Der Zeichner Paul Holz (1883–1938)

Paul Holz schuf in den zwanziger und dreißiger Jahren ein beeindruckendes zeichnerisches Werk. Er gehört zu den großen Zeichnern des 20. Jahrhunderts, und zugleich ist er ein großer Unbekannter, da ihn die Nationalsozialisten als „entartet“ einstuften und er in der Nachkriegszeit nur von wenigen Kennern der Zeichenkunst, vor allem Künstlerkollegen, geschätzt wurde.

1998 erwarb die Kunstsammlung der Akademie der Künste Blätter des expressiven Zeichners und legte damit den Grundstein für eine spätere, bedeutende Schenkung aus dem Nachlass. 2007 gingen – von der Tochter des Künstlers testamentarisch verfügt und von den Nachlassverwalterinnen ausgewählt –  über 300 Zeichnungen und bibliophile Bücher mit Einzeichnungen an die Kunstsammlung sowie Konvolute von Feldpostkarten und Briefe an das Archiv Bildende Kunst der Akademie der Künste.

Die Ausstellung Der Zeichner Paul Holz (1883 – 1938) zeigt vom 30. März bis 15. Mai 2011 eine Auswahl von 73 Zeichnungen aus dem Bestand der Kunstsammlung.


Eröffnungsrede, gehalten am 29.3.2011, um 20 Uhr in der GALERIE PARTERRE

Meine Damen und Herren,
an diesen Zeichnungen von Paul Holz kann man nicht einfach mit dem Weinglas in der Hand vorbeiflanieren und ihnen beifällig zunicken. Wir begegnen auf diesen Blättern eigentümlichen Gestalten und Szenarien, sonderbar und doch unspektakulär. Sie erscheinen geradezu grob auf’s Blatt gehauen, sind sperrig, klobig und zugleich von einer vitalen Wucht. Oder aber im Gegenteil: Die Menschen wirken wie erstarrt, vom Tode schon gezeichnet. Da ist etwas merkwürdig Abgründiges. Dabei haben die Szenen durchaus nichts pathetisch und sind vielleicht gerade deswegen so berührend.
Mit einfachen Mitteln, meist mit aus Rohr geschnittenen Federn, mit Gänsekielen oder auch mit Metallfedern und schwarzer Tusche hat dieser Paul Holz ohne viel Federlesen, einfache Menschen und Tiere auf schlichten Papieren einen Handlungsraum geschaffen, voller Intensität und beunruhigender Leere. Schwerfällige Bauersleute, fahrendes Volk, Zirkusakrobaten und Straßenmusikanten, Invaliden und Kranke, Alte und Sterbende, Traurige und Trinker, Verschrobene und Verrückte agieren wild oder verharren in sich gekehrt. Sie sind geprägt vom Leid, von Einsamkeit oder schlicht vom Dasein in einer Welt, ohne Heimat und Geborgenheit einerseits oder ohne Freigeistigkeit und weitem Horizont andererseits.
Das Landleben ist bei Paul Holz nicht idyllisch, ländlich-sittlich. Die Dörfler sind von der Härte ihrer Arbeit und der Enge ihres Wirkungsfeldes gezeichnet, blockhaft in sich befangen, wie umgekehrt die Vagabunden, Gaukler und Zirkusakrobaten als Unbehauste und Außenseiter, umtriebig sind und dennoch nicht in Freiräumen sich bewegen. In dieser Welt gibt es Späße und wilde Besäufnisse, aber keine unbeschwerte Fröhlichkeit, keine Kindheiterkeit, keine Leichtigkeit des Seins.
Wie Dostojewski, dessen Aufzeichnungen aus einem Totenhaus Paul Holz zwischen 1922 und 1925 zu hunderten von Bildern anregte, schildert der Zeichner mit der Feder die Bürde und auch die Absurditäten des menschlichen Daseins, die Welt der Mühseligen und Beladenen und die der Verlierer und Entfremdeten. Es sind Solitäre, selbst da, wo sie zu zweit oder in Gruppen auftreten. Paul Holz zeigt das Individuum, das unter erschwerten Bedingungen – bedrückt von banalen äußeren und subtilen inneren Zwängen – in Notgemeinschaften sein Dasein fristet. Wie in Knut Hamsuns „Landstreicher“ stellt er die Frage, wo ist man Zuhause, wo gehört man dazu, wann ist man kein Außenseiter, kein Sonderling mehr, wie und wann kann man in Harmonie mit sich selbst und den anderen leben.
Die Erzählungen von Dostojewksi, Gogol und Knut Hamsun, die die realen, unspektakulären Tragödien des menschlichen Lebens zum Thema haben, waren für Paul Holz zweifelsohne eine wichtige Inspirationsquelle für seine zivilisationskritische Daseinsmetaphorik. Ihre Bücher aber hat der Zeichner nicht konventionell illustriert. Holz orientiert sich in seinen vielen Zeichenblättern zur Literatur nicht an den Hauptfiguren oder der Geschichte, dem Plot, sondern an bestimmten Charakteren und Stimmungsbildern, die ihn ansprachen, an unerhörten Begebenheiten, die ihn bewegten, seine Fantasie beschäftigten. Wenn wundert’s, dass er nie einen Verlag fand, der literarische Werke mit seinen Bildern publiziert hätte. Paul Holz scherte sich nicht um Verkäuflichkeit, Marktwert, Aufträge, Sammlerinteressen, Ausstellbarkeit.
