8.5.2008, 13 Uhr

Ausgeschlossen, ausgetreten: 1933 bis 1938

Reden von Klaus Staeck und Wolfgang Thierse zur Einweihung der Inschrift am 7. Mai 2008

Zur Geschichte der Akademie der Künste am Pariser Platz gehört ihr dunkelstes Kapitel: die Diffamierung und Vertreibung von 41 bedeutenden Künstlern während der NS-Zeit.
Wegen ihrer republikanischen Tradition war die Akademie unter den ersten kulturellen Institutionen, in denen die Nationalsozialisten 1933 Maßahmen zur Gleichschaltung trafen. Am 7. Mai 1933 erklärte Max Liebermann, Ehrenpräsident der Akademie, seinen Austritt nach mehr als 30 Jahren Mitgliedschaft, in denen er zwölf Jahre Präsident war.
Eine Inschrift an der Fassade des Akademie-Gebäudes am Pariser Platz nennt die Namen aller ausgeschlossenen und ausgetretenen Mitglieder. Zur Einweihung am 7. Mai 2008 sprachen Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, und Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages.

Rede von Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste

Lieber Wolfgang Thierse,
sehr geehrte Damen und Herrn,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

am 30. Januar 1933 marschierten über viele Stunden braune Horden in einem Fackelzug durch das Brandenburger Tor, über den Pariser Platz und, vorbei an der Reichskanzlei, in die Wilhelmstraße. Sie marschierten vorbei an der Preußischen Akademie der Künste und am Haus ihres langjährigen Präsidenten und Ehrenpräsidenten Max Liebermann. Beide Häuser waren durch dieses Feuerband der Barbarei getrennt.
25 000 Hitler-Anhänger feierten auf diese pathetisch brutale Weise die Machtübernahme der Nationalsozialisten: Ein Fanal, das die Zerstörung des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats der Weimarer Republik, die Unterdrückung Andersdenkender und die Entrechtung der Juden ankündigte.

Schon am 6. Februar wurde der Nationalsozialist Bernhard Rust zum Staatskommissar für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung in Preußen ernannt. Nun bedurfte es nur noch eines Anlasses, um mit der „Säuberung politisch unzuverlässiger und jüdischer Elemente“ in der Akademie der Künste zu beginnen.
Dieser Anlass bot sich eine Woche später am 13. Februar, als der Internationale Sozialistische Kampfbund den „Dringenden Appell“ an den Berliner Litfasssäulen plakatierte, ein Aufruf, der fast gleichlautend im Jahr zuvor als Wahlplakat gedient hatte und den u. a. Käthe Kollwitz und Heinrich Mann unterzeichnet hatten.

Bereits am 15. Februar wurde der Akademie-Präsident Max von Schillings in das Preußische Ministerium für Wissenschaften, Kunst und Volksbildung zitiert, wo ihm Reichskommissar Rust drohte, wegen der beiden Mitglieder werde er die Akademie oder zumindest deren Sektion für Dichtkunst auflösen.
Noch für den gleichen Abend berief Schillings eine außerordentliche Sitzung der in Berlin erreichbaren Mitglieder ein und erklärte, er habe, um die Akademie zu retten, dem Reichskommissar den Austritt der beiden Unterzeichner angeboten. Während Käthe Kollwitz sich schon damit einverstanden erklärt hätte, gehe es nun nur noch um Heinrich Mann, den Vorsitzenden der Sektion für Dichtkunst.

Erst auf Drängen der Anwesenden wurde der bisher noch nicht informierte Schriftsteller hinzugebeten. Allerdings betrat er den Sitzungssaal nicht, sondern wurde im Dienstzimmer des Präsidenten von diesem zum „freiwilligen“ Austritt bewegt, wie man es damals nannte.

Viele der in der außerordentlichen Sitzung anwesenden 53 Mitglieder unterstützten den Präsidenten.
Proteste kamen nur von den Schriftstellern Alfred Döblin und Ludwig Fulda und von dem Berliner Baustadtrat Martin Wagner. Der Akademie-Präsident sei nicht befugt gewesen, dem Reichskommissar den Austritt zweier Mitglieder anzubieten, sagten sie. Martin Wagner war es auch, der als einziger aus Solidarität mit den Ausgeschlossenen noch am gleichen Tag seinen Austritt erklärte.
Die Vorstellung, die Akademie sei durch Unterwerfung zu retten, bestimmte das Handeln vieler, bis schließlich die Institution selbst 1938 aus ihrem Haus am Pariser Platz ausziehen musste, da hier die Generalbauinspektion Albert Speers einzog, und im Kronprinzenpalais Unter den Linden eine unbedeutende Rolle spielte. Einen organisierten Widerstand gegen die Unterdrückung durch die Nationalsozialisten gab es nach dem 15. Februar nicht.

