2.11.2012, 17 Uhr
Flüchtlinge am Brandenburger Tor brachen nach Verhandlungen in der Akademie der Künste Hungerstreik ab
Nach zweitägigen Gesprächen, zunächst mit Berliner Kommunal- und Landespolitikern, schließlich mit der Bundesbeauftragten für Migration, Maria Böhmer, entschied sich die Gruppe der demonstrierenden Asylbewerber auf dem Pariser Platz, ihren bereits acht Tage währenden Hungerstreik abzubrechen.
Der Entscheidung fiel am Abend des 1. November nach einer mehr als vierstündigen Verhandlung in den Räumen der Akademie am Pariser Platz.
Akademiepräsident Klaus Staeck, der bereits unmittelbar nach Beginn der Aktion der Flüchtlinge gemeinsam mit Wim Wenders die Gruppe vor dem Akademiegebäude besucht hatte (siehe Blog-Eintrag vom 25.10.2012) war bei beiden Gesprächen anwesend. Er hatte die Akademie der Künste als neutralen Ort für Begegnungen der Demonstranten mit Politikern angeboten, um einen Beitrag für eine Deeskalierung der durch übertrieben harte Polizeiaktionen aufgeheizten Stimmung zu sorgen.
Das Resultat des letzten Gesprächs mit der Staatsministerin war, dass die Flüchtlinge bis 5. November ihre Demonstration fortführen können. Bis 15. November soll ein Termin für ein Treffen mit Bundestagsabgeordneten in Begleitung von Böhmer und der Berliner Integrationssenatorin Kolat gefunden sein.
Frau Böhmer und Frau Kolat hatten nach Verhandlungsende vor zahlreichen Medienvertretern die jetzige Vereinbarung als Erfolg bezeichnet. Frau Kolat versicherte, dass sich auch die nächste Integrationsministerkonferenz mit dem Thema befassen werde.
Die Demonstration richtet sich gegen die Abschiebung von Flüchtlingen, gegen die restriktive Auslegung des Residenzprinzips, das die Flüchtlinge in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt, und gegen häufig diskriminierende Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Deutschland.
Die Flüchtlinge waren Anfang Oktober in einem Tross von insgesamt 70 Menschen aus Würzburg eingetroffen. Sie sind seither parallel in einem genehmigten Camp am Oranienplatz in Kreuzberg unter gekommen.
Zu einer möglichen Straffreiheit für die Flüchtlinge, die mit dem Marsch und dem Aufenthalt in Berlin gegen die Residenzpflicht verstoßen, hieß es aus dem Büro von Böhmer, es werde Schreiben an die zuständigen Landkreise oder Bezirke geben, in denen sich die jeweiligen Heime der Teilnehmer befinden. Darin solle um Wohlwollen geworben werden. Zugleich könnten die Flüchtlinge eventuell rückwirkend einen Antrag auf Reise stellen. Auch dem würden Erfolgsaussichten eingeräumt.
Böhmer dankte den Flüchtlingen für ihren Einsatz: "Denn sie tun das nicht nur für sich, sondern auch für die große Zahl der Asylsuchenden in Deutschland." Zu den angesprochenen Problemen sagte sie, dass es Besuche von ihr in Wohnheimen geben werde. Die Wohn-Situation unterscheide sich von Bundesland zu Bundesland stark. Bei der Residenzpflicht wiederum habe sich schon viel getan, auch weil eine Modernisierung im Koalitionsvertrag stehe.
Auch über die künftige Bleiberechtsregelung sei gesprochen worden. Da müsse eine stichtagsabhängige Regelung kommen, sagte Böhmer. Für eine schnellere als jetzt mögliche Arbeitsaufnahme von Asylbewerbern liege ein Sechs-Monats-Vorschlag auf Bundesebene vor, auf EU-Ebene ein Neun-Monats-Regelung. "Wir brauchen jede Hand und jeden Kopf", sagte Böhmer. Sie setzte sich auch nachdrücklich dafür ein, dass der Wunsch vieler Flüchtlinge, Deutsch zu lernen, gefördert statt behindert werde.
Maria Böhmer sagte den Flüchtlingen wie auch anschließend der Presse, das Gespräch mit der Gruppe sei das „vielleicht bewegendste in meiner Zeit als Integrationsbeauftragte“.
Dem Thema "Asylpolitik" hatte sich die Akademie der Künste bereits in ihrem 30. Akademie-Gespräch, "Festung Europa", am 20. Oktober 2009 gewidmet.
Eine Videoaufzeichnung des Gesprächs finden sie hier.