Ausstellung. 8. April - 5. Juni 2011
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Carlfriedrich Claus war in einem heute kaum noch vorstellbaren Sinne Universalist: ein Denker, Bildner und Klangerzeuger, der sich die Ausdrucksformen wählte und entwickelte, derer er zur Vermittlung seiner komplexen Ideen bedurfte. Als solcher war er Zeichner, Radierer, Lautmaler, Poet, Essayist, Philosoph – und nicht zuletzt ein Vertrauter exotischer und historischer Mythen, die er auf die Zukunft hin befragte. Seine Lebensarbeit galt der geistig-sozialen Utopie, die er verfocht. Er nannte sie Kommunismus und meinte damit keine Ideologie, sondern die ganzheitliche Überwindung des »Entfremdetseins von sich selbst, von der Welt und von den anderen Menschen«. Es ging ihm um einen zeitgemäßen, historisch begründeten und künstlerisch-vorausschauend formulierten Entwurf von Humanität, – in den Worten von Karl Marx – um die »Naturalisierung des Menschen und die Humanisierung der Natur«. Claus hat im Schnittbereich von Ästhetik und Ethik operiert, die Kunst war ihm kein selbstreferentielles System, sondern eine eigene, besondere Art der Teilnahme am Leben.
Obwohl er bis 1993 in Annaberg, in der erzgebirgischen Abgeschiedenheit der DDR lebte und arbeitete, strahlte sein Werk weit über deren enge Grenzen hinaus. Claus hatte Verbindungen zu Künstlerkollegen in ganz Europa, die sein Werk bekannt machten. In der DDR jedoch konnte er lange Zeit nur in privaten Kreisen agieren, sein umfangreicher Briefwechsel wurde kontrolliert, Post und Büchersendungen wurden konfisziert. Erst mit der relativen Liberalisierung der Kunstpolitik in der DDR und durch das unermüdliche Engagement von Künstlern, Literaten und Kunsthistorikern wie Werner Schmidt, Rudolf Mayer, Christa und Gerhard Wolf, Klaus Werner und anderen setzte sich seine Arbeit seit Mitte der 1970er Jahre allmählich auch in der DDR durch.
Carlfriedrich Claus verstand sein Leben und Arbeiten als fortwährendes Experiment mit und an sich selbst. Sein Werk ist von der Kabbala, der Mystik, von Paracelsus, fernöstlichem Gedankengut und insbesondere von der Philosophie Ernst Blochs beeinflusst.
Ausgehend von der visuellen Poesie entwickelte Carlfriedrich Claus in den 1960er Jahren seine eigene Ausdrucksform der »Denklandschaften« und »Sprachblätter«. In hunderten meist kleinformatigen »geschriebenen Zeichnungen« hat er wissenschaftliche, linguistische, psychologische und aktuell politische Fragen reflektiert und zu einem individuellen Gedanken-Universum verbunden.
Seit den frühen 1950er Jahren experimentierte Carlfriedrich Claus mit Formen der Lautpoesie, 1959 begann er, diese »Sprechexerzitien« mit einem Tonbandgerät aufzuzeichnen. Daraus entwickelte sich ein akustischer Strang seiner Arbeit, der mit dem visuellen in einem engen Zusammenhang steht und in seinen letzten Lebensjahren zu professionellen Produktionen mit Rundfunkanstalten und Theatern geführt hat. Die Grenzen zwischen Sprache und Musik werden hier ebenso fließend wie die zwischen Schrift und Bild in der zeichnerischen Arbeit.
Die Ausstellung zeigt neben einer Auswahl der Sprachblätter, dem Automatischen Tagebuch und dem Geschichtsphilosophischen Kombinat, auch das variantenreiche druckgrafische Hauptwerk Aurora und erstmals Fotografien, die Claus in jungen Jahren aufgenommen hat. Den Abschluss bildet die Rekonstruktion des Lautprozess-Raums, den der Autor erstmals 1995 in den Kunstsammlungen Chemnitz einrichtete.