17.12.2015, 11 Uhr
Weihnachten mit Arno Schmidt
Interview mit Susanne Fischer, Geschäftsführerin der Arno Schmidt Stiftung
Noch bis zum 10. Januar 2016 ist „Arno Schmidt. Eine Ausstellung in 100 Stationen“ am Hanseatenweg zu sehen: Unter den hundert Ausstellungsobjekten befinden sich neben den Zettelkästen, Manuskripten und Büchern des Schriftstellers auch Schmidts Teddybär aus Kindertagen, eine Lederjacke und Einmachgläser aus dem Keller seines Hauses im niedersächsischen Bargfeld. Im folgenden Interview verrät Susanne Fischer (Co-Kuratorin der Ausstellung und Geschäftsführerin der Arno Schmidt Stiftung) wie die Ausstellung zustande kam, welche Wortschöpfungen in Schmidts Zettelkästen zu finden sind und was der Schriftsteller von Weihnachten hielt.
Die Arno Schmidt Stiftung verwaltet seit den 1980er Jahren Arno Schmidts Nachlass und Erbe. Wie ließen sich aus diesem enormen Fundus 100 Objekte für die aktuelle Ausstellung auswählen? Worauf legten Sie, Petra Lutz, Friedrich Forssman und Bernd Rauschenbach bei der Auswahl besonderes Augenmerk?
Das Kriterium war, ob das jeweilige Objekt etwas über Arno Schmidt und sein Werk erzählt, also über sich selbst hinausweist. Da der Autor vielerlei Dinge aus seinem Alltag in seine Texte transformiert hat, war die Auswahl immer noch riesig. Natürlich sollen alle gezeigten Dinge außerdem schön, rührend, interessant, selten oder verrückt sein – das engt die Objektzahl in diesem Fall aber auch nicht deutlich ein. Verblüffend war für mich, dass sich selbst banale Gegenstände wie ein Tee-Messlöffel als bedeutsame Objekte präsentieren lassen, weil Arno Schmidt ihnen in seiner Literatur Gewicht verliehen hat. Das erweiterte die Zahl denkbarer Objekte wiederum erheblich. Tja. Was war noch mal die Frage?
Teil der Arno Schmidt-Ausstellung in der Akademie der Künste sind die berühmten Zettelkästen des Schriftstellers. Welche von Schmidts Wortkreationen gehören zu Ihren Favoriten?
Zu viele. „Aushilfsgreis“ und „Monologomane“ zum Beispiel. Es gibt auch schöne Paare: „Talmino & Palmina“ oder „er Tarzan von Schneiders Gnaden, sie Gans Miß Celle“. Reihenbildungen: „EinfaltsPinsel und VielfaltsPinsel“. Oder Beleidigungen: „Abdominales Pack“. Aber eigentlich sind es weniger einzelne Wörter, die begeistern. Der Witz liegt in den Beobachtungen, dem Augenmerk auf Nebensächlichkeiten, den absurden Metaphern, der Selbstironie, der Haltung zur Welt; kurz, im Geflecht des Textes. Foto: © Roland Wehking
Obwohl andererseits tatsächlich viele Schmidt-Sätze das Zeug zur Sentenz haben: „Wenn die Not am größtn, iss die Hölle am nächstn.“ Beziehungsweise: „Besser der Kirchturm fällt um, als ’s SchnapsGlas!“ Oder – na gut, am besten Sie lesen selbst. Ich habe übrigens auch ein Lieblingswort von Arno Schmidts Frau Alice: „Arnohaftigkeit“. Das bezeichnet ganz gut, dass er die meisten Dinge anders machte als andere, eben arnohaft.
Arno Schmidt übersetzte unter anderem auch Werke von Edgar Allan Poe, William Faulkner und Wilkie Collins aus dem Englischen ins Deutsche. Welche Verbindung hatte Arno Schmidt zu diesen Autoren, zu ihrer Sprache und zu ihrem Schreibstil?
