3.11.2020
Akademie der Künste erwirbt das Archiv von Péter Esterházy
Pressemeldung auf Ungarisch / A közlemény magyarul
Die Akademie der Künste hat den literarischen Nachlass von Péter Esterházy (1950–2016) von dessen Familie übernommen. Der ungarische Schriftsteller war seit 1998 Mitglied der Künstlergemeinschaft. Als europäischer Intellektueller suchte Esterházy zeitlebens den Dialog mit Kulturschaffenden aus unterschiedlichsten Bereichen. Person und Werk erfuhren zahlreiche Würdigungen, darunter die Auszeichnung mit dem Kossuth-Preis (1996), dem Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur (1999) und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2004). Esterházy wäre in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden.
Seit seinem Debüt im Jahr 1976 mit Fancsikó und Pinta schrieb der studierte Mathematiker Péter Esterházy in zahlreichen Genres, von der Kurzprosa bis zum großangelegten Familienroman, von Texten für Film und Bühne sowie Essayistik bis zur tagesaktuellen Publizistik. Mit seiner ironischen Gesellschaftssatire Ein Produktionsroman (1979) avancierte bereits der junge Autor zum „politischen Gewissen“ und „zur literarischen Stimme der Nation“ Ungarns (Zsuzsanna Gahse). Seine Einführung in die schöne Literatur (1986) erlaubte den Einblick in seine originäre Romankunst aus Reflexionen, Zeichnungen und Bildern sowie in die für ihn so charakteristischen ‚Gast-Texte‘. So kunstvoll und spielerisch er in seinem Opus Magnum Harmonia Caelestis (2000) den Erzählfaden durch fünf Jahrhunderte wechselvoller europäischer Geschichte seiner bedeutenden Familie zog, so sehr verpflichtete er sich in der Verbesserten Ausgabe (2002) einer Ernsthaftigkeit, mit der er die für ihn neue und schmerzhafte Geschichte seines Vaters als Informanten der ungarischen Staatspolizei dokumentierte. Als virtuoser Sprachkünstler und unbestechlicher Intellektueller hinterließ Péter Esterházy ein umfangreiches und vielstimmiges Œuvre von europäischem Rang, dessen Freiheitsanspruch sich nicht nur einer linearen Erzählweise, sondern einfachen Wahrheiten und jeglicher Instrumentalisierung entzieht.
Schriftstellerkollege und Akademie-Mitglied Ingo Schulze schreibt anlässlich der Archivübernahme über ihn: „Einen wie ihn hatten und haben wir nicht unter den deutschen Schriftstellern. Unvorstellbar, was anders gewesen wäre, hätte es einen DDR-Esterházy gegeben. Man kommt gar nicht auf die Idee, dass es ihn hätte geben können. Er hätte das ganze Land verändert – zumindest für sehr viele. Diese Freiheit und Eleganz, diese Unabhängigkeit und diese scheinbar selbstvergessene Zurückweisung der Ja-Nein-Konstellationen.“
Das Péter-Esterházy-Archiv umfasst handschriftliches Material aus fast fünfzig Arbeitsjahren (1968–2016), darunter die Manuskripte seiner sämtlichen Werke mit Entwürfen und Vorstufen. Eine umfangreiche Sammlung von Arbeitsnotizen und Recherchematerial ermöglicht detaillierte Einblicke in die Werkstatt des Autors und in die Entstehung seiner früh formulierten Ars poetica. Literaturexzerpte, Strukturdiagramme und Wortlisten belegen den experimentellen Umgang mit dem ungarischen Vokabular und lassen postmoderne Intertextualität und komplexe Textuniversen erkennen. Zahlreiche eigenhändige Karikaturen und Selbstporträts in den Schreibheften bilden einen Subtext in Graphiken und unterstreichen den unikalen Wert der Objekte. Die umfangreiche Korrespondenz von mehreren tausend Briefen und Postkarten mit bekannten Persönlichkeiten der ungarischen und europäischen Politik-, Kultur- und Wissenschaftsszene – darunter Péter Nádas, Imre Kertész, Miklós Mészöly, Ágnes Nemes Nagy, László Krasznahorkai, Danilo Kiš, Peter Handke, Ingo Schulze, Ilma Rakusa, Péter Balassa, László F. Földényi, Michael Krüger, Michael Naumann und Norbert Lammert – gibt Zeugnis vom intellektuellen Dialog jenseits sprachlicher und kultureller Grenzen. Lebensdokumente, Fotos, eine Belegsammlung seiner Publizistik sowie wichtige Auszeichnungen komplettieren das Archiv.
Mit dieser Erwerbung wird das europäische Profil der Akademie der Künste weiter geschärft, enge Verbindungen lassen sich zu zahlreichen bereits in der Akademie bestehenden Archiven herstellen, insbesondere zu denen von George Tabori, Ivan Nagel, György Konrád und Imre Kertész.
Für Rückfragen zum Péter-Esterházy-Archiv:
Werner Heegewaldt, Direktor des Archivs, Tel. 030 200 57-31 00,
Katalin-Madácsi-Laube, Wiss. Mitarbeiterin, Literaturarchiv, Tel. 030 200 57-32 43
A Berlini Művészeti Akadémiára kerül Esterházy Péter hagyatéka