Dieser grandiose Zeichner kann nicht anders, als das zeichnen, was ihn bewegt, ihn umtreibt. Er zeichnet mit fulminanter Geste, mit Verve, leidenschaftlich, kompromisslos und doch mit feinem Gespür, die Realität nach dem inneren Gesichte. Denn als guter Realist muss auch er alles erfinden. Es ist ein magischer Realismus, wie Franz Roh so trefflich den Nach-Expressionismus in seinem 1925 erschienenen Buch gleichen Titels bezeichnete. Gleichwohl wäre es zu einfach, eine kunsthistorische Schublade aufzumachen und diese Zeichnungen stilistisch einzuordnen und sauber abzulegen.
Paul Holz setzt Zeichen, wild, unbeherrscht, verworren, und doch eigenartig treffsicher. Er generiert expressive Bildformeln mit Schrägen und Drehungen der Figuren, geschwärzten Gesichtern, Verschattungen, schwarzen Löchern, in denen die Melancholie, Angst, Trauer und der Irrsinn hausen. Und doch ist er weder Expressionist, noch Postexpressionist. Der Expressionismus war ihm nach eigenem Bekunden zu hektisch, spitzig und zu sentimental, zu pathetisch.
Akademische Genauigkeit, ideale Form, allegorisches Repertoire und symbolische Verbindlichkeit, Ausgewogenheit, gar Gefälligkeit waren seine Sache noch viel weniger. Nicht das konventionelle Individualporträt ist ihm ein künstlerisches Anliegen, sondern die Schicksalhaftigkeit des Einzelnen, ob Mensch oder Tier, ist ihm Lebensthema. Der Kreatur Mensch, dem Schlächter im ganz profan realistischen Sinn, der Kreatur Schlachtvieh und Arbeitstier, Schwein und Pferd, nähert er sich immer wieder Strich für Strich, ohne sie in ein akademisches Korsett zu zwängen und sie somit dingfest zu machen, sie konventionell zu erledigen. Die Schweine verhalten sich auf Paul Holzens Blättern – wie Schweine (ich bin auf dem Land aufgewachsen, in einer Gegend und zu einer Zeit als Tiere noch natürlichen Auslauf hatten). Dieser Zeichner kennt Pferde, Kühe und Schweine aus eigener Anschauung und zeigt sie ganz diesseitig, aber auch Säue, in die der Satan fährt (und die sich dabei offensichtlich sauwohl fühlen).
Paul Holz zeichnete Mensch und Tier nicht direkt nach Modell, sondern nachts aus der Erinnerung, in sich hineinhorchend, auf die Resonanz des Tagesgesehenen. Er lernte beim Betrachten die Gestalt und ihre Bewegung quasi auswendig, verinnerlichte sie und entäußerte sich der inneren Bilder am Abend zu Hause.
Der Schwager von Holz übte den Beruf des Schlachters aus. Dieses archaisch blutige Geschäft hält Holz in zahlreichen Blättern fest. Er zeigt die Auswahl der Tiere im Stall, den Transport zum Schlachthof, das Ausschlachten nach der Tötung, nicht aber das Töten selbst. Was Holz gesehen, beobachtet und für bildwürdig befunden hat, zeigt er uns unverhohlen.
Holz konfrontiert uns mit Existenzen, die uns fremd sind und uns doch beunruhigend angehen. Die Gezeichneten aber scheinen sich der Zudringlichkeit des Betrachterblicks und einer einfühlsamen Anteilnahme merkwürdig zu verweigern. Ihre Blicke sind abgewandt, in sich gekehrt, nicht selten blind, und sie posieren nicht für uns. Diese Verweigerung ist umso merkwürdiger als der Zeichner uns im ganz wörtlichen Sinne anspricht. Er integriert Schrift ins Bild, verwebt Bild- und Schriftzeichen zu eigenartig pointierten Bilderzählungen oder besser: zu Einaktern. Holz ist mitteilsam, aber ob wir auch nur ahnen, um was es geht, ist dem Zeichner „wurst“. Wir müssen schon selbst darauf kommen, dass es hier um das Unbegreifliche des Lebens und des Sterbens geht. Dieser Zeichner Paul Holz hat dafür ein Gespür.

Liebe Gäste schauen sie hin, vielleicht lassen die Zeichnungen sind dann nicht mehr los und Sie verstehen, was mit magischer Realismus gemeint sein könnte.

Priv.-Doz. Dr. Rosa von der Schulenburg, Leiterin der Kunstsammlung

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(Stand 5.04.2011)


Paul Holz, Uhrenpapst (zu Knut Hamsun "Landstreicher"), um 1929, Tusche, Feder a. Papier, Kunstsammlung der AdK


Paul Holz, Am Grabe, o.J., Feder, Tusche a. Ingrespapier, Kunstsammlung der AdK


Paul Holz, Schweine, o.J., Feder, Tusche auf Papier, Kunstsammlung der AdK


Paul Holz, Blinde Hände, o.J., Feder, Tusche auf Papier, Kunstsammlung der AdK


Paul Holz, Abdeckerei, o.J., Feder, Tusche a. Papier, Kunstsammlung der AdK


Paul Holz, Selbst, o.J., Rohrfeder, Tusche a. Tonpapier, Kunstsammlung der AdK