William Faulkner würde ich ausklammern – was Arno Schmidt von ihm hielt, können Sie sehr schön nachlesen in seiner umwerfend komischen Erzählung „Piporakemes!“, die im Vorabdruck den Untertitel trug: „Von einer neuen Barbarei: Deutsche übersetzen aus dem Englischen“. Edgar Allan Poe, Wilkie Collins und Edward Bulwer-Lytton freilich hatte Schmidt sich selbst zum Übersetzen ausgesucht – die englische und amerikanische Literatur des 19. Jahrhunderts hatte er immer schon gemocht. Collins und Bulwer-Lytton sind grandiose viktorianische Erzähler, in die Schmidt sich eingefühlt hat. All den Lords und Bettlermädchen, den Vagabunden, Ladies und Intriganten hat er liebevoll ihre deutsche Stimme gegeben. Edgar Allan Poe dagegen wurde ihm während der Übersetzung zum Forschungsobjekt. An ihm erprobte er seine psychoanalytisch beeinflusste Literaturtheorie.
„Zettel's Traum“ gilt als Schmidts Monumentalwerk, das von vielen Literaturkritikern hoch gelobt wird. Was fasziniert Sie persönlich an diesem literarischen Text?
Nächste Frage, bitte. Nein, war nur Spaß. Als Editorin von „Zettel’s Traum“ habe ich sehr lange mit dem Text gelebt. Faszinierend ist die Herkulesleistung des Autors. Mir kommt es manchmal vor, als hätte Schmidt den Wunsch gehabt, die ganze Welt in diesem einen Buch abzubilden, und damit ist er ganz schön weit gekommen. Leider macht er es seinen Lesern in „Zettel’s Traum“ nicht leicht – die Mehrspaltentechnik, die vielen Marginalien, der bewusste Verzicht auf Absätze erschweren die Lektüre enorm. Toll finde ich, wie Schmidt in „Zettel’s Traum“ die Mehrfachbedeutung von Wörtern entwickelt, indem er ihnen mit Hilfe kleiner Verschreibungen einen Nebensinn unterlegt.
Welche Einstellung hatte Arno Schmidt zu Weihnachten? Ist bekannt, wie er Weihnachten verbrachte?
Unterbrechungen in der Arbeit hat Schmidt generell nicht geschätzt. Heiligabend blieben Schmidts allein; es gab, soweit es ihre Möglichkeiten zuließen, ein gutes Essen und ein paar Geschenke. Alice Schmidt hatte es dabei nicht so leicht, weil sie ihren Mann gern mit Büchern überraschen wollte, er aber nur die akzeptierte, die er wirklich brauchte. Wenn das klappte, waren beide glücklich. Meist haben Schmidts am 24.Dezember den Abend über gespielt; ein Zeitverschwendungsluxus, den sie sich sonst so nicht leisteten. Einen Tannenbaum hatten sie als Naturschützer selbstverständlich nicht in der Stube stehen: „Baum=Mordn“ wird die Sitte in „Zettel’s Traum“ genannt.
Inwiefern hat Arno Schmidt sich in seinem Werk mit der Weihnachtszeit auseinandergesetzt?
Es gibt den frühen autobiografisch gefärbten Text „Der Rebell“, in dem ein Kind auf Weihnachten wartet. Da spürt man die Faszination, die wohl alle Kinder erleben: Die Alltagswelt verwandelt sich über Nacht in etwas, das zauberisch und kostbar ist. In späteren Texten spielt das Fest keine Rolle mehr. Die christliche Bedeutung hat sich Schmidt ohnehin nicht erschlossen, er war Atheist.
Welches Buch von Arno Schmidt würden Sie dieses Jahr als Weihnachtsgeschenk empfehlen und warum?
Foto: Alice Schmidt / © Arno Schmidt Stiftung
So eine hübsche, vielbändige Gesamtausgabe in braunem Leinen ziert ja wohl jeden Gabentisch... aber bitte: Für Schmidt-Einsteiger empfehle ich gern „Brand's Haide“, eine wunderbare, wilde Liebesgeschichte aus der Zeit, als auch Deutsche noch Flüchtlinge und Habenichtse waren. Wer gerne Science Fiction liest, versucht es vielleicht mit dem Roman „Die Gelehrtenrepublik“, in dem grauenhafte, postatomare Mensch-Tier-Mutationen in einem Hominidenstreifen leben, während Dichter und Künstler auf einer künstlichen Insel durch die Weltmeere schippern und ihre Freiheit verlieren, ohne es zu merken. Wer sich für Schmidt interessiert, hat es leichter, wenn er mit den frühen Texten anfängt, weil er so Schmidts literarische Verfahren in einer sinnvollen Chronologie kennenlernt.
Vielen Dank für das Gespräch.