10.5.2019, 09 Uhr
Colonial Repercussions IV: Vierte Konferenz der Reihe „Koloniales Erbe“ in Namibia
Ein Rückblick von Johannes Odenthal, Programmbeauftragter der Akademie der Künste
Vom 25. bis 30. März 2019 fand in Windhoek und Swakopmund, Namibia, die vierte Konferenz der Reihe „Koloniales Erbe/Colonial Repercussions“ statt. Die von der Akademie der Künste gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und dem Goethe-Institut entwickelten Plattformen führten die InteressenvertreterInnen der Herero und Nama mit internationalen VölkerrechtlerInnen, Kulturschaffenden, HistorikerInnen und BürgerrechtlerInnen zusammen.
Die Idee zu dieser Veranstaltung wurde ausgelöst durch die heftigen Debatten zum Thema der postkolonialen Ungerechtigkeit beim ersten Symposium der Reihe im Januar 2018 in der Akademie der Künste.
Ein zentrales Thema der Konferenzen in Namibia war neben der Anerkennung historischen Unrechts und den Möglichkeiten von Wiedergutmachung oder Versöhnung die Frage nach der Erinnerung; dazu gehört die Aufarbeitung der Traumata, die Bildung von Archiven, die historische Forschung, vor allem aber auch die transformierende Kraft künstlerischer Forschung und Praxis. In den Performance-Künsten, in der Musik, in der bildenden Kunst, in der Literatur: die Ansätze junger Künstlerinnen aus Namibia und den südafrikanischen Nachbarländern sind beeindruckend. Im Dialog entstand die Idee einer forschenden und produzierenden Akademie der Erinnerung, die Idee eines lebendigen Memorials.
Gemeinsam mit Partnern in Namibia und Deutschland könnte ein solches Zentrum Schritt für Schritt entwickelt werden als eine Initiative von Wissenschaft und Kunst zur Stärkung der Aufarbeitung historischen Unrechts.
Gehen auf kolonialem Grund
Die Allgegenwart der deutschen kolonialen Vergangenheit in Windhoek und Swakopmund zeigt eines sehr deutlich: Deutscher Kolonialismus ist nicht Vergangenheit. Die Strukturen von Landnahme, Rassismus und Völkermord ragen tief in die Gegenwart hinein. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zerrissenheit eines der am dünnsten besiedelten Länder weltweit.
Die Traumatisierung von ganzen Volksstämmen wie den Herero oder Nama wird in der langen kolonialen Geschichte des Landes zudem überlagert von der südafrikanischen Apartheidspolitik und den globalen neokolonialen Zugriffen auf die Rohstoffe des Landes.
Die Verschichtungen von Problemlagen erfordern eine deutliche Differenzierung von Themenkomplexen, auf die verschiedene Akteure unterschiedlich reagieren müssen.
- Die Ebene Namibia – Deutschland: Der Genozid an den Ovaherero und Nama muss nach 115 Jahren von der deutschen Seite anerkannt werden. Notwendig sind eine offizielle Entschuldigung und ein Versöhnungsprozess.
- Die Ovaherero und Nama in Namibia: Die Ovaherero und Nama sind nicht die einzigen Opfer der deutschen Kolonialzeit. Deswegen geht es um einen Dialog mit allen betroffenen Partnern in Namibia und Deutschland. Dieser Dialog müsste auf breite Füße gestellt werden. Er kann nicht den verschiedenen Gruppen allein überlassen werden. Dieser Dialog muss nicht auf einer staatlichen Ebene geführt werden. Er kann zwischen den Playern der Zivilgesellschaft entwickelt werden.
- Erinnerung und Identität – Schlüsselmotive für eine Zukunft: Notwendig ist ein Programm der Wiedergutmachung und Versöhnung. Es geht um den Aufbau einer lebendigen Erinnerungsstruktur. Eine junge Generation von Akteuren aus Kunst und Wissenschaft zeigt in Namibia die Ansätze auf, die zu einer Aufarbeitung der Vergangenheit wesentlich beitragen. Ein Programm der Mobilität sollte die strukturellen Defizite in Namibia ausgleichen. Stipendienprogramme, Austausch zwischen Institutionen, Aufbau von Bildungs- und Kulturstrukturen in Namibia wären eine Möglichkeit, zu einem wirklichen Empowerment der betroffenen Communities zu gelangen.
- So wichtig die zwischenstaatlichen Verhandlungen sind, so wenig werden alleine sie zu einer Lösung der Probleme der Betroffenen führen. Deswegen ist beides wichtig. Die Fortführung des Dialogs zwischen Namibia und Deutschland, aber auch die Stärkung der zivilgesellschaftlichen Initiativen.
Die Akademie der Künste sieht eine einzigartige Möglichkeit für die Transformation historischer Traumata und die Entwicklung einer kulturellen und wissenschaftlichen Emanzipation in dem Aufbau eines lebendigen Gedächtnisraums. Die aktuellen Ansätze in der Kunstszene greifen Themen wie Archiv, Erinnerungskultur, Trauer, Körpergedächtnis auf. Es entstehen fragile Allianzen zwischen Performance-Kunst, Gedächtnisräumen, Archivaufbau und wissenschaftlicher Recherche. Diese zu fördern und sie im Austausch auch mit internationalen Partnern zu stärken, kann nur gelingen, wenn eine nachhaltige Struktur aufgebaut wird. Ein Ort, an dem die Recherchen dokumentiert, gesammelt und zugänglich gemacht werden.
Die radikale Zerstörung von indigenen kulturellen Netzwerken durch Kolonialismus und Rassismus ist der Ausgangspunkt der aktuellen künstlerischen und wissenschaftlichen Recherchen. Sie stellen die Frage nach den Möglichkeiten von Identität und kultureller Basis. Sie überwinden Clan-Denken, machtpolitische Gräben, Generationenkonflikte. Notwendig ist kein Mahnmal, sondern ein „Living Archive“, ein „lebendiges Denkmal“ (Living Memorial).
Johannes Odenthal, Programmbeauftragter der Akademie der Künste, Mai 2019
Am 2.4.2019 verfassten Wolfgang Kaleck, Generalsekretär ECCHR, Thomas Henschel, Jürgen Zimmerer und Johannes Odenthal einen Brief an die Bundeskanzlerin und den Außenminister, in dem sie abgestimmten deutlichen Handlungsbedarf zwischen offizieller Seite und Zivilgesellschaft sehen.
Weitere Informationen zur Reihe „Koloniales Erbe/Colonial Repercussions“: www.adk.de/koloniales-erbe/