republik 1937, einem der am umfassendsten zum Schweigen gebrachten Genozide des 20. Jahrhunderts. Wie spricht man über Leben, die aus der Geschichte herausgeschnitten wurden und doch unterhalb ihrer weiterpulsieren, beharrlich und widerspenstig die plantation logics stören, die die Gegenwart bestimmen? Die Radioübertragung stimmt auf Frequenzen dessen ein, was einfach nicht verschwinden will: Klänge und Träume, Erinnerungsfetzen und Familiengeschichten, theoretische, literarische und poetische Spuren beschwören die Geister, die aus den offiziellen Archiven vertrieben wurden.

Die Sugar Woman driftet aus dem Sound zurück. Sie begegnet uns zuerst in einem Traum aus Edwidge Danticats Roman The Farming of Bones. Bittersüß und scharf, die Ränder der Erinnerung reizend, besteht sie darauf, dass das, was zum Schweigen gebracht wurde, noch immer im Takt der Revolte bebt. Die von Sarah Lewis-Cappellari geschriebenen und gelesenen Texte werden von dem aus der Ukraine stammenden Künstler und Musiker Anton Kats begleitet, der sie live über das G.O.S.P. Sound System collagiert und rekomponiert. You see, I know a sugar woman who dances in chains but laughs at locks, / who wears a muzzle but speaks in dreams, / who vanishes but never leaves. / She’s got a story that’ll make your teeth rot.

VIDEO PERFORMANCE: Kasala Kontinuum

Kasala bedeutet auf Tshiluba Anrufung, Beschwörung oder Lobpreisung. Es ist nach einer Definition von E. M. Mirembe ein Lobgedicht in freien Versen, das von professionellen Rezitator*innen bei Beerdigungen und anderen Familienfesten vorgetragen wird. Es stellt Personen und Biografien in einer bildhaften Sprache vor, die nicht Informationen teilen, sondern vor allem Emotionen wecken soll. Eine Kasala Performance bindet über mehrere Stunden hinweg die Aufmerksamkeit der angesprochenen Community, versammelt Anwesende und Abwesende, Tote und Lebende. Sie verändert sich mit dem Kontext, in dem sie vorgetragen wird, ist nie zweimal dieselbe.

In der Videoinstallation des kongolesisch-deutschen Duos Mukenge/Schellhammer findet ein Kasala für die kongolesische Kunstszene in Kinshasa statt. Wie kann die Kunstgeschichte eines Ortes geschrieben werden, an dem Diskurse und Debatten vor allem mündlich stattfinden und selten archiviert werden? Das Video zeigt eine Performance der Kasala-Sprecherin Cécile Tuseku im Kunstraum Plateforme Contemporaine. Ihre Rezitation versammelt Akteur*innen und Ahnen der Kunstszene, erzählt von Biografien und Initiationen, künstlerischen Bewegungen und Beziehungen. Anstatt eine chronologische Geschichte der Kunst festzuschreiben, eröffnet sie einen performativen Raum kollektiver Erinnerung. Das Video wird begleitet von Live-Auftritten des österreichisch-kongolesischen Poeten und Performers Fiston Mwanza Mujila, dessen zeitgenössische poetische Form des Kasala in Dialog tritt mit Cécile Tusekus Performance.

Mitwirkende

Ein Projekt der Mobilen Akademie Berlin in Zusammenarbeit mit:

Aliaksei Bratachkin Historiker und ehemaliger Leiter des Public History Department am European College of Liberal Arts in Belarus, forscht u.a. zu Erinnerungspolitik in illiberalen Kontexten · Guillaume Cailleau französischer Filmemacher, Künstler und Produzent, Ko-Regisseur von „Direct Action“, ausgezeichnet als Bester Film Berlinale Encounters · Vaginal Davis Musikerin, Autorin, Künstlerin, Zine-Produzentin, Filmemacherin, Ikone Schwarzer, queerer Gegenkultur, zum zwanzigsten Jubiläum ihres Umzugs von L.A. nach Berlin zeigte der Gropius Bau jüngst ihre Einzelausstellung „Fabelhaftes Produkt“ · Anselm Franke Kurator, Autor und Professor für Curatorial Studies an der Zürcher Hochschule der Künste, Anfang Dezember eröffnet das von ihm ko-kuratierte Symposium „Der Große Kanton: Aufstieg & Fall der BRD“ · Christian Fritzenwanker, österreichischer Hair- und Make-up-Artist aus Berlin · Lamin Leroy Gibba Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur und Filmproduzent, Creator, Hauptdarsteller und Headautor der Serie „Schwarze Früchte“ · Shadi Habib Allah palästinensischer Künstler und Filmemacher, seine Arbeiten untersuchen informelle Ökonomien und marginalisierte Infrastrukturen und dokumentieren Netzwerke des Überlebens · Karin Harrasser Direktorin Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaft in Wien, Professorin für Kulturwissenschaft Kunstuniversität Linz, Donna Haraway Übersetzerin und Mitglied der MAB · Alice Haruko Hasters deutsche Journalistin, Hörbuchsprecherin, Podcasterin und Autorin, u.a. von „Identitätskrise“ · Heinrich Horwitz Regisseur*in, Choreograf*in und Schauspieler*in, Aktivist*in für queere Sichtbarkeit in Kunst und Kultur · Hannah Hurtzig leitet seit 25 Jahren die Mobile Akademie Berlin, das Thema der Erinnerung taucht immer wieder auf · Alena Jabarine deutsch-palästinensische Journalistin und Autorin von „Der letzte Himmel. Meine Suche nach Palästina“ · Anna Jermolaewa in Russland geborene, in Wien lebende Konzeptkünstlerin, Professorin für experimentelle Kunst in Linz, vertrat den österreichischen Pavillon bei der letzten Biennale di Venezia · Marian Kaiser Medientheoretiker, Autor und Projektemacher, seit 10 Jahren Co-Leitung der MAB · Aurélia Kalisky französische Literaturwissenschaftlerin, Expertin für Formen der Zeugenschaft, vergleichende Genozid- und Gedächtnisforschung · Nina Katchadourian amerikanische interdisziplinäre Künstlerin und Lehrende mit armenisch-finnischem Hintergrund, lebt und arbeitet in Berlin · Anton Kats in der Ukraine geborener Künstler, Musiker und Professor für Sonic and Listening Practices an der Oslo National Academy of the Arts · Sarah Lewis-Cappellari Researcherin, Kuratorin und Lehrende im Zwischenbereich von Performance, Kunst, Black und Caribbean Studies · Melinda Matern Kunstsoziologin und Gründerin des feministischen Kollektivs "Zwischen Institution und Utopie" · Fiston Mwanza Mujila kongolesisch-österreichischer Schriftsteller, schreibt Lyrik, Prosa und Theaterstücke, unterrichtet, vermittelt und publiziert afrikanische Literatur · Mukenge/Schellhammer doppelköpfiges kongolesisch-deutsches Künstler*innen-Duo, produziert sei 2016 zwischen Berlin und Kinshasa · Sina Najafi Gründer und Chefredakteur von Cabinet, eines vierteljährlich erscheinenden Magazins für Kunst und Kultur · Jakob Racek Leiter Abteilung Information des Goethe-Instituts in München, von 2018 bis 2022 Direktor des Goethe-Instituts in Minsk, Belarus · Susanne Sachsse Künstlerin, Schauspielerin, Theaterregisseurin und Mitbegründerin des Künstlerkollektivs CHEAP · Eran Schaerf Künstler, Autor, Hörspiel- und Filmemacher, lebt in Berlin · Farkhondeh Shahroudi in Teheran geborene und in Berlin lebende Poetin und bildende Künstlerin · Florian Stirnemann bildender Architekt, konzipiert Räume und Bühnen für die MAB, Mitglied von raumlabor berlin · Elena Tilli Videodesignerin, Szenographin, Technologin und Forscherin  · Cécile Tuseku professionelle Kasala Performerin, geboren in Mbuji-Mayi in der Kasaï Region der Demokratischen Republik Kongo · Boris Wilsdorf deutscher Produzent, Soundingenieur und Ko-Gründer des Tonstudios andereBaustelle in Berlin

Über „Memory, Speak!“

Erinnerung ist das Gegenteil von Abspeichern und Abrufen. Sie ist die Komplizin des Vergessens, kommt eher über uns, als wir zu ihr. Sie akzeptiert keine harten Grenzen zwischen Gestern und Heute, passiert genau jetzt und ist auf die Zukunft gerichtet. Sie existiert nicht außerhalb ihrer selbst, verändert und verschiebt sich. Sie kann nicht erzählen, was war, sondern was zu erzählen ist oder wäre – mit ihr lässt sich kein Staat machen. „Memory Speak“ eröffnet einen Raum des Zuhörens, in dem diese besondere Form der Erinnerung auftauchen kann.

Mit „Memory, Speak!“ setzt die MAB eine Reihe von Erinnerungs- und Gedächtnisprojekten fort, die vor 25 Jahren mit der „Filiale für Erinnerung auf Zeit“, inspiriert von Aleida Assmann, in Hamburg begann. Es folgten „Das Milieu der Toten“ in Wien und Berlin 2013–2018, die „Gespräche aus der Dunkelkammer“ in Novosibirsk 2016 sowie eine Reihe von Projekten, die zwischen 2018 und 2021 gemeinsam mit der kolumbianischen Wahrheitskommission (Comisión de la Verdad) in Bogotá und Barrancabermeja entstanden sind. Die nächste Station von „Memory, Speak!“ nach Berlin ist Wien im April 2026.

Sind wir es, die vergessen werden?
Oder sind wir es, die vergessen werden?

Ein Projekt der Mobilen Akademie Berlin, in Kooperation mit der Akademie der Künste. Gefördert durch Hauptstadtkulturfonds Berlin. Begleitet von einem Rechercheprojekt des Co.Lab Erinnerungsarbeit – ästhetisch-politische Praktiken / Kunstuniversität Linz.

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