Ozeanische Plastisphäre und Müllhalde / Acoustic Ecology Lab Mexiko / Deutschland Time to Listen

Konzert

Das Aufkommen von Müll, der Pro-Kopf-Verbrauch von Rohstoffen und Ressourcen und die Entsorgung von Müll sind im globalen Vergleich sehr ungerecht verteilt und basieren auf einem Geflecht aus internationalen Beziehungen und Handel. Dass Plastikmüll die existierenden Ökosysteme der Ozeane bedroht und Giftmüll verkauft wird, ist zwar bekannt, aber längst nicht gebannt. Kreislaufwirtschaft ist in vielen Ländern Sache von Einzelpersonen, auch Kindern, für die das Sammeln, Sortieren und Rückführen von Abfall in die Produktion dem Broterwerb dienen – mit allen gesundheitsbedrohlichen Konsequenzen. Wie wenden sich Komponist*innen diesem schweren Thema zu und welche Sprachen finden sie?

Der Komponist Rama Gottfried entwickelt die wissenschaftliche Beobachtung, dass sich an Plastik in den Ozeanen neue Ökosysteme aus Bakterien und Mikroben – so genannte Plastisphären – ausbilden, zu einem Musiktheater mit imaginären hybriden Kreaturen weiter, die in und um die menschliche Kultur herum wachsen, sich mit organischen Körpern bewegen und mit digitalen Stimmen sprechen. In einer Art Mikro-Labor, in dem die Musiker*innen des ensemble mosaik die hybriden Kreaturen sezieren und auf Muster untersuchen, entsteht ein spielerisches, virtuelles audio-visuelles Ökosystem, das mutiert und verzerrt wird – gefilmt und projiziert auf eine Gaze und über eine 8-Kanal-Anlage verräumlicht.

Der experimentelle Dokumentarfilm Mountain & Maiden von Anton von Heiseler & Shmuel Hoffman mit einer Komposition von Sarah Nemtsov, Mitglied der Akademie der Künste, erzählt von dem zehnjährigen, allen Widrigkeiten zum Trotz vergnügten indischen Mädchen Aaspiya, das nicht zur Schule geht, sondern auf einer Deponie Müll sammelt – den nebligen giftigen Gasen ausgesetzt. Sarah Nemtsov verwebt mit großer Sensibilität die verschiedenen Klangmaterialien – Sprach-Samples, elektronische Klänge, Originalaufnahmen und verstärktes Klavier – zu einer hybriden musikalischen Sprache, die das Unsagbare dieser filmisch dargestellten Realität ohne aufgesetzte Schwere auszudrücken vermag.

Mit dem Acoustic Ecology Lab Mexiko/Deutschland verfolgt die Komponistin Tania Rubio aus umweltkritischer Perspektive ein interkulturelles, interdisziplinäres und intergenerationales Konzept. Sie bringt Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Mitglieder der Maya-Gemeinschaft in Yaxunah, einer wichtigen Ruinenstadt der Maya auf der Halbinsel Yucatán, in Mexiko zusammen, um Wissen auszutauschen, voneinander zu lernen, künstlerisch zu arbeiten und Wege in die Zukunft zu finden. Eine der zentralen Fragestellungen war: Wie kann die Begegnung zwischen verschiedenen Kulturen und Disziplinen mit Klang als Achse neue Horizonte rund um die ökologische Krise eröffnen?

Einige musikalische Ergebnisse dieses Laboratoriums und der Recherchereise in Yucatán werden nun in dem Konzert erstmals vorgestellt. Die Komponistin und Flötistin Sabine Vogel hat sich für Ch’íich mit dem unterirdischen Wassernetz der Region und seiner Bedeutung für die Maya beschäftigt und in die Cenote Lol-ha – eine seeartige Öffnung zum Wassersystem, von der die Maya glaubten, dass sie mit der Unterwelt verbunden sei – hineingehört. Dort hat sie Echos der Umwelt und Geräusche der sie umgebenden Stadt aufgenommen, zusammen mit dem eigenen Spiel auf einer Keramikflöte, die nach Vorbild alter Mayatempelflöten gebaut ist.

Ausgangspunkt für die dreiteilige Komposition Yok'ol kabo’o war für Tania Rubio eine Studie über das Hören natürlicher Umgebungen und der Arten, die sie bewohnen. Basierend auf den Konzepten von Territorium, Erinnerung und Migration nimmt sie eine bioakustische und ökokritische Perspektive auf Klang und den Raum ein, den sich Menschen und mehr-als-menschliche Kulturen teilen. Für die drei Teile wechseln die Zuhörer*innen den Ort und vollziehen selbst Wandlungen.

Im Acoustic Ecology Lab Mexiko/Deutschland kamen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen mit Mitgliedern der Maya-Gemeinschaft in Yaxunah – einer wichtigen Ruinenstadt der Maya auf der Halbinsel Yucatán – in Mexiko zusammen, um aus umweltkritischer Perspektive Wissen zu teilen, künstlerisch zu arbeiten und Wege in die Zukunft zu finden.

Rama Gottfried: Scenes from the Plastisphere (2018, 20 Min.) für fünf Performer*innen und Video-Puppetry-Instrument ensemble mosaik (Karen Lorenz, Christian Vogel: Objekt-Performance; Simon Strasser: Computer, Kamera, Licht; Ernst Surberg: Handprojektor Arne Vierck: Klangregie)

Sarah Nemtsov: Mountain & Maiden (2019, 24 Min.) für Keyboard solo (mit verstärktem Klavier und Stimme) zu einem Film von Shmuel Hoffman und Anton von Heiseler ensemble mosaik (Ernst Surberg: Keyboard, Klavier; Arne Vierck: Klangregie)

Acoustic Ecology Lab Mexiko/Deutschland

Sabine Vogel: Ch’íich (2023, Uraufführung, 20 Min.) für 8-Kanal-Zuspiel und Keramikflöten
Sabine Vogel: Flöte
Filmaufnahmen der Cenote Lol-ha von oben: Judith Egger
Bau der Keramikflöten: Nash Tavewa

Tania Rubio: Yok' ol kabo'o (2023, 20 Min.) dreiteilige Komposition für 8-Kanal-Zuspiel, Video, Klarinette, Fahrräder und 3 Performer*innen
Fernando Domínguez: Klarinette und Performance
Sabine Vogel: Flöte und Performance
Judith Egger: Video und Performance

Acoustic Ecology Lab Mexiko/Deutschland wurde unterstützt durch Goethe-Institut, Internationalen Koproduktionsfonds, Crespo Foundation, Archiv Frau und Musik, Akademie der Künste, Berlin, Escuela Superior de Artes de Yucatán, Enlazartes, und Centro Cultural Comunitario de Yaxunah.

Im Rahmen des Festivals Time to Listen. Die ökologische Krise in Klang und Musik

Sonntag, 20.8.2023

19.30 Uhr

Hanseatenweg

Studio

Mit Rama Gottfried, Sarah Nemtsov, Tania Rubio und Sabine Vogel

18 Uhr Einführung
„Perspektivwechsel: What Forms of Knowledge and Agency Lie in Sound?“
mit Tania Rubio und Giada Dalla Bontà, Moderation: Johanna Keller
In englischer Sprache

€ 13/7 inkl. Ausstellung

Weitere Informationen

www.adk.de/time-to-listen