Der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 gab den Nationalsozialisten den Anlaß, die Reichsverfassung außer Kraft zu setzen und von nun an durch einen permanenten Ausnahmezustand zu regieren. Unter den Tausenden von Verhafteten in der Folge dieses Tages waren auch zahlreiche Intellektuelle und Künstler.

Auch auf die Akademie der Künste wurde der Druck erhöht, die aus politischen oder rassischen Gründen unerwünschten Mitglieder auszuschließen oder zum Austritt zu drängen. Weiterhin galt der Druck vor allem der politisch besonders exponierten Sektion für Dichtkunst.

Am 14. März sandte man deren Mitgliedern folgenden, von Gottfried Benn formulierten Revers, den diese mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten sollten:
Vertraulich! Sind Sie bereit, unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage weiter ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung dieser Frage schließt die öffentliche politische Betätigung gegen die Regierung aus und verpflichtet sie zu einer loyalen Mitarbeit an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden nationalen kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten politischen Lage.

Thomas Mann, Alfons Paquet und Ricarda Huch erklärten daraufhin ihren Austritt, Rudolf Pannwitz, René Schickele und Jakob Wassermann wiesen die Erklärung ohne auszutreten zurück.

Die Inschrift, die wir heute an der Fassade des neuen Akademie-Gebäudes einweihen, nennt die Namen der ausgeschlossenen und ausgetretenen Mitglieder in der Reihenfolge ihres Verlustes der Mitgliedschaft.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass 163 Mitglieder damals weiter in der Akademie der Künste blieben – das gehört auch zur Geschichte dieser Akademie.

Nachdem am 7. April 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verkündet und damit die Entlassung aller kommunistischen, sozialdemokratischen und jüdischen Beamten aus dem Öffentlichen Dienst erzwungen worden war, teilte am 5. Mai Akademie-Präsident von Schillings aufgrund einer mündlichen Anweisung des Kultusminister sieben weiteren Mitgliedern der Sektion für Dichtkunst per Einschreiben ihren Ausschluß mit.

Noch am 23. Februar hatte Max Liebermann, an Thomas Theodor Heine geschrieben:
… Das Natürliche wäre, auszutreten. Aber mir, als Juden, würde das als Feigheit ausgelegt werden, wie mir schon mein Rücktritt von der Präsidentschaft als Feigheit ausgelegt worden ist. Noch mehr aber verhindert mich daran die Erwägung, durch meinen Austritt gerade das zu tun, was die Gegner wünschen...

In den folgenden Wochen war allerdings Liebermann klar geworden, dass die bürgerlichen Grundrechte nicht mehr galten und die Solidaritätsbekundungen einzelner Akademie-Mitglieder keine ausreichende Unterstützung boten.

Am 7. Mai 1933 ging folgender Brief im Sekretariat der Akademie ein:
Sehr verehrter Herr Professor,
ich ersuche Sie, von der nachstehenden Erklärung der zuständigen Stelle Mitteilung zu machen. „Hiermit lege ich das Ehrenpräsidium der preuß. Akademie der Künste nieder und erkläre meinen Austritt als Senator sowie als ordentliches Mitglied der Genossenschaft der Akademie.“
Berlin, 7. Mai 1933
Dr. h. c. Max Liebermann

Der Gang der folgenden Geschichte ist bekannt.
Doch gerade an diesem Platz, an den die wieder vereinigte und neu konstituierte Akademie der Künste vor drei Jahren zurückzog, und der uns an diesem Frühlingstag so heiter und unbeschwert erscheint, soll das Gedenken an die Ereignisse lebendig bleiben.
Ich danke vor allem dem Präsidialsekretär der Akademie, Herrn Hannesen, auf den die Initiative zurückgeht, eine solche Erinnerungstafel in Gestalt dieser Inschrift anzubringen.



