6.1.2023, 11 Uhr

Femizide – ein Textbeitrag von Helke Sander

Textbeitrag von Helke Sander, Akademie-Mitglied und Filmemacherin, für die Veranstaltung 3. Berliner Begegnung. Gedanken zur Zeit am 3.12.2022 in der Akademie der Künste:

Was haben Femizide mit Kunst zu tun und warum sollte sich die Akademie damit befassen?

Die Antwort ist einfach: Aus dem gleichen Grund, warum wir uns in verschiedenen Veranstaltungen immer wieder mit Antisemitismus befassen und den vielen damit verbundenen Fragen nachgehen, die sich auf alle Gebiete erstrecken. Ein Anlass zur Beunruhigung besteht darin, dass seit 1990, also in den letzten 32 Jahren, mindestens 200 Opfer rechter Gewalt in Deutschland zu beklagen sind.

Femizide werden Morde an Frauen genannt, die sterben müssen, weil sie Frauen sind. Diese Gewaltverbrechen tauchen in den Medien nicht häufig auf. Wenn überhaupt, dann meist in den Lokalnachrichten. Die Opfer gelten als Opfer häuslicher Gewalt, als sei das eine zufriedenstellende Erklärung für jährlich weit über 200 in Deutschland ermordete Frauen. Auf die letzten 30 Jahre gerechnet wären das 7000 - 8000 Frauen.
Immer wieder kann es auch passieren, dass Richter diese Taten, wenn von Migranten begangen, mit Sitten des jeweiligen Landes begründen. Prof. Kristina Wolff ist die Frau, die privat vor einigen Jahren damit angefangen hat, diese Morde kontinuierlich zu erfassen.
Was hat sie nun herausgefunden?

Ihre wöchentlichen Updates, die nun schon seit einigen Jahren regelmäßig erscheinen, zeigen, dass allein in Deutschland jeden zweiten oder dritten Tag eine Frau ermordet wird. Gegen diese weltweiten Untaten ist die sogenannte Istanbul-Konvention entstanden.
Die Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtliches Abkommen des Europarats, das 2014 in Kraft getreten ist. Im Konventionstext wird anerkannt, dass Gewalt gegen Frauen eine Menschenrechtsverletzung ist. Diese Gewalt beruhe auf ungleichen gesellschaftlichen Machtverhältnissen zwischen Frauen und Männern. Gewalt gegen Frauen wird folglich als strukturelles Problem anerkannt. Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten zur umfassenden Bekämpfung und Verhütung von Gewalt, wird aber erst ratifiziert, wenn alle Europa-Mitglieder zustimmen, was sie bisher nicht getan haben.
Wie schwerwiegend und verbreitet diese Gewalt gegen Frauen ist, sollen einige Zahlen aus anderen Ländern belegen:

Türkei: Zwischen Januar und April 2022 gab es schon 97 Femizide.
Im März 2021 hat die Türkei mit sofortiger Wirkung das internationale Abkommen zum Schutz der Frauen vor Gewalt verlassen.

Brasilien: Brasilien belegt Platz fünf auf der Skala der Länder mit den meisten Femiziden weltweit. Im Jahr 2020 stiegen die Morde an Frauen um sieben Prozent. Zwei Drittel der betroffenen Frauen sind schwarz. Alle acht Minuten wird in dem Land eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt, fast 60 Prozent der Opfer sind 13 Jahre alt oder jünger. (Quelle: Djamila Ribeiro, Journalistin /Brasilien)

Südafrika: Alle drei Stunden wird eine Frau getötet.
Erstellt: 12.09.2019
Aktualisiert: 13.05.2020

Israel: Von Israelnetz 1. Juli 2022  
Die Zahl der Morde an Frauen hat sich in Israel drastisch erhöht. Im ersten Halbjahr gab es mit zwölf Fällen einen Zuwachs um 71 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Das zeigt ein Bericht der Israelischen Beobachtungsstelle für Femizide (IOF) an der Hebräischen Universität Jerusalem. In knapp 60 Prozent der Fälle waren die Opfer jüdischer Herkunft. Seit Anfang des Jahres wurden in Israel 24 Frauen durch Gewalt getötet. Ein Anstieg von 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wenn man die Zahl der Einwohner berücksichtigt, ist die Zahl etwa doppelt so hoch wie in Deutschland.

Indien: Mädchenabtreibungen: „Die Zweite muss weg“. Gemeint ist die gezielte, illegale Tötung von Millionen indischer Mädchen im Bauch der Mutter. Ähnlich ist es in China.

Russland: Es existiert zurzeit (Stand: Ende 2019) in Russland kein spezielles Gesetz gegen häusliche Gewalt. Seit Mitte der 1990er-Jahre versuchen Frauenrechtsorganisationen, die Situation zu verbessern und ein Gesetz gegen häusliche Gewalt zu schaffen, wie es in 145 anderen Staaten der Welt und in den meisten ehemaligen Sowjetrepubliken existiert – doch mit 42 gescheiterten Gesetzesentwürfen sind sie bis heute erfolglos.

Im Osten der Ukraine erhalten Überlebende häuslicher Gewalt aufgrund wirkungsloser Maßnahmen der Regierung keinen angemessenen Schutz vor erneuter Gewalt. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International in einem neuen Bericht (...) In den vergangenen drei Jahren hat die Ukraine eine neue Gesetzgebung sowie neue institutionelle Rahmenbedingungen für geschlechtsspezifische Gewalt geschaffen, die im Allgemeinen mit den internationalen Menschenrechtsnormen in Einklang stehen. Die neuen Gesetze und Initiativen werden jedoch kaum umgesetzt und die Ukraine hat das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) noch immer nicht ratifiziert.

Iran: Im Iran werden Frauen im Auftrag der Regierung ermordet. Zum ersten Mal überhaupt, solidarisieren sich auch Männer mit den Frauen und wollen einen Regimewechsel erzwingen, was der Staat mit immer mehr Todesstrafen ahndet.

Das mag an Fakten vorerst genügen.
Zu diesem Thema würde ich gerne eine Veranstaltung in der Akademie 2023 mit vorbereiten, in der es vor allem auch darum gehen soll, wieweit Frauenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus, religiöser und nationaler Fanatismus miteinander zusammenhängen und auch in Zukunft so behandelt werden müssen. Dazu wünsche ich mir die Mitwirkung aller Sektionen.

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