12.11.2018, 17 Uhr
Gedenkveranstaltung „Pogrom 1938": Begrüßungsansprache der Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel und Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier
In der Akademie der Künste am Pariser Platz wurde am Freitag, 9.11.2018, den Novemberpogromen vor 80 Jahren gedacht. Bei der Gedenkveranstaltung „Pogrom 1938" thematisierte Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel die aktuellen Demonstrationen in Deutschland, „in denen zu Gewalttaten an ‚Ausländern' aufgerufen wird, in denen der Hitlergruß gezeigt und rassistische und nationalsozialistische Parolen gerufen werden" und erinnerte daran, „dass hier an dieser Stelle am Pariser Platz am 9. November 1938 Albert Speer – seit 1937 Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Berlin – seine Dienstelle hatte und Germania ersann".
Jeanine Meerapfel gedachte auch der 41 Mitglieder, die zwischen 1933 und 1938 aus politischen oder antisemitischen Gründen ausgeschlossen wurden oder aus Protest austraten:
„Die Akademie verlor ihre moralische Integrität. Es ist eine bleibende Verpflichtung und Verantwortung, uns daran zu erinnern. Es gibt keine Freiheit und keine Menschenwürde, wenn wir vergessen, was geschah, als sie mit staatlicher Macht zertreten wurden. Daraus folgt die Verpflichtung der Kunst und der Künstler, sich einzumischen.
Ich möchte die Namen der Akademie-Mitglieder nennen in der Reihenfolge ihres Austritts oder ihres Ausschlusses ab 1933:
Käthe Kollwitz, Heinrich Mann, Martin Wagner, Thomas Mann, Alfred Döblin, Alfons Paquet, Ricarda Huch, Rudolf Pannwitz, Jakob Wassermann, René Schickele, Leonhard Frank, Ludwig Fulda, Bernhard Kellermann, Georg Kaiser, Alfred Mombert, Fritz von Unruh, Franz Werfel, Max Liebermann, Paul Mebes, Otto Dix, Karl Schmidt-Rottluff, Alfred Breslauer, Thomas Theodor Heine, Erich Mendelsohn, Arnold Schönberg, Franz Schreker, Franz Seeck, Walter Braunfels, Robert Kahn, Bruno Taut, Renée Sintenis, Ernst Barlach, Ludwig Gies, Ludwig Mies van der Rohe, Bruno Paul, Emil Rudolf Weiß, Ernst Ludwig Kirchner, Rudolf Belling, Max Pechstein, Karl Hofer, Oskar Kokoschka."
Zur vollständigen Begrüßungsansprache der Akademie-Präsidentin (PDF)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte in seiner Ansprache, dass die Verbrechen der Nazis an den europäischen Juden zur deutschen Geschichte und Identität unabtrennbar dazu gehörten und mahnte: „Nur wenn Juden sich in Deutschland sicher und zuhause fühlen, ist auch diese Bundesrepublik vollkommen bei sich. Antisemitismus darf keinen Raum erhalten in dieser Gesellschaft, die den Schutz der Menschenwürde an die erste Stelle setzt".
Die komplette Rede von Frank-Walter Steinmeier finden Sie auf der Website des Bundespräsidenten.
Nach dem Grußwort des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier hielt der Historiker Wolfgang Benz einen Vortrag über die Inszenierung von Gewalt in der „Reichskristallnacht" und deren Auswirkungen. Im Anschluss sprach Jeanine Meerapfel mit Akademie-Mitglied Michael Ruetz und Astrid Köppe über deren Arbeit an dem Buch Pogrom 1938. Das Gesicht in der Menge (2018). Für die Publikation haben sie aus unzähligen Archiven Bilddokumente und Augenzeugenberichte vom 9. November 1938 gesammelt und zusammengestellt. Die Fotografien zeigen Menschenmengen wie auch einzelne Personen, die Täter, die Mitläufer, die Beobachter. „Das Buch gibt in einmaliger Fülle einen Begriff davon, welcher Zivilisationsbruch 1938 in einem Land möglich war, das man an Kant und Herder, an Goethe, Bach und auch Brecht geschult glaubte – und in dem doch alle Dämme von Moral und Sitte brachen." (Michael Ruetz)