Grußwort von Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages

Lieber Klaus Staeck,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

dort hinüberblickend (zum Liebermann-Haus – d.Red.) fällt mir jener berühmte Satz ein, den Max Liebermann gesprochen hat, angesichts der SA-Horden, die über diesen Platz und durch das Brandenburger Tor zogen:
„Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte!“
Ich weiß nicht, ob Max Liebermann diesen Satz später auch wiederholt hat mit Blick auf die Ereignisse um seine Akademie, die Klaus Staeck ausführlich geschildert hat.

Heinrich Mann und Käthe Kollwitz waren die ersten, die gezwungen wurden, auf ihre Mitgliedschaft zu verzichten. In den Folgemonaten schieden – mehr oder weniger freiwillig – weitere Akademiemitglieder aus, darunter die Schriftsteller Leonhard Frank, Alfred Döblin, Bernhard Kellermann, Jakob Wassermann, René Schickele, Fritz von Unruh, Thomas Mann. Von all denen wurden die Bücher am 10. Mai 1933 öffentlich verbrannt.

Die Arbeiten von Bildenden Künstlern wie Max Liebermann, dem Ehrenpräsidenten, Otto Dix, Karl Schmidt-Rottluff, Karl Hofer, Oskar Kokoschka, Max Pechstein fielen unter das Verdikt „Entartete Kunst“. Sie wurden aus den Museen entfernt und auf der von Joseph Goebbels organisierten berüchtigten Münchener Femeschau im Juli 1937 präsentiert.

Als entartet schmähten die NS-Ideologen die Kompositionen von Arnold Schönberg, Franz Schreker, Walter Braunfels; ebenso die Gestaltungsentwürfe von Erich Mendelsohn, Bruno Taut und Ludwig Mies van der Rohe, die Skulpturen der Bildhauer Renée Sintenis, Ludwig Gies, Rudolf Belling, Ernst Barlach. Sie alle waren Mitglieder der Preußischen Akademie der Künste und wurden in den Jahren 1933 bis 1938 ausgeschlossen oder gingen aus eigenem Entschluss.

Für die Geschmähten begann ein Leben in der Isolation. Nicht wenige flüchteten ins Ausland, andere wurde inhaftiert, einige starben einen gewaltsamen Tod. Max Liebermann verstarb im Februar 1935. Seine Akademie lehnte jede Ehrung ihres ehemaligen Präsidenten ab. Zu seinem Begräbnis auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee erschien am 11. Februar kein offizieller Vertreter der Akademie; kein Repräsentant seiner Stadt Berlin gab dem Ehrenbürger ein letztes Geleit.

Zur Geschichte der Akademie in diesen finsteren zwölf Jahren gehört auch die Erinnerung, dass die Mehrheit der Akademiemitglieder die Zwangsmaßnahmen gegen ihre 43 Kollegen duldeten. Einige vielleicht mit der Faust in der Tasche, andere sicher auch mit Schadenfreude. Doch unabweislich ist: Mit dem Verlust dieser 43 Kollegen verlor die Akademie ihren Glanz, ihre Bedeutung, ihre Reputation, ja, ihren eigentlichen Sinn: die Freiheit der Kunst nämlich zu leben und zu verteidigen. Eine Institution erhalten und bewahren zu wollen, wie manche meinten, indem man ihren Inhalt und Auftrag verrät, das bleibt im Rückblick ein zugleich beschämender wie lehrreicher Vorgang.

Wenn wir heute jener Ausgestoßenen und Verfemten gedenken, dann schließt dieses Gedenken auch eine Mahnung mit ein: Wir dürfen nie wieder zuzulassen, dass braune, fremdenfeindliche, antisemitische Ideologien die Köpfe erobern. Den neuen Feinden der Demokratie und unseres Rechtsstaates müssen wir aktiv, wirksam und vor allem rechtzeitig entgegentreten. Das sind wir nicht zuletzt jenen schuldig, die in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts aus politischen, rassistischen oder sonstigen Gründen gedemütigt, verfolgt, ins Exil getrieben oder umgebracht wurden!
Die Freiheit der Kunst ist immer ein Wesenselement und ein Indiz für politische Freiheit und funktionierende Demokratie. Daran erinnert diese Gedenktafel.
Ich danke den Gremien der Akademie der Künste für diese Initiative zur Ehrung der einst gedemütigten Kollegen! Es wurde längst Zeit, dass dies geschehen ist.

Von Klaus Staeck, Wolfgang Thierse