4.11.2015, 15 Uhr
Hommage an einen Pionier der Video- und Klangkunst
Interview mit dem Kunsthistoriker Wulf Herzogenrath über die Kunst von Terry Fox
Terry Fox' vielseitiges Werk ist in der Akademie-Ausstellung „Elemental Gestures - Terry Fox“ (5.11.15 - 10.1.16) neu zu entdecken. Insbesondere die medienübergreifenden Arbeiten des amerikanisch-europäischen Künstlers aus den 1970er Jahren werden von Künstlern und Kuratoren geschätzt, da Fox durch seine Kunst in vielerlei Hinsicht eine Pionierrolle einnahm. Seine politisch-anarchischen Performances und Videotapes aus den USA gelten als wesentlicher Impuls für die sich entwickelnde Klangkunstszene in Europa. Fox nutzte den eigenen Körper als Medium von Grenzerfahrungen und spielte humorvoll mit der Transformation von einfachsten Materialien.
Im folgenden Interview spricht Angela Lammert, die zusammen mit Arnold Dreyblatt die Ausstellung kuratierte, mit dem Kunsthistoriker und Direktor der Akademie-Sektion Bildende Kunst Wulf Herzogenrath. Als Zeitgenosse von Terry Fox gibt Herzogenrath Einblicke in die frühen Jahre der Videokunst und beschreibt, wie er auf das Werk von Terry Fox aufmerksam wurde.
Das Gespräch wurde am 27. Mai 2015 in der Akademie der Künste, Berlin, geführt.
Angela Lammert (A.L.): Wann sind Sie mit der Arbeit von Terry Fox in Kontakt gekommen?
Wulf Herzogenrath (W.H.): Das war Anfang der 1970er Jahre, als ich mich im Museum Folkwang Essen um das neue Medium Video kümmern sollte. Kein Mensch wusste damals, was zu machen ist und was Video sein könnte. Eigentlich gab es nur Gerry Schum, und da war Video nur bezogen auf Land Art / Concept Art. Es waren stilistisch sehr ruhige, wenn man so will, langweilige Dokumentationen von Aktionen.
Dass es ganz andere Formen von Video in Amerika gab, wie die von Nam June Paik, war uns zu diesem Zeitpunkt 1971 noch nicht bekannt. 1973 traf ich in New York auf eine ganz lebendige Videoszene: Nam June Paik mit seinem ganzen Witz und elektronischen Spielen und eben auch Terry Fox. Fox war zwar auch konzeptuell, aber mit einem untergründigen und manchmal witzigen Humor. Dieser Humor machte deutlich, dass es um etwas ganz anderes ging, als um reine Ausführung von konzeptuellen Aktionen, wie wir sie etwa von Jochen Gerz’ „Rufen“ bis zur Erschöpfung (1972) kennen. Das war bei Terry Fox irgendwie anders.
Seine berühmtesten Video-bänder „Children’s Tapes“ (1974) waren wirklich komisch. Sie sind minimal, aber sie haben immer einen Witz und man wartet darauf, was mit dieser kleinen Versuchsanordnung jetzt passiert. Es ging nicht um die stringente Durchführung eines Konzepts, bei dem oft nach 20 Sekunden klar war, wie die nächsten 10 Minuten ausgehen, sondern man blieb immer gespannt.
Wir haben in der ersten Videokunstausstellung, „Projekt ’74“, eine große Videotape-Sammlung von 110 Videobändern zusammengestellt. Terry Fox’ „Children’s Tapes“ waren
besonders beliebt bei den Besuchern, die erstmals Videokunst kennenlernen konnten. Auch auf der documenta 6 in Kassel 1977 habe ich mit den vier internationalen Kuratoren 50 Videobänder ausgewählt, dazu gehörten – man kann wohl sagen „selbstverständlich“ – auch Terry Fox’ „Children’s Tapes“. Sie sind ein ähnlicher Klassiker wie Paiks Global Groove (1973) oder Peter Campus’ frühe Bänder. Das war mein Einstieg bei Terry Fox.
Ich war natürlich immer wieder interessiert, wenn ich etwas von ihm hörte. Man konnte nur schwer etwas erfahren, deshalb war es gut, ihn persönlich zu treffen. Fox war eine skurrile und bescheidene Persönlichkeit. Er machte überhaupt nichts von sich her, hatte aber eine Intensität und eine Klarheit im Kopf – einfach bewundernswert. Damit hat er Joseph Beuys überzeugen können, eine Performance gemeinsam zu machen. Dafür interessiert man sich dann als Kurator. Donnerwetter, wenn die beiden da gemeinsam etwas machen.
Obwohl man sagen muss, wenn man nicht selbst dabei war, blieb es schwer zu erfahren, was Terry Fox da eigentlich gemacht hat. Man konnte nur Fotografien und Berichte zur Kenntnis nehmen, weil es im klassischen Sinne ein Werk – „und so sieht das aus und das ist die Skulptur und das war die Installation“ – nicht gab.
