18.11.2009

Akademie der Künste erhält frühes Anna-Seghers-Manuskript "Grubetsch"

Anna Seghers' Sohn Pierre Radvanyi hat gestern in Berlin die Handschrift der Erzählung "Grubetsch" als Schenkung an die Akademie der Künste übergeben. Während die Akademie das Manuskript zum "Aufstand der Fischer von Santa Barbara" bereits im Jahr 2000 von Pierre Radvanyi erhalten hatte, lagen im Anna-Seghers-Archiv der Akademie bisher keine Archivalien zu "Grubetsch" vor. Aus Seghers' Zeit vor ihrer Rückkehr aus dem mexikanischen Exil nach Deutschland 1947 sind nur sehr wenige Dokumente überliefert. Umso wertvoller ist das "Grubetsch"-Manuskript für die Seghers-Forschung.

Die auf Oktober 1926 datierte Niederschrift mit Tinte und Bleistift befindet sich in einem Notizbuch im Format 18 x 22,5 cm und umfasst 74 dicht beschriebene Blätter mit vielen Streichungen und Varianten. Das Vorsatzblatt trägt eine Skizze des Schauplatzes der Handlung, die Anna Seghers selbst folgendermaßen charakterisierte: "’Grubetsch’: Ein böser Hof, und in dem Hof ein Mann, der es versteht, die geheimen Wünsche der Menschen nach Zugrundegehen zu erraten und jedem in seiner Weise zu erfüllen." Im März 1927 erschien "Grubetsch" als Fortsetzungsgeschichte in der "Frankfurter Zeitung" unter dem Autorennamen "Seghers". Ebenso ohne Vornamen veröffentlichte der Kiepenheuer Verlag, Potsdam, 1928 Anna Seghers' erstes Buch "Aufstand der Fischer von St. Barbara". Ende 1928 erhielt die noch unbekannte Autorin für "Grubetsch" und "Aufstand der Fischer" den Kleist-Preis aus der Hand von Hans Henny Jahnn. Aufgrund der Thematik beider Texte und ihres knappen, spröden Erzähltons wurden sie zunächst einem männlichen Autor zugeschrieben. Die Tatsache, dass hier eine Schriftstellerin am Werk war, sorgte für zusätzliche Aufmerksamkeit.

Zu Unrecht wird der "Aufstand der Fischer" zumeist zuerst oder gar als einziger Titel genannt, wenn es um den Kleist-Preis geht. Anna Seghers zufolge war Hans Henny Jahnn, der Vertrauensmann der Kleistpreisjury, jedoch vor allem von "Grubetsch" begeistert. Der Kleist-Preis war eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen der Weimarer Republik; neben Anna Seghers waren u.a. Oskar Loerke, Arnold Zweig, Carl Zuckmayer, Ödön von Horvath, Robert Musil, Bertolt Brecht und Else Lasker-Schüler unter den Preisträgern.

Pierre Radvanyi wurde 1926 als Sohn von Anna Seghers (Netty Radvanyi) und Laszlo Radvanyi in Berlin geboren. 1933 emigrierte die Familie nach Frankreich, 1941 nach Mexiko, wo Pierre Radvanyi am französischen Gymnasium das Abitur ablegte. Nach Kriegsende ging er nach Frankreich und wurde Physiker. Heute lebt er als emeritierter Forschungsleiter des Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Orsay bei Paris. 2005 veröffentlichte er im Aufbau Verlag, Berlin, "Jenseits des Stroms. Erinnerungen an meine Mutter Anna Seghers".

Das Anna-Seghers-Archiv der Akademie der Künste umfasst 22 lfm. Aufbewahrt werden zahlreiche Manuskripte, Werknotizen, Aufzeichnungen und Korrespondenzen sowie eine umfangreiche Material- und Fotosammlung. Darüber hinaus befinden sich auch museale Gegenstände und die Nachlassbibliothek im Umfang von 7.024 Bänden der Autorin im Besitz der Akademie, die auch die letzte Wohnung von Anna Seghers in Berlin-Adlershof als öffentliche Gedenkstätte unterhält.
Weitere Informationen unter Anna Seghers Archiv

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