Fox hat immer stärker an besonderen Orten außerhalb der White Cubes der Kunstvereine und Museen, das heißt in verlassenen Kirchen, Fabriken und Wohnungen, Installationen gemacht. Er hat diese besonderen Räume mit zumeist speziell bestrichenen Drahtsaiten zum Klingen gebracht. Klang gehörte damals noch weniger zur Kunst. Selbst Video und Performance hatten es schon schwer. Diese nochmalige Reduktion auf die Aktion mit dem Klang, diese schwebenden, sich auflösenden, minimal klingenden Räume beeindruckten mich wie auch andere, die dabei waren.
Er präsentierte seine Performance nicht im Video. Wenn man also nicht dabei war, machte es das natürlich noch schwieriger zu wissen, was denn Terry Fox als Künstler macht. So durfte er eine Kirche in Bologna bespielen, aber er hatte die Auflage, keinen Menschen in das Innere der Kirche zu lassen. Er spannte Klaviersaiten im Kirchenraum und hat daraus ein wunderbares Stück gemacht.
Man durfte nur durch so ein kleines Loch hineinsehen. Der Klang aber ging nach draußen und man hörte Eigentümliches, konnte aber nichts sehen. In der verschlossenen Kirche entstand etwas: Genau von dem außen sichtbaren Loch, vor dem man stand, gingen die Stränge sozusagen in die Entfernung zu einem Punkt, und der Klang ging durch die Holztür nach draußen. So wie bei Marcel Duchamp mit dem mysteriös verborgen-sichtbaren Werk in Philadelphia, was da ist und gleichzeitig nur durch ein Loch gesehen werden kann. Eine solche Hommage interessierte mich natürlich schon. Was macht ein Künstler, der noch mehr reduziert als ein Duchamp?
A.L.: Haben Sie das jemals selbst erleben können?
W.H.: Ich habe es in Italien nicht erlebt, aber es wurde natürlich erzählt. Was ich erlebt habe, waren seine Kölner Auftritte insbesondere in der Moltkerei von Elisabeth Jappe.
A.L.: Sie haben 1973 im Zusammenhang mit einem Symposium im MoMA von dem großen Unterschied zwischen Video und Film und zwischen Theater und Film gesprochen. Würden Sie das heute noch genauso sehen oder hat sich da in den Prozessen etwas verändert, die auch in der Kunst anders geworden sind?
W.H.: Ich gehe immer vom Künstler aus, nicht von irgendeiner Theorie oder gar nur von der materiellen oder medialen Existenz. Technisch war alles Film, was Gerry Schum mit den Künstlern für „Land Art“ und „Identification“ realisierte, aber gemeint war der Fernseher als Abspielgerät für die Betrachter. Mir ist immer wichtiger gewesen: „Was will der Künstler mit dem Inhalt und wo will er, dass das abgespielt wird?“ Und diese theoretische Diskussion, ob nun Körnung oder Pixel, hat mit der inhaltlichen, bildlichen Arbeit nicht viel zu tun, genauso wie bei der Diskussion um Ölmalerei oder Aquarellmalerei. Das ist für die objektive kunsthistorische Beschreibung wichtig, aber für den Betrachter geht es darum, was damit überhaupt gesagt werden will.
Die paar Dinge, die bei der Galerie Castelli in New York liefen, von Bruce Nauman oder Peter Campus und Vito Acconci, waren die ersten Videotapes, die im Kunstbereich aufgenommen wurden. Während der Experimental-Film etwa von Birgit und Wilhelm Hein eigentlich nicht in der Kunstszene reüssierte, weil man es eben für Film hielt und Experimentalfilm in einem anderen Kontext gesehen wurde. Die Gerry-Schum-Produktionen (eben gemacht auf Film) wurden als Videobänder von wenigen Sammlern und Museen gekauft. Verkäufe und Ausleihe (wie die großartige Videothek des NBK in Berlin!) fanden in Europa kaum statt.
Terry Fox wurde durch seine Performances und die Klang- und Live-Auftritte bekannt, kaum durch seine Videos. Die Galerie Ileana Sonnabend in New York hat ihn in den 1970er Jahren gezeigt, das ist nahezu vergessen. In Europa war das fast undenkbar, auch der große Konrad Fischer, der Bruce Nauman seit 1970 ausstellte, hat Performance-künstler selten gezeigt. Ein Acconci fand nicht statt, ein Terry Fox fand da auch nicht statt.
A.L.: Castelli hat auch Bruce Nauman die Portapak-Kamera gegeben. Nauman hat dann selbst das, was er zunächst auf Super 8-Film gedreht hatte, auf Videotapes übertragen.
W.H.: Im Video konnte man die Performance sofort kontrollieren. Beim Film wartete man eine Woche, ob irgendetwas richtig drauf war oder nicht. Diese bei Video mögliche Live-Kontrolle war natürlich ein wichtiger Aspekt, der theoretisch schon Ende der 1960er Jahre existierte. Aber kaum ein Künstler, auch nicht Terry Fox, hatte die finanziellen Möglichkeiten dafür.
A.L.: „Children’s Tapes“ waren erstmals 1974 im Everson Museum in Syracuse auf zwei Monitoren zu sehen, was untypisch für Terry Fox war. René Block hat dann 2002 bei der Ausstellungseröffnung „40 Jahre: Fluxus und die Folgen“ in Wiesbaden, bei der Terry Fox selbst anwesend war, „Children’s Tapes“ mit Videobeam groß projiziert. Fox reagierte nicht ablehnend, sondern eher positiv überrascht, weil er die technischen Möglichkeiten bei der Realisierung der Videos noch gar nicht hatte.
W.H.: Ich meine, ihm ging es nicht um das Videobild auf dem Monitor, sondern um das Spiel mit den Bildern. Deshalb hat er sicherlich nie etwas dagegen gehabt. Ihm ging es um die Bildhaftigkeit und um den Witz in diesen Bildern, und natürlich ist „Der Lauf der Dinge“ (1987) von Fischli & Weiss gerade, wenn die Bilder groß projiziert werden, noch witziger. Das Intime als Anti-Fernsehen ist natürlich auch schön und ist sicher auch gemeint. Es ist weder Thriller noch Hollywood, deshalb ist es auch richtig, die Videos von Terry Fox auf dem Fernseher zu spielen. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass Fox die heute selbstverständliche Form der großen Projektion akzeptiert hätte.
A.L.: Ich fand es sehr witzig, dass die Künstler mit dem Ausstieg drohten, als sie bei der Biennale in Venedig 1984 zunächst nicht bezahlt werden sollten.
W.H.: Das ist eine Geschichte, die auf Fotos von Klaus vom Bruch wunderbar dokumentiert ist. Die Künstler hörten von den Biennale-Verantwortlichen in Venedig, die sie eingeladen hatten: „Jaja, wir zahlen euch Eure Unkosten.“ Aber es passierte nichts. Und dann müssen die Künstler eine Art kleinen Streik angekündigt haben, dass sie die Werke vor der Eröffnung aus der Ausstellung wieder zurückziehen würden. Darauf hat man sich besonnen und jedem diese Packen von Lirescheinen cash überreicht. Terry Fox hat die Geldscheine wie ein vornehmes Einstecktuch in die Tasche seines Jacketts getan und Klaus vom Bruch hat ihn fotografiert, wie sich dieses ganze Bündel Geldscheine da herausbog.
A.L.: Wie kommt ein Kunsthistoriker zur Videokunst und wie kam es zu Ihrer Verbindung mit David Ross?
W.H.: Anfang 1971 hatte Paul Vogt vom Museum Folkwang Essen als einziger deutscher Museumsdirektor auf das Angebot der Elektronikindustrie, ein Videostudio geschenkt zu bekommen, positiv reagiert. Kein deutsches Museum wollte 1970 so etwas haben. Ich hatte über Bauhaus promoviert – Kunst und Technik eine neue Einheit, war 1923 der Slogan! – und war der Jüngste mit 26 Jahren im Team der Kuratoren. Da hieß es: „Mal ran, junger Mann, und gucken Sie mal, was man damit macht.“ Es gab ein Videostudio und einen Techniker.
Wir machten zunächst pädagogische Filme, merkten aber schnell, dass dafür Fachleute gebraucht würden. Was konnte man sonst damit anfangen? Darum bin ich zu Gerry Schum gegangen und habe erste Gespräche geführt. Da ich im Herbst 1972 an den Kölnischen Kunstverein berufen wurde, habe ich mich dann nicht mehr in Essen, sondern in Köln auch weiterhin für die Videokunst engagiert. Es ging sofort um die Vorbereitung einer riesigen Ausstellung „Projekt ’74“, die so eine Art Gegen-documenta in Köln sein sollte.
Auf die Frage, was wir alles Neues zeigen können, schlug ich vor: „Dann lass uns doch Video machen.“ Da ich mit David Ross bekannt war, haben wir für „Projekt ’74“ einen Teil seiner Auswahl von US-Videos erstmals in Deutschland gezeigt und deutsche und europäische Künstler dazu genommen, aber auch von den drei Künstlern des Lijnbaan Centrums Rotterdam in den Räumen des Kölnischen Kunstvereins während der drei Monate der Ausstellung „Projekt ’74“ neu produzieren lassen – und einen Video-Katalog erstellt, der damals zwar nicht ein einziges Mal verkauft wurde, aber heute in meinem Archiv in der Akademie der Künste in Berlin gerettet wurde, wieder sichtbar und vermittelbar ist – nach 41 Jahren! Und da war Terry Fox auch in der Ausstellung dabei.